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Wirtschaft

Betreiber von Hinwiler Recyclinganlage wehren sich

Kritik aus den eigenen Reihen hat die ZAV Recycling AG jüngst in ein schlechtes Licht gerückt. Ihre Hinwiler Recyclinganlage soll kurz vor dem Bankrott stehen. Nun verteidigen die Betreiber ihr Geschäftsmodell.

Als irreführend bezeichnen René Müller und Horst Meier (v.l.) von der ZAV Recycling AG die Kritik an ihrer Firma., Um ihre Hinwiler Schlackeaufbereitungsanlage soll es laut einem internen Gewährsmann finanziell schlecht bestellt sein., Verwaltungsratspräsident Meier und Geschäftsführer Müller (v.l.) widersprechen: Ihre Anlage sei nachhaltig finanzierbar.

Seraina Boner

Betreiber von Hinwiler Recyclinganlage wehren sich

«Schlackendebakel». «Finanzwirrwarr». Ein drohender «Sanierungsfall». Was der «Tages-Anzeiger» Anfang Februar über die ZAV Recycling AG zu berichten hatte, liess aufhorchen. Die im Eigentum vonKehrichtverwertungsanlagen (KVA) stehende Firma betreibt in Hinwil seit 2016 eine hochmoderne Aufbereitungsanlage, die aus Kehrichtschlacke wertvolle Metalle gewinnt. Ein Pionierprojekt in grosstechnischem Massstab. Dessen Funktionstüchtigkeit zieht die jüngste Kritik auch nicht in Zweifel, wohl aber dessen Finanzierung. Die Kosten seien «ausser Kontrolle geraten».

Für ihr drastisches Lagebild kann sich die Zeitung auf einen internen Gewährsmann berufen: Daniel Aebli, den Direktor von Entsorgung + Recycling Zürich (ERZ). Das Stadtzürcher Dienstleistungsunternehmen war 2013 Gründungsmitglied der ZAV Recycling AG und hält aktuell 9,5 Prozent der Aktienanteile.

Brandbrief an den Verwaltungsrat

Am 18. November 2019 wandte sich Aebli mit einem Brief an den Verwaltungsratder ZAV Recycling AG. «Zum wiederholten Mal entsteht der Eindruck, dass eine für das Unternehmen kritische Situation zu spät erkannt worden ist und dass die Eigentümer und Lieferanten nicht rechtzeitig informiert wurden», zitiert der «Tages-Anzeiger». Wie der vertrauliche Brief an die Zeitung gelangte, schreibt sie nicht.

Umso klarer ist dafür der Stein des Anstosses: Aebli ärgert sich über den steigenden Anlieferpreis für die Schlacke. In diesem Jahr verlangt die ZAV Recycling AG neu 150 Franken pro Tonne von den Schlackenlieferanten – also auch vom ERZ. Dabei war in ersten Businessplänen noch von einem Tonnenpreis von 40 Franken die Rede.

Warnung von Kapitalverlust

Aebli soll diese Entwicklung in seinem Brief als «besorgniserregend» bezeichnet und vor dem Risiko eines «Kapitalverlusts» gewarnt haben. Der Tages-Anzeiger will zudem Kenntnis von einem Aktionärsbrief haben, wonach der Verwaltungsrat der ZAV Recycling AG für 2019 mit einem Verlust von zwei bis zweieinhalb Millionen Franken rechnet – bei einem Umsatz von 20 Millionen Franken.

Ist das Unternehmen tatsächlich in einem so problematischen Zustand, wie die Vorwürfe und die Berichterstattung nahelegen?

Verwaltungsratspräsident Horst Meier und Geschäftsführer René Müller wehren sich gegen das Bild, das von ihrer Firma gezeichnet wird. Sie halten es für unzutreffend und irreführend. Meier räumt zwar ein, dass 2019 ein schwieriges Jahr gewesen sei. «Aber das hatte überhaupt nichts mit unserem Betrieb zu tun.»

Metallpreise im Sinkflug

Grund des Verlustes seien vielmehr die gesunkenen Metallpreise. «Dadurch hatten wir einen substanziellen Rückgang bei den Wertstofferlösen. Da auch im 2020 von anhaltend tiefen Metallpreisen ausgegangen wird, musste der Schlackenannahmepreis entsprechend erhöht werden», so Meier.

Verstärkend hinzu kamen ihm zufolge die steigenden Deponiekosten. Denn was nach der Aufbereitung als Rest übrigbleibt, muss deponiert werden.

Für die ZAV Recycling AG sind die Metallpreise und Deponiekosten «exogene Faktoren» – sprich: nicht beeinflussbar. Das damit einhergehende Risiko könne man nicht selbst tragen, sagt Geschäftsführer Müller. «Daher wurde unsere Firma bewusst mit dem nötigen Mechanismus ausgestattet.»

Damit meint er den Schlackenannahmepreis: Bei sinkenden Wertstoffpreisen und steigenden Deponiekosten wird er angehoben. Umgekehrt sinkt der Annahmepreis, sobald die Metallerlöse wieder zunehmen.

«Sowohl unser Geschäftsmodell als auch die Entwicklung der Metallpreise war ja allen bekannt.»

Horst Meier, Verwaltungsratspräsident ZAV Recycling AG

Dass ein Aktionär mit eigenem Vertreter im Verwaltungsratüber den jüngsten Preisanstieg überrascht ist und die Informationspolitik der ZAV Recycling AG bemängelt, findet Präsident Meier befremdlich. «Sowohl unser Geschäftsmodell als auch die Entwicklung der Metallpreise war ja allen bekannt.»

Von explodierenden Kosten, wie der «Tages-Anzeiger» behaupte, könne keine Rede sein. Im Gegenteil: Die meisten Ausgaben entfielen auf Fixkosten, die sich gut kontrollieren liessen. Die Kosten pro verarbeitete Tonne seien zudem seit 2017 sehr konstant.

« Sobald wir die doppelte Menge verarbeiten, reduzieren sich die Kosten massgeblich. »

René Müller, Geschäftsführer ZAV Recycling AG

Geschäftsführer Müller ergänzt: «Der Betriebsunterhalt ist bei uns zwar etwas teurer als bei anderen Aufbereitungsverfahren. Aber sobald wir die doppelte Menge Schlacke verarbeiten, reduzieren sich die Kosten pro verarbeitete Tonne massgeblich – mit entsprechend positiver Auswirkung auf den Schlackenannahmepreis.»

Damit spielt er auf die 200’000 Tonnen Schlacke an, die die ZAV Recycling AG im Endausbau ab 2025 pro Jahr verarbeiten will. Bisher sind es 100’000 Tonnen pro Jahr, aus denen rund 15’000 Tonnen Wertstoffe gewonnen werden.

Auch das Antwortschreiben wird publik

Präsident Meier verwies denn auch auf diese Prognose, als er Aebli am 22. November 2019 antwortete. In seinem Brief gab er sich überzeugt, dass die Hinwiler Anlage finanziell nachhaltig betrieben werden könne. Zudem bezifferte er den Verlust 2019 auf weniger als zwei Millionen Franken.

« Wo das Leck war, wissen wir nicht. »

Horst Meier, ZAV Recycling AG

Auch Meiers Brief gelangte an den «Tages-Anzeiger». «W o das Leck war, wissen wir nicht», sagt er. Von dem Schriftwechsel habe nur ein kleiner Kreis Kenntnis gehabt. Die jüngste Berichterstattung hat hohe Wellen bis in die Politik geschlagen: Ende Februar 2020 verlangten die Stadtzürcher Gemeinderäte Peter Schick und Roland Scheck (beide SVP) in einer Anfrage an den Regierungsrat eine detaillierte Auskunft über die Finanzierung der ZAV Recycling AG und die laufenden Kosten.

Wer profitiert von der schlechten Presse? Meier hält sich mit Vermutungen zurück. «Es gibt keinen triftigen Grund, unserem Projekt negativ gegenüberzustehen.»

Eine Vermutung zum Motiv hat hingegen Patrik Feusi. Er ist Geschäftsführer des Regiowerks Limeco, das die KVA Dietikon betreibt. Feusi glaubt, dass irgendjemand eine öffentliche Diskussion über Kosten und Nutzen des Hinwiler Verfahrens provozieren will.

Fakt ist: Die Anlage der ZAV Recycling AG kann die Schlacke nur als trockenes Schüttgut aufbereiten. Viele KVA sind aber auf Nassschlacke ausgelegt. Das heisst, deren Schlacke fällt nach der Verbrennung in ein Wasserbad. Eine Umrüstung auf das Trockenverfahren solle Millionen kosten. Daher weigerten sich die Betreiber der KVA in Dietikon und Winterthur bisher, ihre Schlacke nach Hinwil zu bringen.

Dicke Luft wegen Hinwiler Recyclinganlage

12.10.2018

Umstrittene Zwangsaufträge

Die ZAV Recycling AG betreibt in Hinwil eine Aufbereitungsanlage für Trockenschlacke. Beitrag in Merkliste speichern Laut Feusi liegt der zentrale Streitpunkt darin, welches Verfahren am ökoeffizientesten ist. «Die Frage ist deshalb so schwer zu beantworten, weil beide Seiten mit verschiedenen Bezugsgrössen argumentieren.»

Beim Nassverfahren liege der Fokus auf der Rentabilität: Mit geringerem Aufwand und damit auch geringeren Kosten würden grössere Metallmengen aus der Schlacke gewonnen, allerdings blieben wertvolle Edelmetalle darin zurück. Beim Trockenverfahren hingegen stehe die Ökoleistung im Vordergrund: Dadurch, dass man selbst kleinste Metallpartikel herauslösen könne, würde die umweltschädliche Metallgewinnung aus der Erdkruste reduziert. « Nur wissen wir heute nicht, was uns der Umweltvorteil im Vergleich zu anderen Verfahren kostet. »

Horst Meier räumt ein, dass die Hinwiler Methode höhere Betriebskosten verursacht als das Nassschlackeverfahren.

Was fehlt, ist eine offizielle Studie, die die Verfahren unter ökologischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten vergleicht. Das will der Kanton Zürich – zusammen mit neun weiteren Kantonen – jetzt nachholen. «Eine solche Studie soll eine Grundlage für Investitionsentscheidungen bieten, die aufgrund des Erneuerungsbedarfs verschiedener KVA in der Schweiz anstehen», teilt der Mediensprecher der Baudirektion, Wolfgang Bollack, mit.

Wegen offener organisatorischer Fragen sei die Studie jedoch noch nicht gestartet. Wann die Resultate vorliegen, kann er zurzeit nicht sagen.

«Wir benötigen mehr Personal und mehr Ersatzteile.»

Horst Meier, ZAV Recycling AG

Präsident Horst Meier räumt heute schon ein, dass die Hinwiler Methode zurzeit höhere Betriebskosten verursache als das Nassschlackenverfahren. «Wir benötigen mehr Personal und mehr Ersatzteile.»

Was die Metallerlöse betrifft, hält er die Konkurrenz für ebenso abhängig vom Markt. Zugleich wirft er ihr mangelnde Transparenz bei den Geschäftszahlen vor. «Schon allein deswegen können wir nicht wissen, wer kostengünstiger ist.»

Kein Preisschild für ökologischen Mehrwert

An erster Stelle kommt für Meier aber der ökologische Mehrwert, den die ZAV Recycling AG schaffe. Dieser habe leider noch kein Preisschild. «Letztlich geht es auch darum, wie viel dem Bürger ein nachhaltigerUmweltschutz wert ist.» In der Bevölkerung sieht er inzwischen eine grosse Bereitschaft, mehr zum Wohle der Umwelt zu zahlen.

«Ich kann ich die Verärgerung von ERZ-Direktor Daniel Aebli gut nachvollziehen. »

Patrik Feusi, Geschäftsführer Limeco

Diese Einschätzung teilt auch Limeco-Chef Feusi. Allerdings müsse sich die ZAV Recycling AG den Vorwurf gefallen lassen, lange Zeit mit der Rentabilität ihres Verfahrens geworben und allzu optimistische Erwartungen geweckt zu haben. «Insofern kann ich die Verärgerung von ERZ-Direktor Daniel Aebli gut nachvollziehen.»

Gerade in der Stadt Zürich habe die Politik mit dem Versprechen auf niedrige Entsorgungskosten Wählerstimmen gewonnen. «Wie soll man der Bevölkerung nun erklären, dass die Entsorgung teurer wird, zumal nicht einmal feststeht, wie hoch die ökologischen Kosten eigentlich liegen?»

Lob für den Verwaltungsrat

Zugleich nimmt Feusi die ZAV Recycling AG in Schutz: Der Verwaltungsrat habe die Recyclinganlage in den letzten beiden Jahren gut betrieben und deren Finanzierung sichergestellt. «Sonst gäbe es sie heute nicht mehr.»

«Der Auftraggeber, also die öffentliche Hand, zahlt, was es kostet.»

Patrik Feusi, Limeco

Er erinnert daran, dass die Abfallwirtschaft unter die hoheitlichen Tätigkeiten der öffentlichen Hand fällt – nicht unter die privatwirtschaftlichen. Das heisst, es gehe nicht in erster Linie darum, eine Rendite zu erwirtschaften, sondern die Dienstleistung so kostengünstig wie möglich zu erledigen. «Der Auftraggeber, also die öffentliche Hand, zahlt, was es kostet.»

Wenn es gesellschaftspolitisch so gewollt sei, ökologisch effizienter mit der Schlacke umzugehen, dann müsse die Gesellschaft dafür auch mehr zahlen. «Diesem Grundsatz folgt auch die ZAV Recycling AG. Fallen die Betriebskosten höher aus als geplant, dann erhöhen die Betreiber den Anlieferpreis, ansonsten senken sie ihn.»

Steigende Deponiekosten erwartet

Zurzeit rechnet er nicht mit einem Rückgang der Betriebskosten bei der ZAV Recycling AG. Im Gegenteil: «Mittel- bis langfristig steigen die Deponiekosten, weil die Deponie Tägernauer Holz vorerst nicht im Richtplan eingetragen wird. Dort wollte die Firma ihre Schlacke gemäss Businessplan kostengünstig entsorgen. Jetzt muss sie weiterhin einen externen Deponisten für die Entsorgung bezahlen.»

Geschäftsführer Müller räumt ein, dass man die Betriebskosten mit dem Tägernauer Holz besser kontrollieren könnte. «Aber wir haben immer auch mit der anderen Variante gerechnet.»

Für die Bedenken gegenüber einer Entsorgung im Wald von Gossau hat er wenig Verständnis: «Dort dürfte ja nur von der ZAV Recycling AG verarbeiteteSchlackeaus dem Kanton Zürich gelagert werden. Die Lagerung von Schlacke aus anderen Kantonen oder gar aus dem Auslandist explizit untersagt.»

Beschwerde gegen Katonsratsbescheid

Müller hofft daher, dass die Deponie doch noch wie geplant zustande kommt. Tatsächlich ist der Kantonsratsbescheid noch nicht rechtskräftig. «Zusammen mit anderen haben wir eine Beschwerde eingereicht», so Müller.

Limeco-Chef Patrik Feusi wünscht sich, dass die verschiedenen Verfahren zur Schlackenaufbereitung künftig nach ihrer Umweltleistung bewertet würden. Er erhofft sich davon eine Lenkungswirkung. «Wer Nassschlacke verarbeitet, hat weniger Betriebskosten, aber auch eine geringere Umweltleistung. Deshalb wäre eine Ausgleichszahlung in einen gemeinsamen Topf sinnvoll, damit den Betreibern unterm Strich gleichhohe Kosten entstehen.»

«Das geht mir zu fest in eine staatliche Lenkung hinein.»

Horst Meier, ZAV Recycling AG

Davon hält Präsident Horst Meier, der für die FDP im Hinwiler Gemeinderat sitzt, wenig: «Das geht mir zu fest in eine staatliche Lenkung hinein.»

Für ihn ist die Trockenschlacke-Aufbereitung zurzeit das überzeugendste Verfahren. «Vielleicht gibt es in zehn Jahren ein besseres.» Der Markt solle entscheiden, welches Verfahren sich durchsetzt, und der Staat solle es dabei belassen, die Rahmenbedingungen vorzugeben.

Meier ist überzeugt: Die beiden Verfahren werden noch viele Jahre nebeneinander existieren. «Aber oftmals müssen die Betreiber von KVA heute schon überlegen, worauf sie künftig setzen, weil bei vielen Anlagen bald Erneuerungen anstehen.»

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