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In Turbenthal entsteht hohe Tonqualität in Präzisionsarbeit

Die Herstellung von präzisen Plattenspielern ist nichts für Grobmotoriker. Bei der HiFiction AG hat das auch schon zu Tränen geführt.

Keine Arbeit für Grobmotoriker: Wer eine Spule für HiFiction-Tonabnehmer erfolgreich wickeln will, braucht viel Fingerspitzengefühl.

Foto: Simon Grässle

In Turbenthal entsteht hohe Tonqualität in Präzisionsarbeit

Besuch bei der HiFiction AG

Musikliebhaber aus der ganzen Welt kaufen bei der HiFiction AG ein. Die Manufaktur in Turbenthal hat sich auf analoge High-End-Produkte spezialisiert. Wie viel Fingerspitzengefühl dafür nötig ist, zeigt ein Besuch vor Ort.

Tania Wüthrich sitzt an ihrem Arbeitsplatz in der HiFiction-Manufaktur in Turbenthal, vor sich ein Stereomikroskop. Konzentriert schaut sie durch die beiden Strahlengänge, ihre Hände sind im hellen Lichtkegel vor der Vergrösserungslinse am Werk.

Ihre Finger bedienen eine Wickelmaschine. Darin eingespannt ist eine Spule, die nicht grösser ist als ein Zündholzkopf. Der darauf gewickelte Kupferdraht ist viermal dünner als ein Haar. Es ist Präzisionsarbeit auf höchstem Niveau. Ein Fehler, und man muss nochmals von vorne beginnen.

Dass Wüthrich in diesem Moment gleich mehrere Zuschauer hat, erschwert das Ganze. «Mist!», ruft sie plötzlich aus. «Ich bin so nervös, dass mir gerade der Faden gerissen ist.» Also wickelt sie den Draht, den sie eben erst fein säuberlich auf der Spule platziert hat, wieder ab.

«Anfangs heult man viel. Es bringt einen zur Verzweiflung», meint ihre Kollegin Jeannine Clavioz mitfühlend. Auch sie sitzt an einer Wickelmaschine. «Es dauert einen Monat, bis man es kann», erzählt sie. «Für die ersten Spulen braucht man zwei Stunden, später dann nur noch eine halbe.» An guten Tagen schafft sie heute 15 Stück.

Besagte Spulen sind das Herzstück der Tonabnehmer, die die HiFiction AG in ihrer Manufaktur herstellt. Sie sind für High-End-Plattenspieler gedacht. Aber auch die anderen beiden Hauptkomponenten für diese Geräte sind «Made in Turbenthal» – und zwar der Tonarm und das Laufwerk. Auf einer Betriebsführung, die einmal im Jahr stattfindet, erlebt die internationale Kundschaft hautnah mit, wie viel zeitaufwendige Handarbeit in den Produkten steckt.

Schulgeometrie brachte die Lösung

Als Führer amtet auch Walter Huber, der Vater von Firmengründer Micha Huber. Er lässt es sich dabei nicht nehmen, ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern – vor allem, was die Entstehungsgeschichte von HiFiction anbelangt.

Angefangen hatte alles vor gut 30 Jahren. Damals hatte der heute 44-jährige Micha Huber die Grundidee für seinen ersten Tonarm. Da sich der Teenager für Plattenspieler interessierte, stiess er schnell auf ein Problem, das seit der Erfindung des Grammophons besteht. Und zwar der sogenannte Spurfehlwinkel beim Abspielen der Schallplatte.

Zu diesem kommt es wie folgt: Bei der Herstellung steht der Schneidkopf, der die Musikinformation auf die Schallplatte «schreibt» respektive kratzt, immer rechtwinklig zur Tonrille. Anders sieht es beim Abspielen aus. Der fest montierte Tonarm bewegt sich kreisförmig, die Nadel wandert beim Lesen der Information gegen das Zentrum. Dabei steht sie schräg anstatt senkrecht zur Rille. Der so entstehende Spurfehlwinkel kann bis zu zwei Grad gross sein.

Für das audiophile Ohr entsteht eine unharmonische Verzerrung, der Klang kann sich nicht vollends entfalten. Es gibt zwar motorisierte Tonarme, die entlang einer Schiene über die Platte fahren und so den Winkel laufend korrigieren, aber für Huber war dieser Ansatz nicht zufriedenstellend. Er wollte eine elegantere Lösung ohne zusätzlichen Antrieb.

Unverhoffte Hilfe bot der Geometrieunterricht. Als er sich mit der Theorie des Thaleskreises und der Konstruktion von Tangenten herumschlagen musste, erkannte er plötzlich einen Zusammenhang zum Praxisproblem.

… ist ein Spezialfall des Kreiswinkelsatzes. Er besagt, dass alle Dreiecke an einem Halbkreisbogen rechtwinklig sind. Wird ein Dreieck aus den beiden Endpunkten des Durchmessers eines Halbkreises (Thaleskreis) und einem weiteren Punkt dieses Halbkreises konstruiert, entsteht immer ein rechtwinkliges Dreieck. (aki)

Huber entwickelte einen fest montierten Tonarm, der den Winkel laufend anpassen kann, und zwar ohne Hilfsmotor. Er besteht aus zwei Armen, die nebeneinander am Tonabnehmer montiert sind und seine Position so korrigieren, dass die Nadel immer senkrecht zur Tonrille steht.

Den patentierten «Ur»-Thales, den er 2005 vorstellte, hat Huber im Lauf der Jahre stetig weiterentwickelt. Das heutige Produkt gibt es in verschiedenen Ausführungen, angepasst an die Bedürfnisse der Kundschaft.

Ein paar Jahre nach seinem ersten Tonarm lancierte Micha Huber den dazu passenden Thales-Plattenspieler. 2019 kaufte HiFiction den Studiogeräte-Hersteller EMT, der für seine Tonabnehmer bekannt ist, und zügelte von Winterthur nach Turbenthal. Seither werden hier in der Manufaktur alle drei Hauptkomponenten für Plattenspieler hergestellt.

«Ich habe es im Gefühl»

Zurück zu den Arbeitsstationen, die es während der Führung zu sehen gibt. Damit die beiden Frauen in Ruhe ihre Spulen wickeln können, geht es weiter zu Laura Gulli. Bei ihr landet jeder einzelne fertig zusammengesetzte Tonabnehmer.

Sie kontrolliert, dass diese genau eingestellt sind – einfach gesagt, ob die Nadel so eingesetzt ist, dass sie die Rille richtig liest. Stimmen die Signale der beiden Kanäle – die heutigen Schallplatten sind üblicherweise in Stereo aufgenommen – überein, ist alles in Ordnung. Gibt es Abweichungen, muss Gulli nachjustieren.

Die Korrekturen, die sie vornimmt, sind mit blossem Auge nicht und unter dem Mikroskop kaum erkennbar. «Ich habe im Gefühl, wie viel es braucht», sagt Gulli. Es braucht also viel Gespür, damit die Präzision, die HiFiction ihrer Kundschaft verspricht, überhaupt möglich ist. Stimmt diese, geben Audiophile gerne mehrere zehntausend Franken für ihre Musikanlagen aus. Das wiederum ermöglicht es einer Manufaktur wie HiFiction, langfristig auf dem Markt zu überleben.

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