Er schiebt im «Bahnhöfli» in Bauma auch nach 30 Jahren keine ruhige Kugel
Dem Zeitgeist getrotzt
Seit 30 Jahren führt Markus Kradolfer das Restaurant Bahnhof in Bauma. «Ohne das Schweizer Fernsehen wäre ich nicht mehr hier», sagt er rückblickend.
Man hört Markus Kradolfer seine ursprüngliche Herkunft noch heute an. Seinen Dialekt ist der in Bürglen im Kanton Thurgau aufgewachsene Wirt im «Bahnhöfli» in Bauma auch nach drei Dekaden im Tösstal nicht losgeworden.
Vieles und viele andere musste er im Laufe der Jahre zurücklassen. Davon zeugt ein grünes Album mit der Überschrift «Zum Gedenken», das er mit einer gewissen Pedanterie führt. «Es ist manchmal erschreckend, wie viele lieb gewordene Menschen man im Lauf der Zeit verliert», sagt der 56-Jährige und blättert gedankenversunken im Album.
Darin bewahrt er Todesanzeigen und Danksagungen von früheren Gästen auf. Fein säuberlich ausgeschnitten aus dem «Tössthaler» und dem «Zürcher Oberländer». Während der Pandemie habe er viel Zeit gehabt, meint Kradolfer: «Da kam mir diese Idee.»

Covid-19 und die Massnahmen des Bundesrats zu deren Eindämmung waren einschneidend für das Gastgewerbe in der Schweiz. Dabei hatte Kradolfer noch Glück.
Sein Restaurant Bahnhof in Bauma war zwar ebenfalls betroffen. Aber er durfte weiterhin Leute bewirten, die im Aussendienst tätig waren, und wurde so zur «Büezer-Beiz». Und er verfügt über einen grossen Gartensitzplatz mit rund 70 Sitzplätzen, wo er trotz Pandemie Gäste empfangen konnte.
Dies und ein Pachterlass der Verpächterfamilie Wittwer sorgten dafür, dass das Geschäft auch 2020 und 2021 einigermassen lief und er ohne Covid-Kredite auskam. Kredite, die ab 2025 zurückbezahlt werden müssen, und manchem Beizer schlaflose Nächte bereiten.
Von der Beiz zum gepflegten Speiserestaurant
«Die Menschen hier in Bauma haben es sehr geschätzt, dass ich das Restaurant nicht einfach dichtgemacht habe», erinnert sich Kradolfer. «Es zahlt sich aus, wenn man für seine Gäste da ist.»
Zurück ins Jahr 1994, als sich Kradolfer am 1. Dezember in Bauma selbständig macht. Nelson Mandela wird erster schwarzer Präsident von Südafrika. Die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft nimmt erstmals seit 1966 wieder an einer WM teil. Die Alpeninitiative wird von Volk und Ständen angenommen. Und das «Bahnhöfli» in Bauma ist mehr Beiz als Speiserestaurant.






Bauma hat zu dieser Zeit 4400 Einwohner. Heute sind es gut 5000, Tendenz steigend. Es ist ein Trend, der Markus Kradolfer zuversichtlich in die Zukunft blicken lässt: «Es läuft einiges im Tösstal. In und um Bauma werden viele Wohnungen gebaut – und das bringt neue Gäste.»
Denn das traditionsreiche, 1881 eröffnete «Bahnhöfli» hat sich in den letzten Jahrzehnten den Ruf eines ausgezeichneten Speiserestaurants erworben. «Zu Beginn machten wir nur rund 25 Prozent des Umsatzes mit der Küche», erinnert sich Markus Kradolfer.
Mehr war nicht nötig: Die Promillegrenze lag bei 0,8, und das Rauchverbot in geschlossenen Räumen war noch in weiter Ferne. Für einen Beizer bedeutete dies, dass er mit Wein und Bier ganz gut über die Runden kam. «Und mein Ehrgeiz in der Küche war weit weniger ausgeprägt als heute», erinnert sich der gelernte Koch mit einem Lachen.
«Mini Beiz, dini Beiz» veränderte alles
2005 trat die 0,5-Promillegrenze in Kraft, 2010 folgte das Rauchverbot. «Wir haben gelitten», sagt Kradolfer rückblickend. Doch dann kam der Moment, der alles verändern sollte. Sein Stammgast und Freund Peter Thalmann, Inhaber des gleichnamigen Baumer Sanitärgeschäfts, meldete ihn bei der SRF-Sendung «Mini Beiz, dini Beiz» an.
Kradolfer witterte seine Chance: Er modernisierte das Interieur, sanierte die Kegelbahn und peppte die Gartenwirtschaft auf. Im Schweizer Fernsehen mass er sich mit den Berufskollegen vom «Rössli» in Illnau, dem Gasthof Gyrenbad in Turbenthal und dem «Schützenhaus» in Stäfa. Der Baumer Beizer nutzte die Chance, überzeugte mit Kochkunst, Service und Gastfreundschaft. Heute sagt er: «Ohne die Sendung wären wir wahrscheinlich nicht mehr hier.»
In der Folge sei es «jedes Jahr etwas besser» geworden, sagt der Wirt. Mittlerweile generiert er nicht mehr 25 Prozent, sondern 70 Prozent des Umsatzes mit der Speisekarte.

Die Küche im «Bahnhöfli» darf als gutbürgerlich und eher fleischlastig bezeichnet werden: Steak, Cordon bleu, Schnitzel, auf Vorbestellung bereitet Kradolfer ein hervorragendes Chateaubriand zu. Und auf der Speisekarte steht auch der Hausklassiker Rindsfilet mit frischer Sauce béarnaise, Gemüse und Pommes frites; damit glänzte er 2015 in der Sendung «Mini Beiz, dini Beiz».
Die Küche ist regional, aber unverkrampft: Fisch, Eier, Gemüse besorgt sich der Gastronom wenn möglich in der Umgebung. Das Reh, das aktuell die Wildkarte dominiert, hat sein Leben in den Wäldern rund um Bauma verbracht. Ausnahmen macht er beim Rindfleisch und beim Lamm – es stammt aus Übersee.
Nach der Bestellung bringt der Chef persönlich einen kleinen Gruss aus der Küche: «Und es geht kein Teller raus, der nicht ansprechend dekoriert ist», sagt Kradolfer. Das Auge isst schliesslich mit.
Bundesräte und Sportstars im Gästebuch
Sogar Prominente verirren sich ab und zu ins «Bahnhöfli» im Tösstal. So stehen Widmungen der Zürcher alt Bundesräte Ueli Maurer und Moritz Leuenberger im Gästebuch. Auch der frühere Formel-1-Fahrer Marc Surer war schon zu Gast. Und Fussballstar Remo Freuler, einst Junior beim FC Hinwil und aktuell in Italiens Food-Hauptstadt Bologna beschäftigt, kehrt ein, wenn er in seiner alten Heimat ist.
30 Jahre sind eine lange Zeit. Vor allem für einen 56-Jährigen, der an sechs Tagen pro Woche geöffnet hat und an fünf Tagen von 9 Uhr morgens bis Mitternacht in seinem Lokal steht. «Es gab in diesen Jahren noch keinen Tag, an dem ich keine Lust hatte, arbeiten zu gehen. Das ‹Bahnhöfli› ist für mich wie ein Kind.»
Dass Kradolfer gut zu diesem Kind schaut, belegen die für Restaurants immer wichtigeren Bewertungen auf Google oder Tripadvisor. Mittlerweile hat sich auch die Personalsituation entspannt, die ihn Anfang Jahr zu einem eigentlichen Hilferuf bewegt hatte. Kradolfer hat neue Mitarbeitende gefunden, die sein Team ergänzen. Zwei seiner Angestellten, Jasmina Fleischmann und Ilyiazi Hamdije, sind seit 30 beziehungsweise 23 Jahren im «Bahnhöfli» tätig: «Dafür bin ich sehr dankbar, wie auch für die Treue meiner Gäste.»

Ausgleich zu seiner 60-Stunden-Woche findet er im Laufsport. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der Wetziker Immobilienmaklerin Karin Schönbächler, nimmt der Gastronom regelmässig an Marathons teil. Der nächste Start ist im Februar 2025 in Tokio geplant. Dann wird er sein Restaurant erneut für einige Tage schliessen: «Die Verantwortung möchte ich meinen Angestellten nicht aufbürden.»
Nach den 42 Kilometern in der japanischen Metropole wird der sportliche Koch alle sechs grossen Marathons der Erde bestritten haben: New York, Boston, Chicago, Berlin, London und eben Tokio.
Aus dem Laufen schöpft Kradolfer die Kraft, auch nach drei Jahrzehnten noch leidenschaftlich seinem Beruf nachzugehen. Und aus den Begegnungen in seinem Restaurant, aus denen mit den Jahren Freundschaften entstanden. Auch wenn sie – so ist der Lauf des Lebens – manchmal zwischen zwei grünen Buchdeckeln enden.