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Mönchaltorfer Pioniere wollen Landwirtschaft umkrempeln

Auf dem Hof von Slowgrow in Mönchaltorf herrscht ein buntes Nebeneinander von Gemüse und Getreide. Welches Potenzial in kleinen Streifen Anbaufläche steckt, verraten der Gründer und seine Hoflabor-Partnerin im Interview.

Matthias Hollenstein hat den Betrieb Slowgrow 2014 gegründet, Petrissa Eckle leitet seit kurzem das Hoflabor., Gemeinsam tüfteln sie an naturnahen, aber auch ertragreichen Anbaumethoden, die sie digital auswerten., Damit wollen sie konventionellen Landwirten helfen, klimafreundlich zu produzieren., Es gibt aber noch grosse Hürden zu überwinden, bevor ihre Anbaumethode zum neuen Standard werden kann.

Christian Merz

Mönchaltorfer Pioniere wollen Landwirtschaft umkrempeln

Langsam, aber stetig ist in Mönchaltorf eine alternative Form der Landwirtschaft herangewachsen. Die treibende Kraft dahinter heisst Slowgrow. Der Betrieb wurde 2014 von Matthias Hollenstein gegründet. Auf 20 Hektaren baut der gelernte Polymechaniker zusammen mit seinem Geschäftspartner Samuel Bähler Getreide und Gemüse an. Ihre Abnehmer sind Restaurants, Bäckereien und Privatkunden.

Das Besondere: Bei laufender Produktion entstehen in Mönchaltorf sowie in Gossau neuartige Anbaumethoden, die ohne Gülle und Dünger auskommen und gleichzeitig die Humusschicht verbessern. Die Fläche ist unterteilt in rund 700 Beete. Das Nebeneinander verschiedener Kulturen ergibt eine mosaikartige Struktur.

Klima-Allianz ehrt Ansatz

Für die Auswertung der Anbaumethoden ist Petrissa Eckle zuständig. Gemeinsam mit Hollenstein leitet sie das dazugehörige Hoflabor, ein neues und eigenständiges Projekt, in dem die gewonnenen Erkenntnisse aufbereitet werden. Als Leiterin des «Sustainability in Business Lab» an der ETH Zürich hat Eckle jahrelang zwischen der Forschung und Industrie vermittelt, um Firmen nachhaltiger zu machen.

Für ihre klimafreundliche Anbaumethode erhielten die Pioniere kürzlich den Prix Climat der Klima-Allianz Schweiz. Das Interview fand am 24. März statt – noch vor dem jüngsten Kälteeinbruch .

Nach wochenlangen Sonnentagen mit wenig Niederschlag: Wie geht es dem Boden?
Matthias Hollenstein: Der Boden im Zürcher Oberland ist nur oberflächlich ausgetrocknet, darunter haben wir immer noch genug Feuchtigkeitsreserven.

Hilft es, dass Sie Ihre Beete mit Mulch abdecken?
Hollenstein: Damit können wir die Verdunstung zumindest hinauszögern, falls die Trockenheit anhält.

Bisher ist noch kein Mulch ausgetragen.
Hollenstein: Das kommt später. Im Frühling muss der Boden zuerst einmal warm werden, damit die Pflanzen wachsen können. Dies würde der Mulch verhindern. Dafür kühlt er im Sommer.

« Es passieren viele Prozesse unter der Mulchschicht, von denen wir längst nicht alle verstehen. »
Matthias Hollenstein, Gründer Slowgrow

Wozu ist das gut?
Hollenstein: Viele Pflanzen, zum Beispiel Kartoffeln, stellen ihr Wachstum ein, wenn es im Boden zu heiss wird. Der Mulch schützt aber nicht nur gegen Überhitzung und Austrocknung. Er sorgt auch für ein aktiveres Bodenleben, weil wir während der Vegetationszeit nicht hacken müssen. So werden die Regenwürmer nicht gestört, ihre Wurmgänge bleiben intakt. Es passieren ganz viele Prozesse unter der Mulchschicht, von denen wir längst nicht alle verstehen.

Sie haben dieses Interview unter einer Bedingung zugesagt: Dass wir Ihre Anbaumethoden nicht als Patentlösung für alle Probleme in der Landwirtschaft darstellen. Was stört Sie daran?
Hollenstein: Von aussen entsteht schnell der Eindruck, als ob wir die Antwort auf die grossen Fragen schon wüssten. Natürlich haben wir in den letzten acht Jahren viel gelernt und entdeckt. Gleichzeitig sind aber noch mehr Fragen aufgetaucht.

Petrissa Eckle: Im Hoflabor entwickeln wir Methoden, die robust genug sein sollen, dass wir sie anderen Landwirten weitergeben können. Gewisse Medienberichte lösen jedoch Erwartungen aus, die wir zurzeit nur enttäuschen könnten. Damit drohen gute Ideen zu verbrennen, bevor sie ausgereift sind.

« Er gibt vermutlich kein pfannenfertiges Rezept. »
Petrissa Eckle, Leiterin Hoflabor bei Slowgrow

Welchen Zeithorizont haben Sie sich gesteckt?
Hollenstein: In den nächsten drei Jahren arbeiten wir die bisherigen Ansätze zu einem Konzept aus.

Eckle: Aber auch dann gibt es vermutlich kein pfannenfertiges Rezept. Jeder Landwirt, der sich mit uns auf den Weg macht, wird eine gewisse Lernkurve durchlaufen. Wir versuchen, sie abzukürzen.

Auf einem Acker sind zwei Personen, die eine hält einen Sämling in der Hand, die andere fotografiert diesen.

Was ist die grösste Hürde?
Hollenstein: Dass fast alle Anbaumethoden und landwirtschaftlichen Maschinen einen nackten Boden voraussetzen. Bei Böden mit viel kohlenstoffreichem organischem Material verstopfen die Geräte. Nur schon Strohreste erschweren oder verunmöglichen das Pflanzen oder Säen. Gestern Abend war ich bis um halb zehn auf dem Hof, um die Setzlingsmaschine umzubauen – zum fünften Mal. Diese Entwicklung hat einfach noch niemand gemacht.

Weil es keinen ausreichend grossen Markt gibt?
Hollenstein: Ein rein produzierender Landwirt kann sich solche Pannen schlicht nicht leisten. Das wäre ein finanzielles Desaster. Es braucht eine hohe Frustrationstoleranz. Als Versuchsbetrieb stellen wir uns diesen Herausforderungen, um Innovationen anzustossen.

Sie leiden stellvertretend für andere.
Hollenstein: Es geht nicht anders. Wir setzen uns für eine naturnahe Landwirtschaft ein – mit viel Kohlenstoff in der obersten Erdschicht, ohne den Einsatz von Pflug, Dünger oder Spritzmitteln. Das hilft dem Klima und der Biodiversität. Um diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen, muss man neue Dinge auf dem Feld ausprobieren und entsprechend leidensfähig sein.

Eckle: Die gute Nachricht ist: Wenn es uns gelingt, die Herstellung zuverlässiger Maschinen zu befördern, haben wir einen grossen Schritt vorwärts gemacht. Technische Errungenschaften lassen sich leicht weitergeben – verglichen mit dem Transfer von Fähigkeiten und Wissen über die Zusammenhänge im Boden.

« Bei klassischen Maschinenbauern beissen wir uns oft die Zähne aus, wenn wir etwas Spezielles wollen. »
Matthias Hollenstein, Gründer Slowgrow

Arbeiten Sie dazu mit der Industrie zusammen?
Eckle: Wir sind in einem Netzwerk mit anderen Pionieren. Mit ihnen tauschen wir uns aus und suchen gemeinsam nach Lösungen für technische Probleme.

Hollenstein: Bei klassischen Maschinenbauern beissen wir uns dagegen oft die Zähne aus, wenn wir etwas Spezielles wollen. Wir müssen Standardmaschinen kaufen und solange abändern, bis sie für unsere Zwecke funktionieren. Das kostet Zeit und Geld.

Daneben setzen Sie stark auf Digitalisierung. Wozu genau?
Eckle: Wir haben sämtliche Anbauflächen mittels GPS in einzelne Traktorspuren aufgeteilt, so dass wir jedes Beet separat planen, ansteuern und bearbeiten können. Dafür benötigen wir digitale Unterstützung. Wir müssen wissen, welche Kulturen bisher auf einem Beet gewachsen sind, um eine geeignete Nachfolgekultur auszuwählen. Es soll ja nicht nur der Ertrag stimmen, sondern auch der Boden aufgebaut werden. Unter der Saison hilft uns die App, die einzelnen Kulturen, die auf verschiedenen Beeten verteilt sind, effizient abzufahren.

Eine Frau und ein Mann stehen nebeneinander auf dem hinteren Teil eines Traktors, der sich auf einem Acker befindet.

Sie haben vor Kurzem die Mosaik Design AG registrieren lassen. Was hat es damit auf sich?
Eckle: Das ist die Firma im Hintergrund des Hoflabors. Wir mussten sie gründen, um den Aktivitäten des Hoflabors ein Gefäss zu geben und Projektgelder aufnehmen zu können.

Hollenstein: Bisher haben wir die Forschung und Entwicklung aus der eigenen Produktion finanziert. Mit den Einnahmen aus dem Verkauf an die Gastronomie waren wir imstande, neue Versuchsreihen zu starten und weiter zu wachsen. Gleichzeitig stiegen die Personalkosten, und die benötigten Maschinen wurden aufwendiger und teurer. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich die Last nicht mehr privat auf mich nehmen kann.

« Die Gesellschaft wälzt die Lösungssuche auf den Bauern ab. »
Matthias Hollenstein, Gründer Slowgrow

Warum?
Hollenstein: Ich halte es für problematisch, dass die Gesellschaft die Lösungssuche auf den Bauern abwälzt. Er soll innovativ sein, das Klima schützen, die Biodiversität retten. Dafür bekommt er zwar Direktzahlungen, aber dieses Geld braucht er zur Einhaltung der Konsumentenpreise. Die teuren Maschinen und deren Umrüstung kann er davon nicht finanzieren. Ebenso wenig hat er Zugang zu Forschungsgeldern. Diese gehen an die Hochschulen, die die alltäglichen Probleme auf dem Feld gar nicht kennen. Und Stiftungen tun sich schwer, einen Bauern als Unternehmer zu unterstützen.

Der Bauer fällt zwischen Stuhl und Bank?
Hollenstein: Ja. Deswegen haben wir mit dem Hoflabor ein zweites Gefäss geschaffen, in dem die Forschung und Entwicklung angesiedelt ist – nicht nur für Slowgrow, sondern auch für andere Pionierbetriebe.

Wer finanziert das Hoflabor?
Hollenstein: Die neue Klimastiftung Clima Now hat uns ein Startkapital zur Verfügung gestellt.

Eckle: Wir sind aber mit weiteren Stiftungen im Gespräch.

Auf einem Acker hält ein junger Mann einen Sämling in die Handykamera einer anderen Person.

Im Videoporträt für den Prix Climat nennen Sie Ihre Anbaumethode «Mosaiklandwirtschaft».
Hollenstein: Das ist ein wenig bekannter Begriff, den wir etablieren wollen. Er hebt auf die mosaikartige Struktur unserer Beete ab. Das Nebeneinander der Kulturen lässt sich immer wieder neu kombinieren. Neben einem Streifen Weizen wächst ein Streifen Kartoffeln und dann ein Streifen Gemüse oder Beeren.

Welchen Nutzen haben die Kleinstrukturen mit diversen Kulturen?
Hollenstein: Die Biodiversität hilft uns, das natürliche Gleichgewicht zu halten. Würden wir stattdessen ein grosses Weizen- oder Kohlfeld bewirtschaften, hätten wir ein Schädlingsproblem. Der Kohlweissling würde sich unter den zigtausend Kohlpflanzen rasch ausbreiten. Dem wirkt die grosse Vielfalt entgegen. Zudem finden die Vögel ausreichend Rückzugsorte in der produzierenden Fläche und picken praktisch alle Kohlschädlinge ab. In unserem System brauchen wir keinen Pflanzenschutz.

« Wir wollen die Landwirtschaft dadurch verändern, dass wir konventionellen Landwirten als Vorbild dienen. »
Matthias Hollenstein, Gründer Slowgrow

Aber wie wollen Sie auf den kleinen Flächen in ausreichender Menge produzieren?
Eckle: Das ist ein Totschlagargument, wie wir es schon aus den Debatten um konventionelle Landwirtschaft und Bio-Landwirtschaft kennen. Wenn man weltweit Bio-Anbau betreiben wolle, so das Argument, dann bräuchte man mehr Landflächen.

Hollenstein: Dabei ermöglicht gerade die Doppel- und Dreifachnutzung von jedem Meter Anbaufläche, die Produktion zu steigern. Kürzlich haben wir versuchsweise eine Untersaat von Karotten in die Gerste ausgebracht. Diese Methode wurde im Zweiten Weltkrieg aus schierer Notwendigkeit entwickelt und geriet dann in Vergessenheit.

Ihr Pionierbetrieb besteht seit 2014. Wird er von anderen Landwirten inzwischen als ernstzunehmende Alternative wahrgenommen oder als Idealismus abgetan?
Hollenstein: Wir wollen die Landwirtschaft dadurch verändern, dass wir konventionellen Landwirten als Vorbild dienen. Sie sollen uns kopieren, weil es ihnen zusätzlich nützt, und nicht aus Idealismus. Wir hatten 2018, trotz grosser Trockenheit, eine gute Kartoffelernte, weil unsere Beete ausreichend beschattet waren. Und 2021, im nassesten Jahr, konnten wir eine Rekordernte bei den Kartoffeln einfahren. Es ist diese Resilienz des Anbausystems, die andere Landwirte überzeugt.

« Die genaue Art der Zusammenarbeit mit den anderen Pionierbetrieben müssen wir noch klären. »
Petrissa Eckle, Leiterin Hoflabor bei Slowgrow

Wie viele Betriebe folgen Ihrem Beispiel?
Hollenstein: Seit kurzem betreuen wir drei Pionierbetriebe in der nächsten Umgebung sowie einen weiteren in der Toskana.

Eckle: Wir haben ihnen im letzten Herbst bei der Aussaat der Gründüngung geholfen. Es gibt auch schon einen Plan, was jeweils gepflanzt wird. Die genaue Art der Zusammenarbeit müssen wir aber noch klären. Jeder Hof hat andere Interessen.

Setzen Ihre Nachfolger komplett auf Mosaiklandwirtschaft?
Eckle: Bisher wenden sie unsere Methoden nur auf Testflächen an.

An der Verleihung des Prix Climat sagten Sie, Ihr Pionierbetrieb stünde «quer in der Landwirtschaft». Wollen Sie diese Position irgendwann verlassen?
Hollenstein: Nein, die anderen können sich auch querstellen. Es ist unsere Aufgabe, einen neuen Standard für die Landwirtschaft zu setzen. Die Mosaikdenkweise darf nicht zum schmückenden Beiwerk für konventionelle Betriebe werden. Wir nehmen unsere Pionierpartner an die Hand und vermitteln ihnen einen Wissensvorsprung, damit sie sich auch « quer » wohlfühlen.

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