Multikulti in Hinwil: Das sind die Köpfe hinter dem Sauber-Aufschwung
Vor einem Jahr war Sauber noch Letzter, nun macht das Team positive Schlagzeilen. In Hinwil wächst etwas zusammen – und das sind die Figuren hinter dem Erfolg.
Am Sonntag beginnt mit dem GP von Belgien die zweite Hälfte der Formel-1-Saison. Nach 12 von 24 Rennen ist Sauber das Team der Stunde – und damit auch in aller Munde. Die Hinwiler haben nach einem schwachen Saisonstart zuletzt das Feld von hinten aufgerollt. In den letzten vier Rennen hat das Team 35 Punkte geholt, mehr als Red Bull. In der Konstrukteure-WM hat sich Sauber vom zehnten und letzten auf den sechsten Rang verbessert, der fünfte Rang scheint nicht unrealistisch. Dabei geht es nicht um die goldene Ananas, sondern um Preisgelder in Millionenhöhe. Doch die von Nico Hülkenberg und Gabriel Bortoleto eingefahrenen Erfolge sind nur die Spitze des Eisbergs.
Sauber ist in der Fachpresse nicht nur wegen dieser Momentaufnahme ein Thema. Der Tenor ist einhellig: Da wächst etwas zusammen. Und eigentlich könnte es kaum besser zu einem in der Schweiz beheimateten Team passen: In Hinwil ist eine Multikulti-Truppe am Werk, die ihre eigene Identität gerade zu finden scheint. Und es handelt sich nicht um Nobodys, sondern grösstenteils um Routiniers, die wissen, wie man siegt – und was es braucht, um ein Topteam zu sein.
Jonathan Wheatley: Der Teamchef mit den 19 Titeln
Erst seit April steht das Team unter der Führung von Jonathan Wheatley. Und doch ist er bereits das Gesicht des Aufschwungs geworden. Natürlich ist die Ausgangslage schöner, wenn man in Interviews über Punkte und Erfolge sprechen kann, als wenn man den Misserfolg erklären muss. Aber Wheatley tut das, als hätte er nie etwas anderes getan. Dabei ist er nun das erste Mal in einer Rolle, die so viel Medienpräsenz mit sich bringt. Wheatley wirkt greifbar und authentisch, gibt sich bescheiden, aber durchaus auch ambitioniert.
Und man spürt: Er hat zwar eine Management-Position inne, ist aber durch und durch ein Racer. Einer, für den die Situation eines Teams im Wandel nicht neu ist: In der Formel 1 begann er in den frühen 1990er Jahren als Mechaniker bei Benetton, das zehn Jahre später zum Renault-Team wurde. Wheatley verliess Renault auf dem Zenit und ging zu Red Bull, das damals aus dem kleinen und erfolglosen Jaguar-Team entstand. Erfolg war ein steter Wegbegleiter, 19 Weltmeistertitel erlebte Wheatley mit, 8 bei den Konstrukteuren und 11 bei den Fahrern. Von Grössen wie Michael Schumacher, Fernando Alonso, Sebastian Vettel und zuletzt Max Verstappen.
«Er hat sehr schnell Optimierungsmöglichkeiten erkannt und einige Dinge in der Struktur des Teams angepasst, die hilfreich sind», sagt Hülkenberg über Wheatley. Es seien «Abkürzungen zu mehr Leistung und zu einer besseren und strafferen Organisation».

Wheatley gilt als derjenige, der die Boxencrew von Red Bull auf Höchstleistung getrimmt hat. Den Erfolgsfaktor umschrieb er in einem Podcast so: «In den Boxenstopps manifestiert sich der Teamgeist. Es geht nicht um das Equipment, sondern um das Ethos im Team. Man muss ein Umfeld erschaffen, in dem alle diese Menschen mit Druck umgehen können und wieder und wieder ihre Leistung bringen können.»
Es mag ein Zufall sein, dass sich die Boxenstopp-Performance bei Sauber verbessert hat, während Red Bull nicht mehr auf demselben Niveau wie früher ist. Besser ist die Hinwiler Boxencrew vor Wheatleys Ankunft schon geworden. Schlechter dürfte er sie nun kaum machen.
Mattia Binotto: Bei Ferrari hatte er jeden Hut auf
Der aktuelle Sauber-Aufschwung hat mehr mit Mattia Binotto zu tun als mit Jonathan Wheatley. Schliesslich ist der italienisch-schweizerische Doppelbürger seit ziemlich genau einem Jahr in Hinwil. Nach dem Rausschmiss von CEO Andreas Seidl kam er als neuer starker Mann. Personal rekrutieren, die Infrastruktur auf Vordermann bringen, Prozesse hinterfragen und optimieren – mit alledem ist er betraut.
Ihm haftet eigentlich der Ruf eines Gescheiterten an. Doch das gilt für so manchen Ex-Ferrari-Teamchef. 28 Jahre lang arbeitete Mattia Binotto für die Scuderia. Er begann als Motoreningenieur, kletterte Stufe um Stufe hoch und war ab 2019 noch Teamchef, bis er nach der Saison 2022 zurücktrat. Manche sagen, Binotto habe Ferrari nicht nur umstrukturiert, sondern auch einen Mentalitätswandel angestossen – weg von einer Kultur, die von Schuldzuweisungen und Sündenböcken lebt.
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Erfolg hatte das Team unter ihm zwar, aber nicht in Form eines Weltmeistertitels. Zwei zweite WM-Ränge fallen in seine Zeit – was bei Ferrari eben nicht reicht. Manche sagen, er sei daran gescheitert, dass er zu viele Rollen aufs Mal habe einnehmen müssen. Binotto war am Ende Technischer Direktor und Teamchef in Personalunion.
Bei Sauber hat er dieses Problem nicht, hier bildet er mit Wheatley die Doppelspitze, auch wenn er nominell mit dem Titel «Head of Audi F1 Project» auf höchster Stufe angesiedelt ist. Wheatley sagt: «Er ist der Gesamtverantwortliche für den Motor und das Auto. Und mein Team und ich betreiben das Auto auf der Rennstrecke.»
Auf dem Papier ergänzt sich das Duo gut. Ein Ingenieur und einer, der ursprünglich Mechaniker war. Sie kennen den Druck, der in Topteams herrscht. Und sowohl die britische als auch die italienische Motorsportkultur sind zwar unterschiedlich – aber traditionsreich.
James Key: Schon bei McLaren sorgte er für Aufschwung
Geholt wurde James Key noch von Andreas Seidl – und für manche begann sein Stuhl mit der schlechten Saison 2024 arg zu wackeln. Wer ein so schlechtes Auto baue, könne kein Mann für die Audi-Zukunft sein, sagten Kritiker. Doch Key ist auch ein Jahr nach der Trennung von Seidl noch in Hinwil. Und das schlechte 2024er-Auto auf ihn zurückzuführen, greift zu kurz. Key kam im September 2023 – die grundlegenden Design-Entscheidungen für den C44 waren da bereits getroffen.
Grösser war sein Einfluss auf die Entwicklungspakete während der Saison 2024. Das Letzte davon, ein neuer Unterboden drei Rennen vor Saisonende, verhinderte zwar nicht den letzten WM-Rang, ermöglichte aber immerhin doch noch WM-Punkte. Und der diesjährige C45 war zu Beginn zwar zickig und in gewissen Bedingungen schwer fahrbar, doch die Probleme wurden wiederum mit einem neuen Unterboden beseitigt.
Key ist also eher mitverantwortlich für den Aufschwung und nicht für die schlechte Saison 2024. Viel entscheidender für die Zukunft ist aber die Arbeit am nächstjährigen Auto, die derzeit voll im Gang ist. Nicht nur, weil dann ein neuer Reglementszyklus beginnt, sondern auch, weil Sauber dann als Audi-Werksteam am Start ist.
Key, zwischen 2010 und 2012 schon einmal bei Sauber, hat von der aktuellen Hinwiler Führungsriege am wenigsten Erfahrung mit Topteams. Seine Stationen in der Formel 1 hiessen Jordan, Midland, Spyker, Force India und Toro Rosso, bevor er 2019 zu McLaren stiess, das damals ebenfalls ein Mittelfeldteam war. Am Aufschwung McLarens war Key beteiligt, dann fiel er einer Reorganisation zum Opfer. Bei Sauber steht nun mit Binotto einer über ihm, der weiss, wie man siegfähige Autos baut.