Wie zwei Tösstaler Brüder Olympia-Gold unter sich ausmachten
Oberländer Sportmomente (6)
An den Winterspielen 2006 in Turin ist bei den Alpin-Snowboardern schon vor dem Finalduell klar: Der Sieger kann nur Schoch heissen. Entweder Philipp oder Simon.
Davon hatten sie geträumt. Ja, sich richtig darauf eingeschossen, wie sie später einmal sagten – ein Familienduell um Gold am wichtigsten Sportanlass der Welt.
Die Wahrscheinlichkeit ist nur klein, dass Geschwister so was tatsächlich umsetzen können. Den Fischenthalern Philipp und Simon Schoch gelang das Kunststück dennoch.
Bald einmal 20 Jahre ist es her. Und bleibt doch unvergessen. Am 22. Februar 2006 schrieben die zwei Alpin-Snowboarder an den Olympischen Spielen in Turin mit ihrem Doppelsieg eine Sportgeschichte, die nicht nur in der Schweiz hohe Wellen schlug, sondern um die Welt ging: Philipp triumphierte vor Bruder Simon.
«Gold und Silber: Steg kocht dank Schochs» titelte der «Zürcher Oberländer» daraufhin auf seiner Frontseite. Und schrieb unter das Bild der Olympia-Helden mit ihren Medaillen: «Als wärs ein Märchen aus tausendundeiner Nacht.»
Der Doppeltriumph bewegte in der Heimat des Duos natürlich ganz besonders. Mit einem Extrazug trafen «Philu» und «Simi» drei Tage nach ihrem Glanzstück auf dem Bahnhof Steg ein. Empfangen von einer solch grossen Menschenmenge, «dass es den Anschein machte, als wären ganz Fischenthal und das halbe Tösstal auf den Beinen gewesen», wie der ZO fand.
Erfolge am Laufmeter
Es war eine grosse Party, die wenn schon nicht grad mit Ansage, ganz sicher auch nicht einfach aus dem Nichts kam. So, wie zuvor 2002 der Olympia-Sieg von Philipp Schoch in Salt Lake City.
Vier Jahre später gehörten die Tösstaler Brüder zu den dominanten Kräften im Alpin-Board-Zirkus. Der damals 27-jährige Simon Schoch war bis zu den Winterspielen in Turin elfmal aufs Weltcup-Podest gefahren und hatte dazu zwei WM-Medaillen gewonnen.
Noch erfolgreicher war sein um ein Jahr jüngerer Bruder unterwegs. Er trat nicht nur als Titelverteidiger an, sondern auch als Gesamtweltcup-Sieger und mit einem reich geschmückten Palmarès, das die eindrückliche Zahl von 14 Weltcup-Siegen aufwies.
Die Erwartungshaltung war also gross. Ja gegenüber Philipp Schoch schon fast riesig, kann man sagen. Er war nichts weniger als der meistgenannte Goldanwärter. Auf den Erfolgsdruck angesprochen, pflegte er zu sagen: «Was soll ich dafür Energie verschwenden? Es ist doch eine Anerkennung, wenn mich alle als Favoriten sehen. Ich entwickle daraus Stärke.»

Stark ist derweil ein gutes Stichwort. Die Schochs jedenfalls zauberten an jenem Mittwoch am Hang von Bardonecchia Leistungen in den weichen Schnee, denen niemand gewachsen war. Letzteres musste auch der Österreicher Sigi Grabner anerkennen, der Olympia-Dritter wurde: «Gegen die Schochs ist derzeit einfach kein Kraut gewachsen. Die fahren in ihrer eigenen Kategorie.»
Folgerichtig standen sich im Final die zwei besten Boarder gegenüber: Qualifikationssieger Simon gegen den Qualifikationszweiten Philipp. «Ich wusste, es wird der härteste Gegner des Tages. Und er wusste es auch», erinnerte sich Simon Schoch an die Gefühle, mit denen er ins Bruderduell stieg.
Simon Schochs Fehler im ersten Run verschaffte Philipp einen Vorteil, den dieser im zweiten Lauf souverän verteidigte. «Mir fehlen die Worte, dieses sensationelle Gefühl zu beschreiben», tat sich der Sieger unmittelbar nach dem Triumph schwer, seinen Gemütszustand auszudrücken. Beim Rückblick auf seine Karriere sagte der zweifache Olympia-Sieger zu jenem Moment dann: «Mit dem Bruder so was zu erreichen, kann man nicht toppen.»
Und wie erlebte der Silbermedaillengewinner den Rennausgang? «Im ersten Moment hatte ich schon das Gefühl: Wieso hat es nicht gereicht?», verhehlte Simon Schoch eine kurze Enttäuschung nicht. «Aber das verflog schnell, als ich ihm in die Augen schaute.» Es sei definitiv einfacher, Olympia-Gold dem eigenen Bruder zu überlassen als jemand anderem.

Die Rivalität der Schochs beschränkte sich denn auch auf den Wettkampf. «Er ist extrem wichtig für mich», sagte Simon Schoch über Philipp, wobei sein Bruder dasselbe von ihm empfand. Die Tösstaler bildeten in all den Jahren eine Einheit, von der Philipp fand: «Es ist eine Art blindes Vertrauen vorhanden.»
Dieses zahlte sich in den Tests jeweils aus, wobei ihnen eine Besonderheit in die Karten spielte: Die zwei hatten dieselbe Schuhgrösse, die gleichen Winkel auf den Brettern und fuhren dieselbe Härte von Boards.
In Arosa ist es umgekehrt
Ein Jahrzehnt lang prägten Philipp und Simon Schoch ihre Sportart, wie der langjährige Nationaltrainer Christian Rufer sagte: «Durch ihre Erfolge, aber auch durch ihre Persönlichkeiten.»
Einen gemeinsamen Olympia-Final konnten die Fischenthaler nach 2006 zwar nicht mehr bestreiten. An den Heimweltmeisterschaften 2007 in Arosa aber kam es im Parallel-Slalom erneut zum familiären Stechen um die Goldmedaille. Dieses Mal schwang Simon Schoch obenaus.
Sieben Jahre später zogen die Snowboarder zum selben Zeitpunkt einen Schlussstrich. All ihre Erfolge aufzuzählen, gäbe einen richtigen Zahlensalat. Darum nur so viel: 55 Weltcup-Podeste sammelten die Brüder, 23-mal trug der Sieger in einem Weltcup-Rennen den Nachnamen Schoch.
Den letzten grossen Wettkampf bestritten sie an den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi. Es war kein schönes Ende. Aufgrund starker Schmerzen war für Philipp Schoch in der Qualifikation Schluss, nachdem er schon die Jahre zuvor mit massiven Rückenproblemen zu kämpfen gehabt hatte.
Ebenfalls ernüchternd verlief der Wettkampf für Simon Schoch, der im Achtelfinal dem Italiener Aaron March unterlag. Es ist etwas, das ausser ihm selber wohl kaum mehr jemand weiss – im Gegensatz zum historischen Moment 2006.
Oberländer Sportmomente
Denkwürdiges, Erheiterndes und Historisches aus dem Oberländer Sportgeschehen: In loser Reihenfolge blicken wir zurück auf besondere Sportmomente. Bisher erschienen:
(1) Der grösste Triumph: Wie die Silberpfeile Sauber-Geschichte schrieben
(2) Oliver Zaugg: Wie der Edelhelfer aus Pfäffikon die Radwelt verblüffte
(3) Sensation im Cup: Wie der EHC Dübendorf den Schweizer Meister übertölpelte
(4) Der einzige Meistertitel: Wie die Frauen des FC Schwerzenbach ihren grossen Coup landeten
(5) Die Radquer-WM in Wetzikon: Als ausgerechnet an der Heim-WM die Titelserie von Albert Zweifel endete
