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Wirtschaft

Das US-Zollchaos – und wie die Oberländer Industrie reagiert

Jeder vierte Arbeitnehmer in der Region ist im Industriesektor beschäftigt. Was bedeuten die Unsicherheiten über die US-Zölle für die hiesigen Unternehmen?

Die US-Handelspolitik bringt die Weltwirtschaft ins Schlingern. Welchen Einfluss hat sie auf die Industrieunternehmen in der Region?

Foto: Unsplash

Das US-Zollchaos – und wie die Oberländer Industrie reagiert

31 oder 10 Prozent?

Die wirre Zollpolitik der US-Regierung bringt die Weltwirtschaft durcheinander. Die grossen Industrieunternehmen im Oberland reagieren einigermassen gelassen.

Das Zürcher Oberland blickt nicht nur auf eine beeindruckende industrielle Tradition zurück. Auch die wirtschaftliche Gegenwart ist von der Industrie geprägt. Während im Schweizer Durchschnitt knapp 20 Prozent der Beschäftigten im zweiten Sektor tätig sind, beträgt dieser Anteil im Bezirk Pfäffikon 27,8 Prozent und im Bezirk Hinwil 26,8 Prozent.

Entsprechend gespannt blickt man in der Region nach Übersee, wo die Administration Trump einen protektionistischen Kurs eingeschlagen und hohe Zollschranken für Industriegüter angekündigt hat.

Was derzeit gilt

Am Mittwoch setzten die USA für Industrieprodukte, die aus der Schweiz importiert werden, Zölle in der Höhe von 31 Prozent in Kraft. Die horrenden Einfuhrzölle galten lediglich für ein paar Stunden, dann ruderte Präsident Donald Trump bereits wieder zurück. 90 Tage lang will er die 31 Prozent aussetzen. Weiterhin gültig sind aber die (ebenfalls unberechtigten) 10 Prozent, die auf Einfuhren aus der Schweiz erhoben werden.

Die US-Politik stellt eine Rückkehr zum Merkantilismus dar. Diese Wirtschaftstheorie prägte Europa bis ins 19. Jahrhundert. Ziel der Staaten war damals eine positive Handelsbilanz, also mehr Waren auszuführen als zu importieren. Hohe Zölle sollten die nationale Wirtschaft schützen. 

Diese Denkweise scheint auch Donald Trump eigen zu sein: Importe schwächen die US-Wirtschaft, mit hohen Zöllen lässt sich die Industrie in die USA zurückholen. Mit der negativen Handelsbilanz begründete der US-Präsident die hohen Importzölle, die er vor einer Woche angekündigt und in der Nacht auf Donnerstag wieder ausgesetzt hatte.

Das gilt aber nicht für alle Staaten: Sagenhafte 145 Prozent betragen die derzeitigen Zölle für Importe aus China in die USA (Stand: Freitag, 18.00 Uhr MESZ). Die Regierung in Peking reagierte mit hohen Gegenzöllen auf US-Güter. Der Handelskrieg zwischen den beiden mit Abstand grössten Volkswirtschaften der Welt ist in vollem Gange. 2024 exportierte China Güter mit einem Gesamtvolumen von 438 Milliarden Dollar in die USA. In umgekehrter Richtung lag das Volumen nur bei 143 Milliarden Dollar.

Womit die Unternehmen in der Region gerechnet hatten

Auch wenn die Unberechenbarkeit derzeit das einzige einigermassen Berechenbare an der aktuellen US-Regierung ist, so zeigt sich die hiesige Industrie überrascht von den Ankündigungen aus Washington. Denn die Schweiz ihrerseits hat 2024 sämtliche Industriezölle abgeschafft – auch mit den USA. «Aufgrund der turbulenten Zeiten haben wir uns auf verschiedene Szenarien vorbereitet, hatten aber nicht mit 30 Prozent oder mehr gerechnet», sagt Andreas Meile, Kommunikationschef des Hinwiler Industriekonzerns Belimo.

«Wir hatten angenommen, dass es die Schweiz weniger stark trifft», meint auch Joachim Maier, Marketingmanager von Uster Technologies. Die ursprünglich angekündigten (oder vielmehr angedrohten) 31 Prozent waren für alle Befragten eine Überraschung.

«Wir haben mit rund 10 Prozent gerechnet», sagt Michel Riva, CEO von R&M in Wetzikon. Auch Thomas Herrmann, CEO des Wetziker Elektronikherstellers Elma Electronic, ist von maximal 10 Prozent Importzöllen ausgegangen, wie sie derzeit und voraussichtlich für 90 Tage gelten. Immer – und dieser Satz wird uns noch knapp vier Jahre begleiten – unter der Voraussetzung, dass es nicht wieder zu einem spontanen Meinungsumschwung des US-Präsidenten kommt.

Die Medienstelle von Huber+Suhner in Pfäffikon meldet schlicht: «Die Möglichkeit, dass von den USA Einfuhrzölle erhoben werden, hat sich bereits abgezeichnet.» Und Dormakaba in Rümlang und Wetzikon habe sich «global auf verschiedene Szenarien eingestellt», sagt Firmensprecher Patrick Lehn. «Wir sind nicht von einer bestimmten Höhe ausgegangen.»

Was die Zölle für unsere Industrieunternehmen bedeuten

Michel Riva von R&M in Wetzikon erwartet auf sein Unternehmen keine grossen Auswirkungen durch die Zollschranken – unabhängig, ob 10 oder 31 Prozent: «Unser Geschäft in den USA ist eher gering.» Für den Entwickler und Hersteller von Infrastrukturlösungen für Rechenzentren sowie Daten- und Kommunikationsnetze gehören unter anderem die Schweiz und Deutschland zu den wichtigsten Absatzmärkten.

Michel Riva beschäftigt eine andere Frage, die aber ebenfalls im Zusammenhang mit der US-Handelspolitik steht: «Die grosse Frage ist jedoch, ob die wichtigen Industrieländer in eine Rezession rutschen.» Das würde Arbeitsplätze auf der ganzen Welt gefährden – auch in den USA.

Michel Riva, CEO der Wetziker R&M-Gruppe, mit verschränkten Armen, an eine gelbe Kabelrolle gelehnt.
«Die grosse Frage ist, ob die wichtigen Industrieländer in eine Rezession rutschen»: Michel Riva, CEO der Wetziker R&M-Gruppe. (Archiv)

Hart treffen könnten die willkürlichen Zölle aus Washington das Rütner KMU Falu. Das Unternehmen fabriziert Hightech-Maschinen zur Produktion und Verpackung von Wattestäbchen oder Wattepads und macht ein Drittel seines Umsatzes in den USA, wo Falu laut Inhaber Guy Petignat einen langjährigen, grossen Kunden hat. «Die Frage ist, ob wir jetzt zu teuer sind und unser Kunde Alternativen hat. Das ist schwierig, weil wir sehr spezialisiert und im Markt gut verankert sind», sagte Petignat vor einigen Tagen gegenüber SRF in der Nachrichtensendung «10 vor 10».

«Die Zölle werden unser Geschäft mit Sicherheit verkomplizieren – unnötigerweise», meint Joachim Maier, Marketingchef bei Uster Technologies. Das Unternehmen ist führend im Qualitätsmanagement in der Textilindustrie und ist auch in den USA mit eigenen Forschungs- und Produktionsstandorten präsent. Aber Uster Technologies ist weltweit tätig, und Zölle sind in der geografisch stark diversifizierten Textilbranche ein grosses Hindernis.

«Daher sind neben den direkten Folgen für uns in Bezug auf unsere Lieferketten die indirekten Konsequenzen gravierend», sagt Maier und macht ein Beispiel: «Vietnam zum Beispiel, das sogar mit 46 Prozent Zoll belegt werden soll, ist ein wichtiger Hersteller von Textilwaren, die hauptsächlich in die USA exportiert werden.» Sollte die US-Regierung diese Zölle tatsächlich durchsetzen, würden diese Exporte stark zurückgehen: «Die produzierenden Unternehmen – oft unsere Kunden – würden sehr schwierige Zeiten erleben.»

Bei Huber+Suhner in Pfäffikon sind rund 10 Prozent des Gruppenumsatzes von den Zöllen der US-Regierung betroffen. Allerdings exportiert der Spezialist für elektrische und optische Verbindungstechnik nicht nur aus der Schweiz in die USA, sondern auch von Produktionsstandorten in anderen Ländern. Das Unternehmen verfügt auch über lokale Wertschöpfung in den USA.

Dormakaba verfügt über eigene Produktionsstätten in den Vereinigen Staaten. Der Zutritts- und Schliesstechnikkonzern exportiert nicht aus der Schweiz heraus in die USA. Sprecher Patrick Lehn: «Insofern sehen wir derzeit keine Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in der Schweiz.»

Bei Belimo sieht man die Entwicklung noch relativ entspannt. «Als Marktleader und mit unseren Produkten sind wir gut aufgestellt», sagt Andreas Meile. 46 Prozent des Jahresumsatzes von knapp unter einer Milliarde generiert der Hinwiler Konzern in Nord- und Südamerika.

Produktion von Belimo in Hinwil. Ein Förderband mit grau-orangen Boxen.
Belimo ist in den USA mit zwei Standorten vertreten: Ein Viertel der rund 2400 Mitarbeitenden ist dort beschäftigt. (Archiv)

An zwei Standorten in den US-Bundesstaaten Nevada und Connecticut beschäftigt der Hersteller von Antrieben, Ventilen und Sensoren für die Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik rund 600 Mitarbeitende. «Ein grosser Teil unserer Wertschöpfung findet vor Ort statt», sagt Meile. «Dennoch betreffen uns die Zölle auf Importe aus der Schweiz, Europa, Mexiko, Kanada und Asien.»

Ähnlich wie Belimo verfügt auch Elma Electronic in den drei Marktregionen Europa, Amerika und Asien sowohl über lokale Metallverarbeitungen wie auch über lokale Montagen. «Diese Struktur kommt uns sehr entgegen», sagt CEO Thomas Herrmann, «wir können sehr viel lokal produzieren.» Unmittelbar hätten die Zölle keinen Einfluss auf die Wachstumsstrategie der Elma-Gruppe und auf die Arbeitsplätze an den Standorten in der Schweiz und den USA.

Wie die Unternehmen mit den Folgen umgehen

Auswirkungen haben nicht nur die Importzölle, die die USA auf Industriegüter aus der Schweiz verrechnen. Auch die Zölle zwischen den USA und anderen Staaten tangieren die Schweizer Exporte. «Solche Zölle beobachten wir eng, um allenfalls reagieren zu können. An unserer Strategie der Dezentralisierung halten wir fest und bauen die lokale Wertschöpfung in Nordamerika weiter aus», so Belimo-Sprecher Andreas Meile.

Auch R&M stellt sein USA-Geschäft nicht infrage. Man versuche, den negativen Einfluss der Industriezölle abzufedern, sagt CEO Michel Riva: «Wir werden gewisse Komponenten in Mexiko lokalisieren, um USMCA-Konformität zu erreichen.» USMCA ist das Freihandelsabkommen, das die USA in Donald Trumps erster Amtszeit mit Mexiko und Kanada unterzeichnet hatten. (Anmerkung am Rande: Im Februar dieses Jahrs bezeichnete Trump das Abkommen als «sehr schlechten Deal» …)

Uster Technologies hat bereits begonnen, seine Produktions- und Lieferinfrastruktur neu zu bewerten. «Logistische Erwägungen und Kosten müssen den neuen Gegebenheiten entsprechend auch neu gegeneinander abgewogen werden», erklärt Joachim Maier und verweist auf einen Vorteil, den das Ustermer Technologieunternehmen hat: «Wir produzieren bereits in verschiedenen Ländern weltweit, sodass wir eine gewisse Flexibilität haben.»

Bei Huber+Suhner habe man sich weitgehend auf den Zollhammer vorbereitet, sagt Kommunikationschefin Christiane Jelinek. «Wir verhandeln mit Schlüsselkunden über die Möglichkeit, die zusätzlichen Gebühren weiterzugeben, wo diese nicht schon sowieso vom Kunden getragen werden müssen. Natürlich beobachten und evaluieren wir auch weiterhin die Entwicklungen.» Letztlich geht es auch um die Frage, wer die Zölle bezahlen soll: Der Lieferant oder der Abnehmer?

Dormakaba hat laut Kommunikationschef Patrick Lehn die Preise bereits erhöht und begründet dies mit höheren Kosten in den internationalen Lieferketten. Die direkten Mitbewerber in den USA seien gleich vorgegangen, so Lehn: «Unsere Industrie hat eine hohe Preisdisziplin.»

Auch bei Elma Electronic in Wetzikon überlegt man sich, «ob und in welcher Höhe wir die Mehrkosten an unsere Kunden weitergeben oder diese selber absorbieren», meint Thomas Herrmann.

Porträt von Thomas Herrmann, CEO von Elma Electronic. Ein Mann mit Brille, dunklem Anzug und offenem weissem Hemd.
«Unmittelbar haben die Zölle keinen Einfluss auf unsere Wachstumsstrategie und die Arbeitsplätze»: Thomas Herrmann, CEO von Elma Electronic in Wetzikon. (Archiv)

Als weitere mögliche Massnahmen nennt der Elma-CEO «die Vertiefung unserer lokalen Wertschöpfung in den USA, um Exporte aus der Schweiz und dem EU-Raum zu reduzieren». Unmittelbar hätten die Zölle keinen Einfluss auf die Wachstumsstrategie von Elma Electronic und auf die Arbeitsplätze an den Standorten in der Schweiz und den USA. 

Was die Unternehmen vom Bundesrat erwarten

«Gegenmassnahmen werden keine Wirkung zeigen», hatte R&M-CEO Michel Riva schon Anfang Woche gesagt – und sollte recht behalten. Er setzt auf Verhandlungen mit der US-Regierung, wie sie am Mittwoch mit einem 25-minütigen Telefongespräch zwischen Präsident Trump und Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (FDP) bereits aufgenommen wurden.

Das deckt sich mit den Aussagen anderer angefragter Unternehmen. «Wir wünschen uns, dass der Bundesrat die Situation mit der US-Regierung rasch klärt», sagt Thomas Herrmann von Elma. Auch Belimo möchte, dass der Bundesrat, «wie bereits geschehen, mit Nachdruck für den Abbau dieser Zölle eintritt – idealerweise bis zur vollständigen Abschaffung». Die Schweiz habe mit ihrer industriezollfreien Politik ein gutes Beispiel gesetzt.

«Ein starkes und koordiniertes Vorgehen unter Einbezug unserer Wirtschaftsverbände, um die Interessen der Schweizer Industrie zu verteidigen», wünscht sich Uster Technologies. Und das Schlusswort, das das Selbstverständnis und Selbstvertrauen der Oberländer Industrie auf den Punkt bringt, gehört Elma-Chef Thomas Herrmann: «Alles in allem: Wir werden diese Zölle überleben.»

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