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«Es wäre bireweich, gegen Victorinox anzutreten»

Er erhebt einen Alltagsgegenstand in den Rang eines Schmuckstücks. Der Dübendorfer Marco Guldimann fertigt edle Küchenmesser. Ein Interview über berufliche Wagnisse, das Schmieden als Kunstform und warum seine Unikate nicht fürs Survival Kit taugen.

Mit edlen Küchenmessern hat sich der Dübendorfer Marco Guldimann einen Namen gemacht., Für seine Einzelanfertigungen zahlen Kunden mindestens 1400 Franken., Guldimann ist so gefragt, dass er auf Monate hinaus ausgebucht ist.

Seraina Boner

«Es wäre bireweich, gegen Victorinox anzutreten»

Ein Schmiedeofen, ein Amboss, eine Spindelpresse und ein Dutzend weiterer Maschinen – all das auf engstem Raum. Marco Guldimann lässt keinen Winkel seiner Werkstatt ungenutzt. Seit 2012 entstehen hier, im ehemaligen Amag-Gebäude in Schwamendingen, hochwertige Küchenmesser. Bis zu 60 Stunden wendet der Dübendorfer, der gebürtig aus Freiburg stammt, für die Unikate jeweils auf. Mindestens 1400 Franken kostet ein Messer aus seiner Hand.

Der 34-Jährige ist der Shootingstar unter den Schweizer Messerschmieden. Dabei hat er ursprünglich eine Ausbildung zum Koch und später zum Hotelier HF absolviert. Parallel zu seiner Arbeit in der Spitzengastronomie brachte er sich das Schmieden selber bei. Mit zunehmendem Erfolg verlagerte sich der Schwerpunkt zugunsten der Messerproduktion.

Ein gelernter Koch wechselt das Fach und produziert Messer – das klingt, mit Verlaub, nach einer Schnapsidee.
Marco Guldimann: Eine totale Schnapsidee! Zunächst war ich einfach nur fasziniert vom Handwerk und wollte herausfinden, ob ich das technisch hinbekomme.

Und?
Die ersten Versuche gingen alle schief. Daraufhin habe ich das Werkzeug gewechselt und am Verfahren herumgetüftelt. Nach und nach klappte es immer besser. Von Perfektion war ich damals aber noch meilenweit entfernt .

Hätten Sie sich träumen lassen, einmal von diesem Hobby zu leben?
Nein, niemals. In den ersten Jahren produzierte ich nur kleinste Stückzahlen und war froh, überhaupt etwas dafür zu bekommen. Das Geld habe ich gleich in neues Werkzeug investiert. Irgendwann ging es los, dass ich meine eigenen Maschinen baute. Dadurch konnte ich den Absatz langsam steigern. Ab 2014 bin ich dann steuertechnisch relevant geworden.

Aber Sie haben noch jahrelang als Koch weitergearbeitet.
Es braucht viel Mut, sich selbständig zu machen. Lange Zeit war ich skeptisch, ob die Messer genug einbringen könnten. Aber als die Bestellungen immer mehr wurden, habe ich mir gesagt… (er zeigt auf einen Metallschrank, an dem ein knappes Dutzend Skizzen von Messern für Kunden hängt)… wenn ich ein Jahr im Voraus ausgebucht bin, dann wage ich den Schritt in die Selbständigkeit.

Ende 2019 war dann ganz Schluss mit der Spitzengastronomie. Sind Sie auch vor der Hektik der Küche geflohen?
Ein Stück weit schon. Nur wenige in dem Metier schaffen es ohne Berufskrankheit bis zur Rente. Andererseits ist der Kontrast zu meiner alten Arbeit gar nicht so gross. Sowohl in der Werkstatt als auch in der Küche verändere ich ein Produkt per Handarbeit auf physikalisch-chemischem Weg, es geht heiss zu und her, und alle Handgriffe müssen schnell und präzise ausgeführt werden.

Trotzdem satteln wohl nur die wenigsten Köche zu Messerschmieden um.
Weltweit gibt es schon ein paar. Das sind auch die Topshots, die am meisten von ihrem Handwerk verstehen, weil sie wissen, worauf es ankommt.

Etliche grosse Messerproduzenten bestimmen den Markt. Was unterscheidet Ihre Einzelanfertigungen von der Industrieware?
Weniger Kompromisse. Je massentauglicher ein Messer, desto mehr Sicherheitsreserven müssen einberechnet werden , um den Rücklauf möglichst gering zu halten. Die Hersteller wissen ja gar nicht, wer das Messer letztlich benutzt, wie die Person damit umgeht, welche Fähigkeiten sie hat oder was sie überhaupt schneiden will. Für mich sind alle diese Informationen entscheidend, um dem Kunden ein für seine Bedürfnisse passendes Messer zu fertigen.

« Wenn Sie eher filigran arbeiten, werden Sie mit diesem Messer wenig Freude haben. »

Dort im Schrank liegen fertige Arbeiten. Was spricht dagegen, dass ich mir ein Messer aussuche?
(Er nimmt ein Exemplar mit wellenförmig gemusterter Klinge heraus.) Angenommen, dieses Messer aus Damaszener-Stahl gefällt Ihnen wahnsinnig gut. Dessen Auftraggeber hat nun aber einen hohen Anspruch an Robustheit. Damit gehen zwangsläufig Abstriche beim noblen Schnittverhalten einher, sprich: Man muss mehr Kraft beim Schneiden aufwenden. Wenn Sie eher filigran arbeiten, werden Sie mit diesem Messer wenig Freude haben.

Die Art des Materials und die spezifische Form bestimmen die Beschaffenheit?
Nicht nur, auch die Wärmebehandlung spielt eine wichtige Rolle. Eine von vielen Fragen ist: Wie hart mache ich das Messer? Kann ich dem Kunden das Maximum an Schneidleistung anvertrauen oder nicht? Denn wenn ich die Grenzen ausreize, besteht auch ein höheres Risiko, dass es bei unsorgfältiger Handhabung zum Bruch kommt.

Sind Sie im Kollegenkreis eigentlich als Messer-Nörgler verschrien?
Mir sträuben sich schon gelegentlich die Nackenhaare. Den Leuten ist ja bewusst, dass ein stumpfes Messer ein Sicherheitsrisiko darstellt. Es funktioniert irgendwie, aber man muss drücken wie ein Tiger. Daraus ergeben sich dann lustige Gespräche. Ein Jahr später kaufen sie ein neues Messer – so einfach ist das (lacht). Wenn ich zum Kochen eingeladen bin, nehme ich aber mein eigenes Messer mit .

Ist Schärfe allein matchentscheidend?

Schärfe ist ein wichtiger Aspekt – neben Geometrie, Abnutzungswiderstand und der daraus resultierenden Schneidfähigkeit. Mit einem richtig scharfen Messer aus meiner Hand wird die Schnittfläche eines Rüeblis so glatt wie Glas. Das spüren Sie auf der Zunge. Die Oberfläche ist massiv kleiner als bei einem stumpfen Messer und oxidiert entsprechend weniger. Zudem bleibt der Lebensmittelsaft im Gemüse, statt auf dem Schneidbrett zu landen.

« Natürlich könnte ich innert drei Stunden ein Messer raushauen. »

30 bis 60 Stunden benötigen Sie für ein Messer. Warum dauert das so lange?
Weil es Handarbeit ist. Die Filigranität, die ich anstrebe, lässt sich industriell kaum erzeugen . Natürlich könnte ich innert drei Stunden ein Messer raushauen , aber das Qualitätsniveau würde massiv sinken und der Preis auch . Ich müsste 500 Messer pro Monat produzieren, um davon leben zu können. Das wäre Raubbau am eigenen Körper.

Sie hätten auch ganz andere Konkurrenz.
Meine Messer taugen nicht fürs Survival Kit . Dafür gibt es das Schweizer Sackmesser. Es wäre auch bireweich, gegen Victorinox anzutreten. Die haben alle Prozesse roboterisiert und produzieren zigtausend Messer pro Tag.

Kommt es noch vor, dass Ihnen ein Messer misslingt?
Oh ja, absolut. Meisterlich zu sein, bedeutet, sich auf einem immer schmaleren Grat zu bewegen. Jede Unachtsamkeit birgt die Gefahr abzurutschen.

Was heisst « schmaler Grat » konkret?
Beim Aufwärmen des Stahls ist es zum Beispiel wichtig, die Temperaturdifferenz möglichst gering zu halten. Ansonsten entstehen Risse. Ich musste schon einige Messer wegschmeissen, weil ich den Werkstoff zu schnell aufgewärmt hatte.

Ist der Griff eines Messers genauso wichtig wie die Klinge?
Das ist schwer zu quantifizieren. Wichtig ist, dass der Griff nicht sofort suggeriert, wie man ihn halten soll. Einige Hersteller hielten es für eine gute Idee, ein exakt an die Hand und die Fingerhautstruktur angepasstes Griffteil zu entwickeln. Aber niemand hält ein Messer starr in der Hand, denn jedes Rüebli ist unterschiedlich gross. Zudem hätten wir ständig eine Entzündung im Arm, wenn wir die Haltung nicht ändern würden.

Hat die Ästhetik manchmal einen höheren Stellenwert als die Funktionalität?
Meine Messer sind eine Mischung aus Werkzeug und Kunstgegenstand. Je nach Kunde liegt der Akzent mehr auf dem einen oder auf dem anderen. Die Ästhetik trägt massgeblich dazu bei, wie gern jemand das Messer benutzt, und hat insofern ihre Berechtigung.

« Der Schweizer putzt lieber seine Autofelgen, statt auf ein gutes Küchenmesser achtzugeben. »

Sind Sie also ein Künstler?
Ich habe den Anspruch, möglichst gute Werkzeuge herzustellen. Ob meine Arbeit in die Kunst hineinspielt, liegt im Auge des Betrachters. Ich selber würde mich nicht als Künstler bezeichnen. Für viele Kunden spielt das auch keine Rolle.

Wer bestellt bei Ihnen?
Überwiegend Privatkunden. Das sind essensaffine Leute, die auf Gastro-Reisen gehen und « Chef’s Table » auf Netflix gucken. Die meisten kommen aus der Schweiz. Ich habe aber auch Bestellungen aus dem Ausland.

Ihr altes Berufsumfeld, die Spitzengastronomie, erreichen Sie offenbar kaum. Warum?
Vermutlich hat das kulturelle Gründe. In Japan ist die Affinität zu Schneidegeräten aus der jahrhundertealten Tradition der Schwertkunst hervorgegangen und gesellschaftlich breit verankert. Die Menschen achten auch viel mehr auf die Pflege ihrer Messer. Der Schweizer putzt lieber seine Autofelgen, statt auf ein gutes Küchenmesser achtzugeben. Das gilt auch für die Gastronomie. Alle wollen scharfe Messer haben, aber keiner weiss, wie man richtig nachschärft. Viele Köche fühlen sich dafür auch nicht verantwortlich, weil sie meistens keine persönlichen Messer benutzen.

Inzwischen haben Sie sich einen Namen gemacht, Zeitungen und Fachzeitschriften berichten über Ihre Arbeit. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Dazu brauchte es eine gehörige Portion Glück. Ich durfte an die richtigen Leute herantreten, die Vertrauen in mich setzten und meine Messerschmiede in ihrem Umfeld bekannt machten. Natürlich bin ich auch auf potenzielle Kunden zugegangen –  aber nicht nach der Devise: « Brauchen Sie ein neues Messer? » Das funktioniert nicht. Ich will vielmehr wissen, welche Person ich da vor mir habe und wie sie arbeitet. Mein Anspruch war nie, sofort eine Bestellung auszulösen.

An der Wand hängt ein Foto von Ihnen mit dem berühmten Schweizer Sternekoch Jacky Donatz. Er hält ein Guldimann-Messer in den Händen.
Ja, das ist cool. (strahlt übers ganze Gesicht)

Die Resonanz eines solchen Profis bedeutet Ihnen viel.
Jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Anerkennung, die einen mehr, die anderen weniger. Dass meine Arbeit wertgeschätzt wird, ist mir schon wichtig.

« Die Krise ist nicht an mir vorbeigegangen. »

Wenn ich heute ein Messer bei Ihnen in Auftrag gebe…
… dann erhalten Sie es acht bis zwölf Monate später.

Belastet die Corona-Pandemie Ihr Geschäft?
Die Krise ist nicht an mir vorbeigegangen. Aber da ich mehrere Monate im Voraus ausgebucht bin, werde ich den Auftragsrückgang erst verzögert spüren. Meinen Kollegen aus dem Gastro-Bereich geht es momentan viel schlechter. Ich habe immerhin Zeit zu reagieren.

Wissen Sie schon, wie?
Ich investiere gerade viel Zeit in die Weiterentwicklung von Stahl. Dazu arbeite ich mit zwei Instituten zusammen. Mein Traum ist, dass ich meinem Sohn eines Tages sagen kann: « Schau mal, in diesem Gerät steckt ein Stahl, den ich mitentwickelt habe. » Aber ich will natürlich weiter mit den Händen arbeiten und noch bessere Messer herstellen.

Weitere Informationen unter:
www.dasmesser.ch

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