Er hat sein Glück in der Ajoie gefunden
Live gesehen hat er das entscheidende Tor in der Verlängerung nicht. Ihm war die Sicht verstellt.
Doch als seine Teamkollegen auf der anderen Seite des Felds ihre Arme hochwarfen, Stöcke, Handschuhe und Helme wegschleuderten und die Spieler von der Bank aufs Eis stürmten, war für Tim Wolf klar: Ajoie ist Swiss-League-Meister und nächste Saison das 13. Team der National League.
Der Egger Goalie sprintete daraufhin ebenfalls los. Stürzte sich in die Jubeltraube, um ausgelassen zu feiern. Erst auf dem Eis, später lange in der Garderobe, zuletzt schliesslich in der VIP-Loge. Das Stadion verliess Wolf erst gegen fünf Uhr morgens.
Eine Woche später denkt er noch immer häufig an jene Nacht zurück. Voller Zufriedenheit über das Erreichte. Durchaus aber mit gemischten Gefühlen.
«Der HC Ajoie, das sind nicht nur wir im Klub, das ist die ganze Region. Es fühlt sich wirklich so an: Wir gegen alle.»
Tim Wolf
Nicht ausblenden kann er die speziellen Umstände. Sie verunmöglichten es den Spielern, den Triumph zusammen mit den Anhängern zu feiern. So wie Anfang 2020, als Ajoie im Cup-Final Davos 7:3 aus der Halle fegte und eine ganze Region in einen Freudentaumel stürzte.
Nun war Wolf nach dem entscheidenden vierten Finalsieg gegen Kloten nur kurz vor der Eishalle bei den Hunderten von Fans. Und abgeschirmt von der Polizei. «Die Masse an Leuten zu sehen, war speziell. Die Pandemie aber ist immer noch sehr präsent.»

Uneingeschränkt positiv sind die Gedanken derweil an jenen magischen Moment in der 72. Minute, in der Mathias Joggi mit dem 5:4 Ajoie nach 28 Jahren zurück in die oberste Liga schoss.
«Dass wir den Titel gewannen, ist bei mir schon zu 100 Prozent angekommen», sagt Wolf. «Zu realisieren, nächste Saison in der NLA zu spielen, braucht aber noch ein oder zwei Wochen.»
Der Zusammenhalt ist gross
Erst unmittelbar vor dem sechsten Playoff-Finalspiel hatte der Verwaltungsrat der Mannschaft mitgeteilt, die finanzielle Herausforderung meistern zu können und den Schritt in die National League tatsächlich zu wagen.
Wolf sagt, diese Information habe im Team eine positive Nervosität hervorgerufen. «Einige hatten Tränen in den Augen, als sie das hörten. Es war sehr emotional.»
«Jeder ist hier mit dem Herzen dabei.»
Tim Wolf
Emotionen, Teamspirit, Leidenschaft, Herzblut und Familie – es sind alles Begriffe, die zur DNA des HC Ajoie gehören. Und ihn zu einem speziellen Klub machen.
Einem vernünftigen und im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten operierenden Verein, im dem laut Wolf der Zusammenhalt gross ist. «Jeder ist hier mit dem Herzen dabei.»
Den Mechanismen des hektischen Geschäfts entzieht sich Ajoie ein Stück weit. Seit sieben Jahren setzen die Jurassier auf denselben Trainer (Gary Sheehan), die Frankokanadier Jonathan Hazen und Philip-Michaël Devos bilden seit sechs Jahren das Ausländerduo. Gar seit 21 Jahren wird Ajoie vom selben Präsidenten (Patrick Hauert) geführt.
Der immer wieder bemühte Vergleich mit den Galliern aus den Asterix-Comics, die sich gegen die übermächtigen Gegner tapfer wehrten, sei gerechtfertigt, findet Wolf. «Der HC Ajoie, das sind nicht nur wir im Klub, das ist die ganze Region. Es fühlt sich wirklich so an: Wir gegen alle.»
Ein Pfeiler des Aufstiegs
Der 29-Jährige hat sein Glück am Rand der Schweiz gefunden – in der Ajoie. Den Hauptwohnsitz hat der bald zweifache Vater aus familiären Gründen zwar in Embrach, da seine Frau in Zürich arbeitet.
Er hat aber eine Wohnung in Chevenez, ein paar Minuten von der Kleinstadt Pruntrut entfernt. Und sagt: «Ich fühle mich daheim im Jura.»
Wolf trägt neben den ausländischen «Tormaschinen» Hazen und Devos – sie erzielten zusammen bisher 440 Treffer – massgeblichen Anteil am Aufstieg der Jurassier.
Er war nicht nur der statistisch beste Playoff-Goalie der Swiss League, sondern stach im Final auch Dominic Nyffeler im Klotener Tor aus. Der Volketswiler war sein Vorgänger bei Ajoie.
Wie fühlt sich der Aufstieg an? Tim Wolf nach dem Triumph. (Quelle: youtube)
Wolf ist keiner, der sich in den Mittelpunkt stellt. Er gehöre zur leiseren Sorte, beschreibt er sich. «Während der Partien sage ich kaum je etwas.»
Die Genugtuung ist ihm anzuhören, als er für das persönliche Saisonfazit jenen Satz verwendet, den Teamsportler gerne brauchen: «Ich freue mich, der Mannschaft mit meinen Leistungen geholfen zu haben.»
Mit 29 hat der Oberländer, der einst an der U20-WM dabei war und auch ein Länderspiel mit der A-Nationalmannschaft bestritt, die beste Saison der Karriere absolviert. Und ist nach Jahren in der zweiten Reihe zurück im Rampenlicht.
Eine Liga tiefer geerdet
Früh hatte man dem aus dem Lions-Nachwuchs stammenden Goalie das Talent und die Postur zum NLA-Stammgoalie attestiert. Nach einem schwierigen Jahr bei den Lakers, das 2015 mit dem NLA-Abstieg endete, geriet Wolfs Karriere aus dem Tritt.
Der damals 23-Jährige stand mehrere Monate ohne Klub da, ehe er Unterschlupf bei Ambri-Piotta fand. Bei den Tessinern enttäuschte er. «Das war mein schlechtestes Jahr im Hockey», gibt er zu. Danach war die Tür in der höchsten Liga lange zu.

Fünf Jahre verbrachte Wolf in der Swiss League, wo er sein Selbstvertrauen wiederfand. Drei Saisons spielte er in La Chaux-de-Fonds, seit 2019 steht er beim HC Ajoie unter Vertrag.
«Für meine Entwicklung war es das Beste, was passieren konnte. Man muss spielen, um besser zu werden. In der NLB ist alles kleiner. Man kann sich auf sich selber konzentrieren», sagt er. «Ich habe die Zeit genutzt, um mich zu erden.»
Als gereifter Goalie und mit der Erfahrung von über 300 Nationalliga-Spielen packt er mit Ajoie nun die Herausforderung in der höchsten Liga an. Wolf ist sich bewusst: Er wird oft im Mittelpunkt stehen.
Die Schwierigkeit der Aufgabe reizt ihn. «Klar, wir wissen, es wird nicht einfach», ist der Torhüter realistisch. «Wäre es so, wäre es ja nicht spannend.»
Kleines Budget, grosser Rückhalt
Dank einem 4:2-Sieg in der Finalserie gegen den favorisierten EHC Kloten stieg der HC Ajoie am Mittwoch vor einer Woche zum dritten Mal nach 1988 und 1992 in die höchste Liga auf. Die ersten zwei Besuche in der Beletage endeten für den «Dorfklub» aus der Randregion jeweils schnell wieder. Nach der letzten Promotion stieg man umgehend wieder ab. Das wird dieses Mal ganz sicher nicht der Fall sein – nächste Saison gibt es in der neu aus 13 Teams bestehenden National League keinen Absteiger.
Der 1973 gegründete HC Ajoie ist der sportliche Stolz des Jura und geniesst in der Bevölkerung einen eindrücklichen Rückhalt. Das zeigte sich auch 2018, als sämtliche 21 Gemeinden der Ajoie der Renovation und dem Ausbau der Halle zustimmten. Die Infrastruktur gilt derweil auch nach dem Umbau und der Vergrösserung des Stadions als kaum National-League-tauglich. Etwas mehr als 4700 Zuschauer passen in die im November eingeweihte Halle. Weniger, als die höchste Liga als Mindestanforderung vorgibt.
Der Aufsteiger wird die Meisterschaft als klarer Aussenseiter in Angriff nehmen. Dem in Pruntrut beheimateten Klub fehlen die finanziellen Mittel, um die Mannschaft in grossem Stil verstärken zu können. Das Budget werden die Jurassier auf die nächste Saison hin beinahe verdoppeln – auf etwa sieben Millionen Franken, wobei man allein durch die höheren Fernsehgelder zwei Millionen Franken mehr einnimmt. Trotzdem verfügt Ajoie über den kleinsten Etat aller 13 National-League-Teams. (zo)