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Sie ist die Denkerin am Kommandostand

Ruth Buscombe ist beim Hinwiler Alfa-Romeo-Team für die Rennstrategie zuständig. Die Britin wollte schon als kleines Mädchen in die Formel 1 und möchte sich nun für Chancengleichheit einsetzen.

Sie wusste schon früh, dass sie in der Formel 1 arbeiten will: Ruth Buscombe in der Sauber-Box.

Foto: Sauber Motorsport

Sie ist die Denkerin am Kommandostand

Am Boxenfunk hört man sie nicht. Und doch hat sie das letzte Wort. Ohne Ruth Buscombe geht punkto Rennstrategie beim Hinwiler Team Alfa Romeo nichts – auch an diesem Wochenende in Austin nicht. Und wenn sich nach dem Qualifying vom Samstag die Fahrer gut ­ausruhen, um fürs Rennen fit zu sein, leistet Buscombe noch einiges an Denkarbeit.

Welche Szenarien sind am wahrscheinlichsten? Wie viele Boxenstopps sind sinnvoll? Und zu welchem Zeitpunkt? «Die beste Strategie entsteht in einer Kombination aus Vorbereitung und Reaktion», sagt sie. Denn um Szenarien grundlegend neu zu kalkulieren, fehlt im Rennen schlicht die Zeit.

Das unvergessliche Haas-Debüt

Seit Herbst 2016 arbeitet die Britin für die Sauber Motorsport AG. Von Monisha Kaltenborn wurde sie damals nach Hinwil geholt, als die neuen Investoren von Longbow Finance übernommen hatten. Erst 27-jährig war Buscombe damals – und doch brachte sie schon einiges an Erfahrung in der Formel 1 mit.

2012 hatte sie direkt nach dem Stu­dium bei Ferrari begonnen, nach vier Jahren wechselte sie zum damaligen Formel-1-Neuling Haas – und erlebte dort einen Saisonauftakt, den sie wohl nie ver­gessen wird.

«Vor dem Rennen schlief ich in der Garage am ­Boden, ich hatte so viel zu tun», erzählt sie im Formel-1-Podcast «Beyond the Grid». Der sechste Platz von Romain Grosjean habe sich dann «wie ein Sieg angefühlt».

Das Bauchgefühl gehört dazu

Am Ende derselben Saison erlebte sie – unterdessen mit Sauber – in Brasilien erneut positive Emotionen. Dank ihrer Strategie holte Felipe Nasr als 9. jene beiden WM-Punkte, dank denen die Hinwiler vom letzten auf den zweitletzten WM-Rang vorstiessen und so noch zu Preisgeld ­kamen.

«Das war sehr wichtig», erinnert sich Buscombe. «Wir ­lieferten uns die ganze Saison ­einen Zweikampf mit dem Manor-­Team, der sehr nervenaufreibend war. Wir mussten alles probieren und riskierten je länger, je mehr. Wir hatten alles Exotische versucht. Und an diesem Tag sagte mir mein Bauchgefühl: Heute holen wir diese Punkte.»

Bauchgefühl mag manchmal zwar auch dazugehören – doch der Job als Rennstrategin ist vor allem kopflastig. Strategie sei kein Hokuspokus, sondern eine Wissenschaft, sagt Buscombe. Und die Vorbereitung auf ein Rennen beginnt schon viele Wochen im Voraus, wenn man definieren muss, wie viele Sätze von welcher Reifenmischung an die Strecke geliefert werden sollen.

«Man muss sich überlegen, wie das Wetter sein könnte, wie die Performance des Autos auf dieser Strecke sein könnte, was für eine Charakteristik die Strecke hat.»

Die Werkzeuge, die den Ingenieuren für solche Berechnungen zur Verfügung stehen, haben sich stark verändert. «Wir haben heute mehr Informationen, mehr Möglichkeiten, bessere Simulationen, stärkere Computer als vor zehn Jahren», sagt Buscombe.

Sie wusste früh, was sie will

Sie fühlt sich wohl in dieser sich schnell entwickelnden Welt – und spricht hörbar gerne darüber. Schon früh wusste die in London aufgewachsene 31-Jährige, dass sie dereinst in der ­Formel 1 arbeiten will. Die Faszination für den Sport gab ihr der Vater, von Beruf Arzt, als begeisterter McLaren-Fan mit auf den Weg.

«Ich war zielstrebig», sagt sie und erzählt, wie sie auf der Suche nach Berufen in der Königsklasse bei ihrer Recherche auf die in Motorsport-Ingenieurskreisen klingenden Namen James Allison (arbeitete für Ferrari und Mercedes) und Paddy Lowe (Williams, McLaren, Mercedes) stiess. «Ich hatte keinen Kontakt mit ihnen, ich kannte auch sonst niemanden im Motorsport. Sie inspirierten mich.» Weil Allison und Lowe in Cambridge studiert hatten, tat sie dies auch.

«Ich möchte den Mädchen zeigen: Wenn du Mathematik magst, dann kannst du so coole Jobs wie diesen machen.»

Ihre Masterarbeit in Luft- und Raumfahrttechnik schrieb sie über den Effekt von DRS, dem System, mit dem die Fahrer den Heckflügel flach stellen und einen Konkurrenten so besser überholen können. So kam sie erstmals direkt mit der Formel 1 in Kontakt – und wurde wenig später von Ferrari eingestellt.

Bei der Scuderia feierte sie auch ­ihren bisher einzigen Sieg: 2015 in Malaysia, als Sebastian Vettel erstmals für Ferrari gewann, orchestrierte Buscombe die Strategie aus dem fernen Maranello – und verschaffte sich damit viel Ansehen. «Als Britin in einem italienischen Team zu sein, ist nicht nur einfach. Danach hatte ich aber das Gefühl, dazuzugehören.»

Unterdessen leistet sie die strategische Denkarbeit an der Boxenmauer bei Alfa Romeo – und setzt sich in verschiedenen Gremien und Kampagnen dafür ein, dass mehr Frauen den Weg in den noch immer von Männern dominierten Motorsport finden. «Es gibt noch immer Vorurteile», sagt sie, «Menschen werden nach verschiedenen Massstäben beurteilt – wir müssen noch viele Dinge ändern.»

Den Bedarf dazu sieht sie aber nicht nur in der Formel 1 selber, sondern an der Basis. «Wir müssen sicherstellen, dass alle die gleichen schulischen Möglichkeiten haben – unabhängig von Geschlecht und Hautfarbe.»

Und sie redet auch gerne über ihre Funktion, weil sie ihren Job sichtbarer machen möchte: «Ich möchte den Mädchen zeigen: Wenn du Mathematik magst, dann kannst du so coole Jobs wie diesen machen.»

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