Abo

Wirtschaft

Wegen Künstlicher Intelligenz

Geplantes Rechenzentrum in Volketswil braucht so viel Strom wie Winterthur

Datencenter werden 2030 bis zu 15 Prozent des Stroms benötigen. Angesichts des «unvorhergesehenen Mehrbedarfs» müsse sich die Schweiz was einfallen lassen, sagt ein Experte.

Microsoft, Google, Amazon: Sie alle sind auf eine Unmenge an Servern angewiesen.

Foto: Urs Jaudas

Geplantes Rechenzentrum in Volketswil braucht so viel Strom wie Winterthur

Datenzentren werden 2030 bis zu 15 Prozent des Stroms benötigen. Angesichts des «unvorhergesehenen Mehrbedarfs» müsse sich die Schweiz etwas einfallen lassen, sagt ein Experte.

Text von Mischa Aebi

In Volketswil entsteht gerade ein neues Rechenzentrum: zwei nebeneinanderstehende Klötze im Industriegebiet, scheinbar ganz gewöhnliche Gewerbegebäude. Doch im Innern soll auf verhältnismässig wenig Raum eine kaum vorstellbare Menge Energie verbrannt werden.

Man benötige jährlich bis zu 600 Gigawattstunden Strom, sagt Wolfgang Zepf, Schweiz-Chef der Betreiberfirma Vantage Data Centers. Das ist mehr, als die Stadt Winterthur mit ihren 122’000 Einwohnern verbraucht. In den beiden Gebäuden werden laut Zepf internationale Grosskunden Hunderte von Servern unterbringen: Microsoft, Google, Amazon.

Rechenzentrum von Vantage Data Centers: ein graues, grosses Gebäude.
Das Rechenzentrum von Vantage Data Centers in Winterthur: Ähnlich werden die Gebäude in Volketswil aussehen.

Die Klötze von Volketswil stehen exemplarisch für einen Trend, der 2022 mit der Lancierung von ChatGPT in den USA begann. Dort stieg die Zahl der Rechenzentren binnen eines Jahrs um 25 Prozent. Jetzt hat der Trend mit voller Wucht die Schweiz erreicht, wie neueste Zahlen aus einer vom Bundesamt für Energie (BFE) in Auftrag gegebenen Studie zeigen.

Schweizer Stromverbrauch: Bald ein ganzes AKW für Rechenzentren

Die Studie soll zwar erst Ende Jahr publiziert werden. Doch der mit der Arbeit beauftragte Experte Adrian Altenburger, Professor für Gebäudetechnik und Energie an der Fachhochschule Luzern, gibt die Resultate auf Anfrage bereits frei. Gemäss dem Forscher hat sich der Stromverbrauch der Rechenzentren zwischen 2019 und 2024 von 2,1 auf 4 Terawattstunden fast verdoppelt. Damit machen Rechenzentren im Jahr 2024 laut Altenburger bereits 7 Prozent des gesamten Stromverbrauchs der Schweiz aus.

Der Stromhunger wächst weiter: Der Experte rechnet in seiner Analyse damit, dass Rechenzentren bis 2030 zwischen 10 und 15 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen. In absoluten Zahlen heisst das: Sie werden dann pro Jahr 6 bis 8 Terawattstunden Strom benötigen.

Altenburger sagt: «Das entspricht etwa der Jahresproduktion eines Kernkraftwerks.» Dass solch rasante Entwicklungen möglich sind, zeigt Irland: Dort stieg der Anteil der Rechenzentren am gesamten Stromverbrauch in nur sechs Jahren von 5 auf 21 Prozent.

Gut möglich, dass es in der Schweiz sogar noch extremer wird. Denn im aargauischen Laufenburg plant die Firma Flexbase ein grosses Technologiezentrum mit einem KI-Rechenzentrum und einem riesigen Batteriespeicher. Gemäss gut unterrichteten Quellen soll das Rechenzentrum auf eine Stromleistung von mehreren hundert Megawatt angewiesen sein. Wenn es zustande kommt, wäre es das mit Abstand grösste Rechenzentrum der Schweiz.

Ein Mann mit beiger Jacke steht in einer grossen Halle.
«Die Schweiz muss sich etwas einfallen lassen», sagt Adrian Altenburger, Professor für Gebäudetechnik und Energie an der Fachhochschule Luzern.

Es ist in Altenburgers Prognosen nicht berücksichtigt. Der Experte sagt: «Wenn das Rechenzentrum in Laufenburg bis 2030 voll ausgebaut ist und die Kapazitäten an Kunden vergeben sind, werden zusätzlich mehrere Terawattstunden Strom benötigt. Das würde dem Stromverbrauch eines weiteren AKW entsprechen.» Flexbase äussert sich nicht dazu, weil diese Angaben noch nicht feststehen.

Den Stromverbrauch von Rechenzentren mit der Leistung von AKWs zu vergleichen, liegt nahe: Anfang Juni kaufte Mark Zuckerberg zum Betrieb seiner Meta-Cloud und von Facebook den Strom eines ganzen Kernkraftwerks. Und Microsoft sorgte dafür, dass der alte Atomreaktor Three Mile Island in Pennsylvania wieder in Betrieb genommen wird.

Kanton Zürich: 100 Anfragen für neue Rechenzentren

Zurzeit gibt es rund 100 Rechenzentren in der Schweiz. Schon bald dürften es sehr viel mehr sein. Das zeigen Anfragen dieser Redaktion bei den grossen Stromversorgern. Der Kanton Zürich entwickelt sich zum Hotspot für Rechenzentren.

Julien Duc, Sprecher der Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ), sagt: Man verzeichne einen deutlichen Anstieg von Anschlussgesuchen für Rechenzentren. Insgesamt seien in den letzten fünf Jahren «über 100 Anfragen für neue Anschlüsse von neuen Rechenzentren eingegangen». Zudem hat der Stromverbrauch von Rechenzentren im EKZ-Versorgungsgebiet innert eines Jahrs um 25 Prozent zugenommen.

Auch die beiden grössten Stromkonzerne der Schweiz spüren den KI-Trend. Alpiq verzeichne «sowohl eine steigende Zahl von Anfragen als auch eine Zunahme der von Datenzentren angefragten Strommengen», sagt Sprecherin Céline Kohlprath. Diese Entwicklung spiegle «die aktuelle Dynamik im Bereich KI-getriebener Datenzentren wider», sagt die Alpiq-Sprecherin. Ähnliches berichtet die Axpo.

«Energiehunger von KI gefährdet die Energiewende»

Das exponentielle Wachstum von ChatGPT und anderen KI-Anwendungen bedroht das Klima ernsthaft. Davon ist zum Beispiel Greenpeace überzeugt. «Energiehunger von künstlicher Intelligenz gefährdet Energiewende», schreibt die wohl mächtigste Umweltorganisation als Titel einer im Mai publizierten Mitteilung. Darin zitiert sie eine Studie, wonach der Stromverbrauch von Datenzentren bis 2030 weltweit elfmal so hoch sein wird wie im Jahr 2023.

Eine so drastische Vervielfachung des Stromverbrauchs, wie sie Greenpeace befürchtet, mag übertrieben sein. Doch nüchtern betrachtet ist für die Schweiz bereits eine von unabhängigen Experten prognostizierte Verdoppelung des Stromverbrauchs der Rechenzentren ein Problem.

Denn sogar ohne KI-Boom glauben zahlreiche Politiker und Experten, dass der Strom in den nächsten Jahren knapp wird, weil die alten AKWs stillgelegt werden müssen und der verbleibende Strom aus erneuerbaren Energien neu zusätzlich für Hunderttausende Wärmepumpen und sechs Millionen E-Autos reichen muss.

Experte Altenburger: «Zwangsläufig eine Limitierung» neuer Datenzentren

Für Experte Altenburger ist klar: «Dem massiv steigenden Stromverbrauch der Rechenzentren hat der Bund oder auch der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen in ihren Szenarien zur Entwicklung der Energieversorgung bis jetzt deutlich zu wenig Beachtung geschenkt.»

In diesen Szenarien schätzen der Bund und auch der Verband die Stromproduktion und den Verbrauch für die Zukunft. Sie haben hohe Bedeutung: Denn sie dienen Behörden und Politikern zum Abschätzen, wie viele Kraftwerke gebaut werden müssen.

Immer klarer wird, dass der Bund in seinen aktuellen Szenarien von einem deutlich zu tiefen Stromverbrauch ausgeht. Energiespezialist Altenburger sagt, man werde «wegen des KI-Booms» von einem «signifikant höheren Stromverbrauch» ausgehen müssen. Will heissen: «Die Schweiz muss sich etwas einfallen lassen, wie sie den riesigen unvorhergesehenen KI-Mehrbedarf in Rechenzentren deckt. Oder sie wird den Zubau von neuen Rechenzentren zwangsläufig limitieren müssen», sagt Altenburger.

Die von Altenburger thematisierte Limitierung wäre nichts Neues: Städte wie Amsterdam und Singapur haben bereits vor einiger Zeit ein Moratorium für neue Rechenzentren verhängt, weil eine Überlastung des Stromnetzes und damit ein Zusammenbruch der Stromversorgung drohte.

Ein Teil des Stroms kann zum Heizen gebraucht werden

Die in den Rechenzentren verwendete Energie verschwindet nicht einfach. 99 Prozent des Stroms wird in Wärme umgewandelt. Im Sommerhalbjahr kann ein kleiner Teil davon zum Heizen von Brauchwasser verwendet werden. Viel Wärme muss aber mit aufwendigen Kühlsystemen abgeführt werden. Im Winter kann sie zum Heizen von Wohnhäusern verwendet werden.

Neuere Rechenzentren werden an Fernwärmenetze angehängt. Google, Microsoft und Meta rühmen sich denn auch, dass sie neue Datenfabriken nachhaltig betreiben würden. Kritiker halten das für PR. Selbst US-Energiekonzerne wie Dominion Energy warnen, dass der KI-Boom die Energiewende verzögert, weil sie wieder stärker auf Gas und Kohle setzen müssen, um die Stromversorgung sicherzustellen.

Abo

Möchten Sie weiterlesen?

Liebe Leserin, lieber Leser

Nichts ist gratis im Leben, auch nicht Qualitätsjournalismus aus der Region. Wir liefern Ihnen Tag für Tag relevante Informationen aus Ihrer Region, wir wollen Ihnen die vielen Facetten des Alltagslebens zeigen und wir versuchen, Zusammenhänge und gesellschaftliche Probleme zu beleuchten. Sie können unsere Arbeit unterstützen mit einem Kauf unserer Abos. Vielen Dank!

Ihr Michael Kaspar, Chefredaktor

Sie sind bereits Abonnent? Dann melden Sie sich hier an

Digital-Abo

Mit dem Digital-Abo profitieren Sie von vielen Vorteilen und können die Inhalte auf zueriost.ch uneingeschränkt nutzen.

Sind Sie bereits angemeldet und sehen trotzdem nicht den gesamten Artikel?

Dann lösen Sie hier ein aktuelles Abo.

Fehler gefunden?

Jetzt melden.