«Steak aus dem 3D-Drucker wird möglich sein»
Der weltweite Hunger nach Fleisch wächst. Gleichzeitig ist sein Ruf ziemlich ramponiert. Aus ökologischen und ethischen Gründen soll der Mensch seinen Fleischkonsum zügeln. Forschung und Industrie suchen deshalb nach alternativen Wegen, Fleisch zu produzieren – ohne den «Umweg» um das Tier.
Was zunächst paradox tönt, nimmt immer konkretere Formen an. Es geht um Fleisch aus dem Labor. Nicht um Produkte aus der Sparte «Fleischersatz», also aus Pflanzen oder Pilzen hergestellte Fleischimitate, sondern um Muskelfleisch, das im Labor gezüchtet wird und somit unter kontrollierten Bedingungen wächst.
Riesiges Potenzial
Die entsprechende Forschung steckt zwar erst in den Anfängen, erfährt aber weltweit eine grosszügige Finanzierung. In der Herstellung von «In-vitro-Fleisch» sehen viele Unternehmen ein riesiges Potenzial. So auch die Bioengineering AG in Wald. Sie gehört zu den führenden Herstellern von Anlagen, die im Hygienebereich zum Einsatz kommen. Ihre Kundschaft stammt aus der Pharmaindustrie, der Chemie, der Kosmetik oder aus der Lebensmittelbranche.
Seit 50 Jahren produziert Bioengineering erfolgreich Bioreaktoren und Fermenter, sprich: Behälter, in denen Mikroorganismen oder Zellen unter möglichst optimalen Bedingungen kultiviert werden (siehe Box). Diese Anlagen sind für die Produktion von In-vitro-Fleisch unabdingbar. Kein Wunder, dass CEO Marc Bachmann sein Unternehmen in diesen Zukunftsmarkt hineinführen will.
Als Bioreaktor oder Fermenter bezeichnet man Behälter zur Kultivierung von Mikroorganismen oder Zellen. In ihnen werden Rohstoffe mithilfe lebender Organismen – seien es Bakterien, Hefen oder andere Pilze – umgewandelt, zum Beispiel in medizinisch-pharmakologische Produkte wie Impfseren und Krebsmedikamente. Die Anlagen der Bioengineering AG in Wald ermöglichen eine Steuerung und Überwachung zahlreicher Faktoren: die Zusammensetzung der Nährlösung, die Sauerstoffzufuhr, der pH-Wert, die Temperatur oder der Druck. gau
Bachmann führt die Geschäfte der Bioengineering AG seit vier Jahren. Hinter ihm liegen durchaus turbulente Jahre. Im März 2020 musste er wegen starker Auftragsrückgänge in Asien 20 Mitarbeitende entlassen. Die dortigen Märkte für die Herstellung von Arznei- und Krebsmitteln, basierend auf tierischen Zellkulturen, waren stark unter Druck geraten, wie der CEO ausführt.
In der Folge rauschten die Preise für Anlagen zur Herstellung von Medikamenten und Impfstoffen in den Keller. Diese Entwicklung habe deshalb besonders ins eigene Kontor geschlagen, weil China der wichtigste Abnehmer von Bioengineering-Anlagen sei.
Arbeiten ausgelagert
Laut Bachmann sind die damals entstandenen Herausforderungen inzwischen erfolgreich gemeistert, der einstige Personalbestand schon fast wieder erreicht. Als Folge der Marktlage sei man dazu übergegangen, gewisse Arbeiten nicht mehr selbst zu erledigen, sondern von geeigneten Firmen ausführen zu lassen. Dies betreffe aber nur einen kleinen Teil der für die Fertigung von Bioreaktoren nötigen Arbeiten.

Die heikelsten und wichtigsten Arbeiten fänden nach wie vor in Wald statt. Damit werde eine lückenlose Kontrolle der Fertigung und die Einhaltung hoher Qualitätsansprüche gewährleistet. Allerdings spüre man den Fachkräftemangel. Derzeit seien sieben Stellen zu besetzen.
Jede Anlage ein Unikat
Die Herstellung einer kompletten Anlage beansprucht in der Regel zwölf bis 18 Monate, sagt Gero Greive. Er ist Entwicklungschef von Bioengineering. Auf Vorrat könne man nicht produzieren, weil jede Anlage die spezifischen Anforderungen der Kundschaft erfüllen müsse und somit mehr oder weniger ein Unikat sei.
Verzögere sich eine Bestellung – aus welchen Gründen auch immer –, wirke sich dies unmittelbar auf das Arbeitsvolumen in Wald aus. Da man in einer sehr spezialisierten Branche unterwegs sei, könne man nicht auf die Produktion anderer Komponenten ausweichen.
«Wir produzieren praktisch alles selbst und haben uns einen Vorrat an Rohmaterial angelegt.»
Marc Bachmann, CEO Bioengineering AG
Die derzeit überall geltend gemachten Lieferengpässe betreffen auch die Bioengineering AG. Allerdings würden sich die daraus resultierenden Einschränkungen in Grenzen halten, sagt CEO Bachmann. «Wir produzieren praktisch alles selbst und haben uns deshalb einen Vorrat an Rohmaterial angelegt.»

Im Falle von Chromstahl betrage die Lieferzeit bereits fünf bis acht Monate, Preisofferten hätten eine Gültigkeitsdauer von nur 24 Stunden. «Das ist absurd.»
Laut Entwicklungschef Greive treten manchmal Probleme bei der Lieferung von Messgeräten auf, vor allem bei Chips. In einigen Fällen helfe dann nur noch eine Methode: «Wir müssen die Chips umprogrammieren.»
Bisher habe man jedoch immer alle Liefertermine einhalten können, versichert der CEO.
« Fragile Wesen »
Von den Arzneimittel- und Impfstoffherstellern würde Bioengineering als verlässlicher Partner geschätzt. Dies nicht zuletzt, weil man in den letzten Jahren auch immer wieder eigenständig Systeme entwickelt habe, um die Produktion zu verbessern. Zum Beispiel Rührsysteme, die Zellen in den Reaktoren vor Scherkräften beim Rühren schützen.
Bachmann erklärt: Zellen seien « fragile Wesen » . Werde die wässrige Mischung mittels Luftblasen durchmischt, könnten schon zu grosse Luftblasen die Zellwände beschädigen.
Keine Kompromisse
Neben der Produktion absolut steriler Wirkstoffe sind die Systeme und Anlagen von Bioengineering auch dahingehend weiterentwickelt worden, dass sie sich gründlich reinigen lassen, wie Greive ausführt.
«Jedes Einzelteil, jede Schweissnaht wird geprüft.»
Marc Bachmann, CEO Bioengineering AG
Die Reinigung solch komplexer Anlagen sei eine grosse Herausforderung und stelle höchste technische Anforderungen. «Jedes Einzelteil, jede Schweissnaht wird geprüft und die Prüfresultate werden protokolliert», ergänzt Bachmann.
Entsprechend hoch sei der administrative Aufwand. «Zu umgehen ist das nicht, denn wir liefern die Sicherheit, die in diesem Bereich gefragt und nötig ist.» Bei der Herstellung von Medikamenten müssten sie absolute Keimfreiheit garantieren.

Ein weiterer Pluspunkt sei, dass man eine Anlage von A bis Z in Absprache mit der Kundschaft entwickle. Dies schliesse auch komplexe Automatisierungslösungen inklusive Software ein.
Not macht erfinderisch
Zusätzlich zur rückläufigen Marktentwicklung in Asien sorgte auch die Corona-Pandemie für Aufregung bei Bioengineering. «In Wuhan, wo die Pandemie ausbrach, arbeiteten zehn unserer Mitarbeiter, die wir umgehend evakuieren mussten», erinnert sich Marc Bachmann. Das sei insofern schlimm gewesen, als zu diesem Zeitpunkt eine grosse Anlage hätte montiert werden sollen.
«Wegen der Zeitverschiebung arbeiteten wir immer mitten in der Nacht.»
Gero Greive, Entwicklungschef Bioengineering AG
Um deren Fertigstellung zu bewerkstelligen, seien die notwendigen Arbeiten von Spezialisten aus der Ferne gesteuert worden. Dazu habe man die Arbeiter in Wuhan mit Helmkameras ausgerüstet und sie via Bildschirm-Kommunikation Schritt für Schritt durch die Montage geführt, sagt Gero Greive. «Wegen der Zeitverschiebung arbeiteten wir immer mitten in der Nacht. Das Ganze hat erstaunlich gut funktioniert.» Vor 15 Jahren wäre ein solches Vorgehen noch nicht möglich gewesen.
Von klein nach gross
Mit dem In-vitro-Fleisch steht eine neue Herausforderung vor der Tür. Um vorne mitspielen zu können, kommt es auch auf die Geschwindigkeit an. Weltweit wird unter Hochdruck daran gearbeitet, Fleisch künstlich herzustellen. Bachmann gibt zu bedenken: «Die zu überwindenden Hürden für ein Steak aus dem 3D-Drucker sind noch sehr hoch, aber es wird möglich sein.»
Neben der Vermeidung von Tierleid sieht der CEO noch einen weiteren Vorteil in der Produktion von In-vitro-Fleisch. So falle der Einsatz von Antibiotika weg.
«Man kann kleine Apparate nicht einfach vergrössern, sie werden nicht funktionieren.»
Marc Bachmann, CEO Bioengineering AG
Bioengineering will im entstehenden Markt eine gewichtige Rolle spielen. Auf dem Weg dorthin muss das Unternehmen aber handfeste technische Probleme lösen. Immerhin benötigt die Industrie zur Produktion des Fleisches ausreichend grosse Bioreaktoren, um überhaupt wirtschaftlich zu sein. «Man kann kleine Apparate nicht einfach vergrössern, sie werden nicht funktionieren. Es braucht neue Anlagen mit dem entsprechenden Zubehör, und diese müssen zuerst entwickelt werden.»
Vor den Ingenieuren und Designern von Bioengineering liegt also noch viel Arbeit.