Sie hat sich ihren Kindheitstraum erfüllt
In einem ersten Schritt büffelte Kerstin Kündig einzelne Wörter. Als sich ab Januar abzeichnete, dass ihr Wunsch von einem Wechsel nach Dänemark in Erfüllung gehen könnte. Nach der Vertragsunterzeichnung bei Viborg HK intensivierte die Schweizer Nationalspielerin ihre Bemühungen, dänisch zu lernen, dann deutlich.
Der Grund dafür: Die Wetzikerin ist Spielmacherin. Und somit der verlängerte Arm des Trainers, wie Kündig sagt. Sie muss dessen Anweisungen verstehen. Die Kommunikation mit ihren Teamkolleginnen ist ebenfalls entscheidend.
Bei ihrem aktuellen Klub, dem Thüringer HC, ist die Teamsprache Englisch. Gleich 13 verschiedene Nationalitäten sind im Kader vereint. In Viborg aber ist Trainer Jakob Vestergaard ein Einheimischer. Zudem stehen überwiegend Däninnen auf dem Feld.
Die Schweizerin wird gar die einzige sein, die nicht aus Skandinavien kommt. «Es liegt also an mir, die Sprache zu sprechen.» Im Herbst beginnt für Kündig das neue Abenteuer. Sie freut sich enorm darauf und sagt: «Ich bin gespannt, wie es wird.»
Die 28-Jährige hat sich im zweiten Jahr in der Bundesliga deutlich gesteigert, ist zur zentralen Figur beim Spitzenteam Thüringer HC gereift. «Ich habe gelernt, eine sehr gute Mannschaft zu führen», ist sie mit ihrer Entwicklung zufrieden.
Wenns zählt, ist Kündig beim Tabellenvierten aus Erfurt am Zug. «Man braucht mich, das ist ein schönes Gefühl.»
Tunnelblick nach Dänemark
Kündig fühlt sich in Thüringen sehr wohl. Und der Verein hätte die Rückraumspielerin gerne über die Saison hinaus behalten. Dennoch verlässt die Oberländerin Deutschland in wenigen Wochen und zieht nordwärts.
Trotz Interesse von Klubs aus diversen europäischen Spielklassen hatte sie sich nie konkret mit Optionen ausserhalb Dänemarks beschäftigt. «Ich wollte unbedingt dahin. Dass es geklappt hat, macht mich stolz.»
Die 71-fache Nationalspielerin kokettiert nicht etwa. Es ist auch für die Leaderin eines Bundesligateams keine Selbstverständlichkeit, in der Bambusa Kvindeligaen einen Platz zu ergattern.
«Wer über so viele Jahre gute Leistungen abruft, muss sehr vieles richtig machen.»
Kerstin Kündig
Die höchste dänische Spielklasse gehört zu den besten Ligen der Welt. Die 14 Teams setzen dabei grossmehrheitlich auf skandinavische Spielerinnen. In Dänemark ist Handball Nationalsport. «Ja gar ein Hype», ist Kündigs Eindruck.
Das kommt nicht von ungefähr. Zweimal wurden die Männer zuletzt Weltmeister. Die Frauen holten letztes Jahr WM-Bronze. Die Welthandballerin des Jahres 2021? Das männliche Pendant dazu? Die Weltcoaches des Jahres? Allesamt Däninnen und Dänen.
Für Kündig geht mit dem Engagement im Norden ein Kindheitstraum in Erfüllung. Sie habe nach dem Angebot von Viborg innerlich Luftsprünge gemacht, erzählt sie. Der Verein auf der Halbinsel Jütland ist eine der europäischen Topadressen.
Dreimal haben die Frauen die Champions League gewonnen – nur drei Teams waren auf höchster Klubstufe erfolgreicher. Seit 1994 hat Viborg 14 nationale Meistertitel gesammelt, hat heuer weiterhin die Chance auf Nummer 15.
Zudem steht Kündigs künftiges Team am Wochenende vom 14./15 Mai im Final Four der European League. Die Spiele finden in der über 8000 Plätze verfügenden Arena in Viborg statt. «Dänemark ist ein riesiger Markt im Frauenhandball», begründete der Vermarkter diese Wahl.
Viel Lob, hohe Erwartungen
Gerne wäre Kündig vor der Vertragsunterzeichnung mal nach Viborg gereist, um sich das Umfeld des Vereins anzusehen. Und die Stadt, in der etwas mehr als 40000 Einwohner leben. Das lag zeitlich aber nicht drin.
Die Oberländerin kann sich allerdings auf ihre Informanten verlassen und hat ein klares Bild davon, was sie erwartet. Ihre Beraterin spielte einst in Viborg, der Schweizer Nationalcoach Martin Albertsen war da Trainer – und beide ermutigten die Wetzikerin zu einem Wechsel.
«Sie hat einen wahnsinnig guten Handball-Kopf.»
Jakob Vestergaard, Trainer Viborg HK
«Sie haben sehr positiv über den Verein gesprochen.» Zugleich verweist Kündig auf Viborgs beeindruckenden Erfolgsausweis. «Wer über so viele Jahre gute Leistungen abruft, muss sehr vieles richtig machen.»
Beim neuen Klub freut man sich auf den Zuzug, der für zwei Jahre unterschrieb. Auf der Vereinswebsite sagt Trainer Jakob Vestergaard, man erhalte mit ihr eine erfahrene Akteurin, die perfekt zur Spielweise von Viborg passe.
Er lobt Kündig dafür, in hektischen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen: «Sie hat einen wahnsinnig guten Handball-Kopf.» Vestergaard verhehlt nicht: «Ich habe hohe Erwartungen an sie.»
Sie passt in die Liga
Damit kann Kündig umgehen. Die Rückraumspielerin ist überzeugt, dass sie von ihren Anlagen her gut in die dänische Liga passt. In dieser nehmen – vereinfacht gesagt – Grösse und Kraft weniger wichtige Rollen ein als in Deutschland. Dafür zählen Dynamik und Schnelligkeit mehr.
«Eine neue Liga, ein neuer Coach, neue Inputs – das bringt mich weiter.» Die Profihandballerin hat das Gefühl, noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung angelangt zu sein. Athletisch, mental, technisch und taktisch ortet sie noch reichlich Potenzial.
Sie hat grossen Anteil am Aufschwung im Schweizer Frauen-Handball
10.03.2022

Wetziker Nationalspielerin
Das Schweizer Frauen-Nationalteam hat sich erstmals für die EM-Endrunde qualifiziert. Beitrag in Merkliste speichern Für den Schritt in den Norden waren denn auch rein sportliche Gründe ausschlaggebend. Nicht etwa finanzielle Verlockungen. Ein Direktvergleich zwischen ihrem jetzigen «Paket» in Erfurt und jenem in Viborg sei schwierig, findet Kündig. So sind beispielsweise die Lebenskosten in Dänemark höher als in Deutschland. Am Monatsende habe sie wohl «plus minus» dasselbe auf dem Konto wie jetzt.
Kündig schloss ihr Masterstudium an der ETH ab, bevor sie vor zwei Jahren voll auf den Sport setzte. «Ich komme gut über die Runden, kann etwas sparen», ist sie zufrieden. Und lässt keinen Zweifel daran, dass sowieso nicht das Materielle ihre Antriebsfeder ist. Sie schwärmt von all die Erfahrungen, die sie macht.
«Ich kann meinen Traum leben. Das ist so viel mehr wert.»
