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Wirtschaft

Serie: Regenerative Landwirtschaft, Teil 1

Ein Bauer aus Nänikon führt seinen Hof zurück in die Zukunft

Intensiver Ackerbau lässt unsere Böden verarmen. Die regenerative Landwirtschaft will diesen Trend umkehren. Doch noch ist sie eine Nische.

«Es braucht für die Umstellung viel neues Wissen und viel Zeit. Es ist ein steter Prozess»: Benjamin Denzler hat 2020 beschlossen, seinen Betrieb in Nänikon auf regenerative Landwirtschaft umzustellen.

Foto: Simon Grässle

Ein Bauer aus Nänikon führt seinen Hof zurück in die Zukunft

Serie: Regenerative Landwirtschaft, Teil 1

Eine neue Anbaumethode bringt frischen Wind in die Landwirtschaft. Das Schlagwort «regenerative Landwirtschaft» macht die Runde. Mit dabei: der Näniker Bauer Benjamin Denzler.

Im Jahr 1900 ernährte ein Bauernhof in der Schweiz höchstens zehn Menschen. Im Jahr 2025 sind es 180. Kunstdünger, Pflanzenschutzmittel, erfolgreiche Züchtungen und die Mechanisierung haben diesen Quantensprung in der landwirtschaftlichen Produktivität in den letzten 100 Jahren möglich gemacht.

Im Rahmen einer sechsteiligen Serie begleiten wir den Näniker Landwirt Benjamin Denzler in den nächsten Monaten.

Denzler bewirtschaftet seinen Betrieb nach Methoden der regenerativen Landwirtschaft. In dieser Serie betrachten wir verschiedene Aspekte dieses Konzepts:

2. Teil / April: Mais-Saat ohne Pflug

3. Teil / Mai: Säen in der Gründüngung

4. Teil / Juni: Die Staffelkultur – ein Versuch

5. Teil / Juli: Saat der Gründüngung und Ernte von Weizen und Raps

6. Teil / September: Holistisches Weidemanagement

Da in der Landwirtschaft vieles von der Witterung und vom Klima abhängt, sind die Erscheinungsdaten der verschiedenen Beiträge noch nicht fixiert. (zo)

Die Mechanisierung sorgte zusätzlich dafür, dass immer weniger Landwirte immer grössere Flächen bewirtschaften können. So lag die durchschnittliche Betriebsgrösse um 1900 unter 5 Hektaren, 2023 waren es 21,8 Hektaren. Um sich das bildlich vorzustellen: Diese Fläche entspricht mehr als 30 Fussballfeldern.

Der Hof von Benjamin Denzler liegt sogar noch leicht über diesem Mittelwert. Der Landwirt bewirtschaftet in Nänikon auf beiden Seiten der Oberlandautobahn 24 Hektaren, davon 18 Hektaren Ackerland. Er baut Weizen, Raps und Buchweizen als Lebensmittel an. Dazu kommen Eiweisserbsen, Gerste, Soja und Futtermais für Schweine und Hühner. Zudem produziert er auf seinen Wiesen und Weiden Futter für seine elf Milchkühe.

Die Erträge stagnierten

«Irgendwann begannen die Erträge zu stagnieren», sagt Denzler. «Ich habe jahrelang hin und her überlegt, was ich anders, besser machen könnte, um wieder mehr zu produzieren.» Schliesslich holte er sich Inspiration bei Marcel Müller in Freudwil. Müller bewirtschaftet seine «Ranch Fair Beef» seit 2018 nach regenerativen Grundsätzen.

Auch er betreibt Ackerbau und produziert Milch und Fleisch. Sein Vieh weidet dort, wo kein Ackerbau möglich ist: an Hanglagen oder in Senken, wo die Luft nicht zirkulieren kann, die Feuchtigkeit liegen bleibt und grosse Mengen an Pflanzenschutzmitteln eingesetzt werden müssten.

Der Pflug als Sinnbild

«Ich habe mich überzeugen lassen», sagt Benjamin Denzler. 2020 hat er begonnen, den Betrieb umzustellen, der damals noch seinen Eltern gehörte: «Mittlerweile ist der Pflug verkauft.»

Der Pflug steht sinnbildlich für die schädlichen Auswirkungen der konventionellen, intensiven Landwirtschaft auf die Gesundheit des Bodens. Wenn ein Landwirt seinen Acker umpflügt, greift er dabei tief in den Boden ein und damit in den Lebensraum von Kleinstlebewesen wie Bakterien, Mikro-Algen, Pilzen und Einzeller. «Im Sommer kann die Oberflächentemperatur eines frisch gepflügten Ackers rasch auf 60 oder sogar 70 Grad ansteigen, heisser als Asphalt», erklärt Denzler.

Die Organismen, die für die Zersetzung des organischen Materials und dadurch für den Aufbau der Humusschicht sorgen, bestehen aus Eiweiss. Bei Temperaturen über 42 Grad wird die Struktur von Eiweiss zerstört und die Organismen sterben ab. Als Folge verarmt der Boden. Die regenerative Landwirtschaft will den Ackerböden wieder die Struktur, Gesundheit und Fruchtbarkeit verschaffen wie im Jahr 1900.

Damals waren ein Drittel aller Beschäftigten in der Schweiz im primären Sektor tätig, heute sind es noch 2,3 Prozent. Die Landwirtschaft war eine komplett andere. Sie war auf geschlossene Kreisläufe ausgerichtet: Viehhaltung und Pflanzenanbau waren eng miteinander verbunden. Nur die eigene Gülle und der Mist dienten als Dünger – deshalb die Bezeichnung «Hofdünger».

Mit traditionellen Techniken wurde die Bodenfruchtbarkeit erhalten. Dazu gehören die Fruchtfolge, also der Wechsel der angebauten Pflanzen über die Zeit, oder die Gründüngung. Pflanzenarten wie Klee oder Lupinen, die in den Getreidefeldern wachsen, werden nicht geerntet, sondern gemulcht oder untergepflügt.

Die Bauern bauten Mischkulturen an, also mehrere Pflanzenarten auf demselben Feld. Alles Grundsätze, die zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten sind und heute in der regenerativen Landwirtschaft wieder praktiziert werden.

Regenerative Landwirtschaft

Seine Ursprünge hat das Konzept in den Vereinigten Staaten. Die Monokulturen im mittleren Westen laugten die Böden aus, worauf die Erträge zurückgingen.

Entsprechend war es ein Amerikaner, der in den 1980er Jahren den Begriff «regenerative agriculture» prägte: Agrarpionier Robert Rodale entwickelte das Konzept als Reaktion auf die negativen Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft, wie Bodenerosion, Verlust der Bodenfruchtbarkeit und der Biodiversität.

Zu Beginn der 2000er Jahre wuchs das weltweite Interesse an regenerativen Konzepten, angetrieben durch die zunehmenden Herausforderungen des Klimawandels, der Verödung der Böden und des Rückgangs biologischer Vielfalt.

Ab 2010 begannen auch in der Schweiz erste Landwirtschaftsbetriebe, auf regenerative Landwirtschaft umzustellen. Eine einheitliche Definition dieses Konzepts existiert nicht. Als weltweit erste Behörde hat das Landwirtschaftsministerium von Kalifornien im Februar eine offizielle Definition festgelegt. Ob diese von den Europäern übernommen wird, ist offen.

Die Gesellschaft Regenerativ Schweiz bietet hierzulande Kurse an und vernetzt Landwirte. Sie nennt fünf Grundsätze der regenerativen Landwirtschaft:

Biodiversität in und über dem Boden

Minimale Bodenstörung

Dauernd durchwurzelter Boden

Dauernd bedeckter Boden

Integration von Tieren

Wie viele Bauernhöfe in der Schweiz regenerativ wirtschaften, weiss niemand so ganz genau. Der renommierte Agrarjournalist und Herausgeber des Online-Magazins «Countryside», Jürg Vollmer, schätzt, dass in der Schweiz rund 2000 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche regenerativ bewirtschaftet werden. Das sind 0,2 Prozent der gesamten Nutzfläche.

Mit der Marke «Agricultura Regeneratio» will ein gleichnamiger Verein die regenerative Landwirtschaft aus der Nische holen. Der Müesli-Hersteller «Bio Familia» beispielsweise arbeitet mit dem Verein zusammen.

Und: Regenerativ ist nicht gleichzusetzen mit biologisch.

Erstes Ziel der regenerativen Landwirtschaft ist es, die ausgelaugten Böden wiederherzustellen und Humus aufzubauen. Dabei helfen Bodenlebewesen wie Regenwürmer, aber auch Kleinstlebewesen, Bakterien oder Pilze.

Das klingt jetzt zunächst sehr ökologisch und idealistisch. Aber es stecken auch knallharte ökonomische Interessen hinter diesem Konzept: Denn die gesunden Böden sollen am Ende des Prozesses zu höheren Erträgen führen und weniger Hilfsstoffe benötigen. «Es geht nicht nur darum, den Humus zu regenerieren, sondern auch das bäuerliche Einkommen», bringt Benjamin Denzler seine Motivation auf den Punkt.

Porträtbild von Benjamin Denzler von der Seite. Man sieht einen bärtigen jungen Mann mit Baseballmütze und goldenem Ohrstecker von der Seite.
«Es geht nicht nur darum, den Humus zu regenerieren, sondern auch das bäuerliche Einkommen»: Benjamin Denzler ist von der regenerativen Landwirtschaft überzeugt.

Als willkommener Nebeneffekt verbessert die ständige Bedeckung des Bodens mit Grünpflanzen die Biodiversität und den Wasserhaushalt. Und: Humusreiche Böden speichern das Treibhausgas CO2. «Die Umstellung verlangt viel neues Wissen und viel Zeit. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern ist ein steter Prozess», sagt Denzler.

Einen unerwarteten Erfolg hat ihm und Marcel Müller dieser Prozess bereits eingebracht: 2023 wurden die beiden Landwirte von der Stadt Uster bei der ersten Durchführung des Wettbewerbs «Für mehr Biodiversität in der Landwirtschaft» ausgezeichnet.

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