Wie Hülkenberg den Podest-Coup schaffte – und was Sauber zur Party fehlte
In Silverstone beendet Nico Hülkenberg als Dritter nicht nur eine 13-jährige Sauber-Durststrecke. Der Deutsche fährt gar erstmals überhaupt in seiner Karriere aufs Podest.
Was für ein schönes und unglaublich wirkendes Bild. Die Sauber-Crew schwenkt eine Schweizer Flagge an einer eiligst zusammengebastelten Fahnenstange, alle skandieren «Nico, Nico» – und der Jubel brandet auf, als Nico Hülkenberg zusammen mit den beiden McLaren-Piloten Lando Norris und Oscar Piastri das Podest in Silverstone betritt.
Und als der Sauber-Pilot dann die Trophäe für seinen dritten Rang erhält, ist die Geräuschkulisse lauter als bei seinen erfolgsgewohnten Podest-Kollegen. Alle jubeln mit – es dürfte kaum jemanden im Fahrerlager geben, der dem 37-jährigen Deutschen diesen Erfolg nicht gönnt.
Zum ersten Mal steht Hülkenberg auf dem Podest – in seinem 239. Rennen. Dreimal war er Vierter geworden in seiner Karriere, einmal auch für Sauber, 2013 in Korea. «Das ist das am meisten überfällige Podestplatz der gesamten Formel-1-Geschichte», sagte Sauber Teamchef Jonathan Wheatley. Erst zu Hülkenberg am Boxenfunk, dann wiederholte er den Satz mehrfach vor TV-Kameras – mit einem zufriedenen Lächeln.
Immer wieder hatte der Teamchef Hülkenberg in den letzten Wochen als einen der meistunterschätzten Fahrer der Formel 1 bezeichnet. Und nun also das. «Absolute Meisterklasse», in Wheatleys Worten.





Der GP von Grossbritannien geht also für Hülkenberg in die Geschichte ein – aber auch für Sauber. Es ist der erste Podestplatz, seit Kamui Kobayashi am 7. Oktober 2012 in Japan Dritter geworden ist. 264 Rennen dauerte die Durststrecke, 4655 Tage liegen zwischen den beiden Podestplätzen. Es ist der 28. Podestplatz der Teamgeschichte – der elfte als Privatteam, wenn man die BMW-Jahre zwischen 2006 und 2009 einmal ausklammert.
Und es ist womöglich der unerwartetste Podestplatz der Teamgeschichte. Champagner hatte in der Sauber-Hospitality nämlich niemand parat – umso grösser war die Freude, als eine Mercedes-Mitarbeiterin mit einer Papiertasche voller Flaschen auftauchte mit einer handschriftlichen Widmung für Hülkenberg.


Auch der Deutsche selber dürfte höchstens von einem solchen Resultat geträumt haben – gerechnet hat er damit definitiv nicht. Denn nach dem Qualifying am Samstag wirkte er niedergeschlagen. Nur 19. wurde er da, hatte Mühe mit dem Auto, das womöglich anfälliger war auf die herrschenden Windböen als die Konkurrenz. «Hier brauchen wir fremde Hilfe», sagte er danach, auf seine Punktechancen angesprochen.
Diese Hilfe kam in Form von wechselhaften Bedingungen mit Regen und trockenen Phasen – das liegt dem Deutschen so gut wie kaum einem anderen Piloten im Feld. Als «Ritt auf der Rasierklinge, immer mit einem Bein in der Wand» bezeichnete er das Rennen, das er als «extrem intensiv» empfand.
16 Ränge machte Hülkenberg gut. Als einer von nur ganz wenigen Fahrern blieb er trotz Nässe ohne grösseren Fehler. Der Deutsche bewegte sich gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen zu viel Risiko und zu grosser Zurückhaltung. Die Wahl zum «Driver of the Day» – ein Fan-Voting – gewann er mit grossem Vorsprung.
Das perfekte Boxenstopp-Timing
Gäbe es eine Wahl zum «Team of the Day», der Sieger müsste Sauber heissen. Denn Hülkenberg verdankt seinen Erfolg nicht nur seinen eigenen Fahrkünsten, sondern einer Teamleistung, die der Deutsche selber nahe an der Perfektion einordnete. «Wir stoppten jeweils zum perfekten Zeitpunkt, es hätte besser nicht sein können.»
Man könnte noch hinzufügen: Hülkenberg blieb auch im richtigen Moment draussen. Teamkollege Gabriel Bortoleto steuerte nämlich nach der Einführungsrunde wie fünf andere Piloten die Box an, um auf Trockenreifen zu wechseln. Gelohnt hat sich das nicht – Bortoleto drehte sich nach vier Runden schon von der abtrocknenden Strecke und musste das Rennen aufgeben.
Nach zwei Runden schon Zehnter
Hülkenberg hingegen konnte zuschauen, wie sich die Konkurrenz von der Strecke drehte. Nach der ersten Runde war er schon Elfter, nach der zweiten Zehnter. Als er nach neun Runden die Box ansteuerte um sich neue «Intermediate»-Reifen zu holen, fiel er zwar kurzzeitig wieder aus den Top Ten hinaus, war danach aber schneller als die Konkurrenz, die ein bis zwei Runden später dasselbe tat – und als das Safety Car im stärker werdenden Regen auf die Strecke fuhr, fand sich Hülkenberg auf Rang 5 wieder.

Und noch einmal sah er einen Konkurrenten sich von der Strecke drehen: Weltmeister Max Verstappen im Red Bull verschätzte sich beim Neustart, verlor seinen zweiten Rang und Hülkenberg erbte Platz 4. Der Deutsche jagte fortan Lance Stroll im Aston Martin und kam in der 34. Runde am Kanadier vorbei.
Hinter ihm nahte Lewis Hamilton im Ferrari heran – wohl auch deshalb glaubte Hülkenberg auch nach diesem Überholmanöver noch nicht so ganz an eine wirkliche Podestchance. Doch als die Strecke abtrocknete, wurde die Lücke zwischen den beiden Autos wieder grösser. Und Hülkenberg dachte: «Okay, jetzt sieht es wirklich gut aus.»
«Es waren lange zehn Runden»
Entscheidend war dann, dass Sauber Hülkenberg eine Runde später in die Box holte als Ferrari Hamilton. Der Deutsche vergrösserte den Abstand in dieser Zeitspanne noch einmal, weil Hamilton mit den Trockenreifen ein zeitraubender Fehler unterlief. Hülkenberg brauchte seinen Vorsprung «nur» noch zu verwalten. «Es waren lange zehn Runden», sagte er – bravourös brachte er sie hinter sich.
«Ich verstehe noch gar nicht, was wir soeben erreicht haben», sagte Hülkenberg am Funk, während er unter seinem Helm einige Freudentränen verdrückte. Und nach seinem Renningenieur Steven Petrik und Teamchef Jonathan Wheatley war Teamkollege Gabriel Bortoleto der dritte Gratulant während der Auslaufrunde: «Du bist eine verdammte Legende».

Eine Legende, die den ungeliebten Rekord des Fahrers mit den meisten Rennen ohne Podestplatz nun an Adrian Sutil abgegeben hat.
Und man dürfte sich bei Audi so langsam aber sicher auf die Schultern klopfen – für die Verpflichtung Hülkenbergs, aber nicht nur deshalb. In Hinwil scheint etwas zusammenzuwachsen. Vier Rennen in Serie in den WM-Punkten, das gab es zuletzt 2022.
Das Team, das in der letzten Saison abgeschlagen WM-Letzter wurde, kämpft nun im Mittelfeld mit und zieht den Respekt der Konkurrenz auf sich. Die 15 Punkte aus Silverstone katapultieren Sauber auf Rang 6 – hinter den vier Topteams und Williams. Und in der Fahrer-WM ist Hülkenberg nun Neunter. Vor ihm fast ausschliesslich Piloten von Spitzenteams. Was für ein Wandel.