Sie war die Schnellste – und wurde doch wieder nur Zweite
Oberländer Sportmomente (8)
Vor 37 Jahren feierte Brigitte Oertli aus Egg die grössten Erfolge ihrer Karriere. Die Ski-Allrounderin holte an den Olympischen Spielen von Calgary zweimal Silber.
Sie leidet noch immer mit. Und freut sich über Schweizer Erfolge an Ski-Weltmeisterschaften wie derzeit in Saalbach. «Wenn ich Zeit habe, schaue ich die Rennen», sagt Brigitte Oertli.
Die gebürtige Eggerin ist bis heute die erfolgreichste Zürcher Weltcup-Skifahrerin. Sie holte zweimal Olympia-Silber, WM-Bronze und vier Weltcup-Gesamtsiege in der Kombination. Oertli stand in jeder Disziplin mindestens einmal auf einem Podest – und feierte neun Einzel-Weltcup-Siege.
Notabene in einer Zeit, wo das Schweizer Team im Weltcup-Zirkus dominierte. «Die interne Konkurrenz war Fluch und Segen zugleich», sagt Oertli.
Sie wurde dadurch besonders gefordert, stand aber im Frauen-Nationalteam trotz den vielen Top-Resultaten etwas im Schatten einer Vreni Schneider, einer Maria Walliser oder einer Erika Hess. Und sie galt auch als «ewige Zweite», weil im Weltcup gleich 16-mal nur eine Konkurrentin noch schneller war.
Symptomatisch dafür stehen ihre grössten Karriereerfolge an den Olympischen Spielen von Calgary im Februar 1988. Selbst wenn ihr bei beiden Silber-Rennen für einmal keine Schweizer Teamkollegin vor der Sonne stand.
In der Abfahrt vorne weg fuhr mit beträchtlichem Vorsprung die Deutsche Marina Kiehl. Für sie war der Sieg sogar eine Premiere. Derweil kam Oertli eine Hundertstelsekunde vor Karen Percy (CAN) ins Ziel.
Roulette am Mount Allen
Zu reden gaben hinterher aber vor allem die Bedingungen auf dem Mount Allen in Nakiska, der seinem «windigen Ruf» gerecht wurde – es blies von Fahrerin zu Fahrerin unterschiedlich stark. Der «Blick» titelte damals sogar: «Das war keine Abfahrt – das war Roulette».
Der Wind war schon der Grund, warum das Rennen sogar um einen Tag verschoben werden musste. Beim ersten Anlauf wurde Oertli mit der Startnummer 2 als einzige Fahrerin auf die Piste geschickt. Sie kam früh von der Linie ab und verpasste eine Torstange. «So kann man nicht fahren», beklagte sich Oertli bei den Offiziellen im Zielraum. Sie habe im aufgewirbelten Schnee nicht einmal den Boden gesehen.
Tatsächlich wurde die Abfahrt zuerst unterbrochen – und schliesslich ganz verschoben. Diese stand ohnehin unter einem schlechten Stern. Beim Einfahren stiess Pam Fletscher, die das Rennen hätte eröffnen sollen, mit einem Pistenarbeiter zusammen. Mit fatalem Ausgang: Die Amerikanerin erlitt einen Wadenbeinbruch.
Oertli kam hingegen nach ihrer Silber-Fahrt und den anschliessenden Feierlichkeiten erst nach Mitternacht ins Bett. Zeit zur Erholung blieb da keine. Aufgrund der vorgängigen Rennverschiebungen stand tags darauf nämlich bereits der erste Teil der Kombination auf dem Programm.
Trotz der emotionalen Aufregung waren die Voraussetzungen also nicht optimal. Elfte wurde Oertli in der Abfahrt und handelte sich damit für die beiden Slalom-Läufe am zweiten Wettkampftag ein rechtes Handicap ein. Dort zeigte die Oberländerin allerdings einmal mehr ihre Allrounder-Qualitäten und fuhr zweimal sogar Laufbestzeit. Nur ein Viertelpunkt fehlte ihr am Ende zu Gold. Trotz dem knappen Ausgang sagt sie auch mit Distanz: «An Olympia ist doch jede Medaillenfarbe schön.»
Eigentlich die Schnellste
Der Sieg ging an Anita Wachter. Die Österreicherin profitierte vom eher komplizierten Reglement, bei dem einiges an Rechnerei nötig war. Die Fahrerin oder der Fahrer mit den wenigsten Punkten schwang so obenaus.
Den Durchblick hatten da die wenigsten der Ski-Asse. Vreni Schneider sagte, damit später vom «Blick» konfrontiert: «Meine Stärke war es, nicht zu hinterfragen, einfach Ski zu fahren.» Die Kombinationszweite Oertli war jedenfalls in Kanada im Total über eine Sekunde schneller als Wachter.
Das schwer verständliche Reglement wurde an der WM 1993 ein letztes Mal in der Kombination angewendet. Oertli wäre also nur einige Jahre später mit ihren Zeiten souverän Olympia-Siegerin geworden.
Im österreichischen Saalbach war die Disziplin als Einzelrennen nun erstmals gar nicht mehr im Programm. Dafür gab es diese Woche neu eine Teamkombination, in der die Schweizer Equipe gross abräumte.
Für Oertli bleiben ihre zweiten Winterspiele natürlich in bester Erinnerung. Die Medaillen haben einen festen Platz im Wohnzimmer.

Es war ohnehin für sie eine erfolgreiche Saison. Kurz vor den Olympischen Spielen entschied das Aushängeschild des Skiclubs Egg bereits einen Slalom für sich, im März kam noch ein Abfahrtstriumph in Aspen (USA) dazu.
Der Rücktritt mit 28
1990 trat Brigitte Oertli mit 28 zurück. Der erfolgsverwöhnte Schweizer Skisport durchlebte in der Folge deutlich kargere Jahre. «Weil wir so ein starkes Team hatten, war es in dieser Zeit schwierig, nachzurücken», erinnert sie sich.
Die nächste Olympia-Medaille für eine Schweizerin bei einer Frauen-Abfahrt gab es erst 2006 in Turin (ITA) durch Martina Schild.
Oertli selbst musste sich nach ihrer Ski-Karriere neu orientieren. «Man ist auf einen Schlag pensioniert und arbeitslos», sagt sie. Die Eggerin wurde Besitzerin eines Fitnessstudios und organisierte Ferienreisen. 1995 folgte die Hochzeit mit ihrem langjährigen Freund Urs Ritter.
Auch im Schweizer Fernsehen war sie weiter regelmässig präsent – so als Co-Kommentatorin von Skirennen an der Seite des legendären Hans Jucker. Diese Tätigkeit beendete Oertli nach der Geburt ihres Sohns.
Aufbau einer Marketingschule
2003 krempelte sie dann ihr Leben um. Oertli eröffnete mit ihrem neuen Lebenspartner Hansruedi Knöpfli die Swiss Marketing Academy (SMA) mit Sitz unter anderem auch in Uster.
Es war eine Erfolgsgeschichte, wurde die Schule doch zu einem Marktleader im Bereich der Marketing- und Verkaufsausbildung. Aus der SMA zog sich Oertli vor fast drei Jahren zurück.
Ein Leben für den Sport
Heute mit 63 berät und vernetzt sie mit ihrer in Uster domizilierten Firma Powerwoman. In der Stadt engagiert sich Oertli ausserdem als Vizepräsidentin des Gewerbeverbands und als Präsidentin von ProSport Uster.
Dazu ist sie im Vorstand vom Panathlon Club Zürichsee-Oberland, der ebenso den Sport fördert. «Ich habe eigentlich viel zu viele Ehrenämter», sagt Oertli.
Die Freude am Sport treibt sie jedoch an. Sei es als Präsidentin des Gönnerclubs des Zürcher Schneesportverbands oder als Stiftungsrätin der Sapporo-Stiftung.
Bleibt da überhaupt noch Zeit, um selber Ski zu fahren? «Sicher. Ich bin immer noch dann und wann auf der Piste – brauche aber nicht so viele Skitage», sagt Oertli.
Oberländer Sportmomente
Denkwürdiges, Erheiterndes und Historisches aus dem Oberländer Sportgeschehen: In loser Reihenfolge blicken wir zurück auf besondere Sportmomente. Bisher erschienen:
(1) Der grösste Triumph: Wie die Silberpfeile Sauber-Geschichte schrieben
(2) Oliver Zaugg: Wie der Edelhelfer aus Pfäffikon die Radwelt verblüffte
(3) Sensation im Cup: Wie der EHC Dübendorf den Schweizer Meister übertölpelte
(4) Der einzige Meistertitel: Wie die Frauen des FC Schwerzenbach ihren grossen Coup landeten
(5) Die Radquer-WM in Wetzikon: Als ausgerechnet an der Heim-WM die Titelserie von Albert Zweifel endete
(6) Das Schoch-Duell: Wie zwei Tösstaler Brüder Olympia-Gold unter sich ausmachten
(7) Trotz Geldnot und Knatsch: Wie der EHC Dübendorf sich neun Jahre in der NLB hielt
