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Glasbläser René Burri ist einer der Letzten seiner Art

René Burri wird dieses Jahr 70. Doch ans Aufhören denkt der Glasbläser noch lange nicht. Nicht nur, weil in seiner Werkstatt viel Arbeit auf ihn wartet.

«Irgendwann geht es in Fleisch und Blut über» – nach über 50 Jahren Arbeitserfahrung kann René Burri die nötigen Handgriffe fast im Schlaf.

Foto: Simon Grässle

Glasbläser René Burri ist einer der Letzten seiner Art

Seltenes Handwerk aus Wila

Die Fertigkeiten von René Burri haben nicht mehr viele. Der gelernte Apparateglasbläser bearbeitet in seiner Werkstatt in Wila Kundenaufträge aus aller Welt.

Mit ruhiger Hand dreht René Burri das Glasröhrchen über der Flamme des Brenners. Vorwärts, dann wieder rückwärts, in einer konstanten Regelmässigkeit. Mit einem grossen, pinzettenähnlichen Werkzeug verformt er das durch die Hitze weich gewordene Glas; lässt es gross und bauchig werden, indem er kurz ins Röhrchen bläst.

«Das sieht noch nicht aus wie ein Huhn, aber es kommt», meint er mit kritischem Blick. Und siehe da, keine fünf Minuten später ist da ein kugeliger Körper, eine keck nach oben zeigende Schwanzspitze und ein kleiner Kopf mit rotem Kamm. In einem nächsten Schritt formt Burri einen gelben, unschwer als Cowboyhut erkennbaren Gegenstand und setzt ihn dem Huhn auf.

Von ebendiesen Tieren stellt der Glasbläser in seiner Werkstatt in Wila – unterstützt von einem Mitarbeiter –gerade eine ganze Batterie her. Sie sind eine Auftragsarbeit für einen Kunden in Texas. Warum es gerade Hühner sein sollen, ist schnell erklärt: Sie sind Burris langjähriges Markenzeichen.

Neben der «klassischen» Variante fertigt er immer wieder neue Themenhühner an. Es gibt sie als Jasser, Gleitschirmflieger, Motorradfahrer, Weintrinker oder auch als Homeoffice-Arbeiter. Während der Pandemie waren seine Coronavirus-Killerhühner besonders gefragt, die dem stachligen Gegner mit Messer oder Beil zu Leibe rückten.

Den genauen Ursprung «seines» Huhns vermag Burri nicht mehr zu benennen. Früher, als er mit seinem Betrieb noch an Messen teilgenommen habe, habe er regelmässig neue Sachen gebraucht, erinnert er sich. Zuerst kreierte er Vögel, die ihm dann aber zu langweilig wurden. «Ich dachte, ich könnte ihnen einfach noch einen Kamm aufsetzen. Und so sind die Hühner entstanden.» Wie erfolgreich diese werden würden, ahnte er in diesem Moment noch nicht. «Sie haben enorm eingeschlagen, das war unglaublich.»

Viele dieser Kunstwerke verkauft Burriglas nach Amerika. Dass sie ein ungebrochener Dauerbrenner sind, freut ihren Schöpfer: «Wenn ich dort irgendwo in einem Laden bin und meine Hühner sehe, habe ich den Plausch daran.» Besonders amüsiert ihn aber, dass es mittlerweile sogar Nachahmungen zu kaufen gibt, gekennzeichnet als «Kopie».

Fischen statt Berufswahl

Die Hühner machen aber nur einen kleinen Teil der Aufträge aus. Die Wünsche von Burris Kundschaft sind vielfältig. Ursprünglich waren sie allesamt aus dem kunstgewerblichen Bereich, zum Beispiel Christbaumkugeln, Teelichthalter oder Karaffen. Mittlerweile fokussiert sich sein Tagesgeschäft auf Glaselemente für Beleuchtungen jeglicher Art sowie Präzisionsglasteile für Labore und Firmen.

Denn: René Burri ist eigentlich ausgebildeter Apparateglasbläser. Sein Handwerk gelernt hat der gebürtige Wettinger bei der Brown, Boveri und Cie. (kurz BBC) in Baden, aus der später die heutige ABB hervorging. Ein Bubentraum sei es nicht gewesen, meint Burri. «Ich hatte keine Ahnung von Glasbläserei.» Anstatt sich mit der Berufswahl auseinanderzusetzen, ging er als Jugendlicher viel lieber zum Fischen an die Limmat.

Dass er trotzdem eine Ausbildung bei der BBC begann, verdankte er der Hartnäckigkeit seiner Mutter – und einer Portion Glück. Das Schicksal wollte es, dass einer ihrer Nachbarn Glasbläser bei besagter Firma war. So entstand die Idee, den jungen René Burri dort in die Lehre zu schicken.

Mit Erfolg. «Es hat mich von Anfang an fasziniert», erinnert er sich. Sein Interesse war schnell geweckt, als der Lehrmeister all die komplizierten Apparaturen zeigte, die es herzustellen galt. «Ich dachte, das will ich auch können.»

Alles geht «ganz automatisch»

Gut 50 Jahre später – davon 45 in Wila – ist Burri genau dort angekommen. Jeder Handgriff sitzt wie im Schlaf; wie er das Glas über dem Brenner drehen muss, entscheidet sein Gefühl. Auch weiss er genau, wo das Material gerade wie flüssig ist. Denn eine Kugel wird beim Blasen nur dann schön rund, wenn das Glas gleichmässig warm ist. «Wie ich es mache, kann ich gar nicht mehr sagen. Das geht ganz automatisch», sagt Burri lachend. «Das heisst aber nicht, dass ich keine Fehler mehr mache.»

Besonders knifflig ist auch das Ziehen von Spitzen – wie zum Beispiel für einen Hühnerschwanz. Da braucht es laut dem Glasbläser viel Koordination, damit die linke Hand genau das Gleiche macht wie die rechte. So weit zu kommen, sei reine Übungssache und gehe irgendwann in Fleisch und Blut über, meint er. «Wenn du 10’000 Spitzen gezogen hast, kannst du es.»


> > Lesen Sie hier, wie sich eine Redaktorin als Glasbläserin versucht.


Seine langjährige Erfahrung ermöglicht es Burri, auf viele Sonderwünsche einzugehen. Gerade tüftelt er an einem Prototyp für eine Glaskugel mit integriertem Leuchtturm, die später mit einer Flüssigkeit gefüllt werden soll. «Man glaubt gar nicht, was alles auf einen zukommt.»

So erging es ihm besonders vor über zehn Jahren, als ihn eine Anfrage aus Japan erreichte. Das Glasmuseum in Kobe war auf seine Hühner aufmerksam geworden – und gab gleich eine Massenbestellung in Auftrag. «Sie stellten uns einen Container vors Haus und sagten: ‹Wir holen ihn wieder ab, wenn er voll ist.›» Burri tat, wie ihm geheissen – mithilfe seines damaligen Teams.

Sechs Tonnen Glas für Novartis

Ein anderer Grossauftrag ist ihm ebenfalls gut in Erinnerung geblieben. Für ein neues Gebäude auf ihrem Firmencampus wünschte sich Novartis eine besondere Beleuchtung. Dafür brauchte es Glaszylinder – und zwar viele. 6000 Stück, jedes mit einer Länge von einem halben Meter und 100 Zentimetern Durchmesser, produzierte Burri mit seinen Leuten in der Wilemer Werkstatt.

Von den Platzverhältnissen her ein schwieriges Unterfangen. «Wir mussten schon zirkeln, damit das funktioniert», erinnert sich der Glasbläser. Ebenfalls nicht ohne war das Gewicht. Jeder Zylinder wiegt ein Kilo, das sind insgesamt sechs Tonnen Glas. «Novartis musste die Decke speziell bauen, damit sie hält. Das war sicher einer der verrücktesten Aufträge.»

In der Branche trug er sicher zur Bekanntheit von Burriglas bei. Wenn jemand von einer Beleuchtungsfirma einen anderen fragt, wo er eine Spezialanfertigung herbekommt, lautet die Antwort mittlerweile: «Geh zu Burri. Er ist der Einzige, der das kann.»

René Burri in seiner Glasbläserei in Wila.
Sein Ruf eilt ihm längst voraus: René Burri ist bei Spezialanfertigungen für Beleuchtungsfirmen die erste Anlaufstelle.

Dass der Glasbläser mit Arbeit schier überhäuft wird, hat aber noch einen anderen Grund. Nachwuchs ist in seiner Berufsgattung rar. Burri, der früher selbst Lernende ausgebildet hat, weiss, woran das liegt: Weil es irgendwann zu wenige Betriebe und so kaum mehr Lehrlinge gab, schloss die Glasbläserschule in Zürich. Werbung für die Lehre wurde keine mehr gemacht.

«Plötzlich merkte man, dass man keine Glasbläser mehr hat», erklärt Burri. Er ist also einer der Letzten seiner Art. Alle anderen aus seiner Generation haben längst aufgehört, ihre Betriebe geschlossen oder sind gestorben. «Man unternimmt mittlerweile grosse Anstrengungen, um wieder Lernende auszubilden.»

Glasbläser in zweitem Leben

Für Burri kommt das aber nicht mehr infrage, er wird dieses Jahr 70. Ans Aufhören denkt er trotzdem nicht. Nicht etwa wegen der vielen Aufträge, sondern weil ihm seine Tätigkeit so viel Spass macht. «Glas fasziniert mich nach wie vor. Es befriedigt mich, wenn ich damit arbeiten kann.»

Die Glasbläserei ist für ihn mehr als ein Beruf, es ist eine Leidenschaft. Diesen Weg einst eingeschlagen zu haben, hat er noch keine Sekunde bereut. «Wenn ich nochmals auf die Welt komme, dann werde ich nochmals Glasbläser», sagt er lachend. «Aber mit all dem Wissen, das ich mir mittlerweile angeeignet habe.» Sprich, er würde gerne als 20-Jähriger da weitermachen, wo er heute ist. «Es gäbe so viel, was man noch machen könnte.»

Eintauchen in das Handwerk

Wer erleben möchte, wie sich René Burris Handwerk anfühlt, kann das in einem der vielen Kurse, die die Glasbläserei anbietet, tun. Während mehrerer Stunden, von 9 bis 16 Uhr, können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selber einmal Hand am Glas anlegen. Zudem organisiert Burriglas Erlebnis-Apéros für Firmen, Vereine, Familien oder Hochzeitsgesellschaften.

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