Claudio Zanetti nach Hakenkreuz-Retweet im Fokus der Justiz: «Das ist absurd»
Präsident der SVP Gossau
Die Staatsanwaltschaft Zürich erwägt Anklage gegen den Präsidenten der SVP Gossau wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass. Ein Strafrechtsexperte hält das für unverhältnismässig.
Der ehemalige SVP-Nationalrat Claudio Zanetti hat im Januar 2024 einen Tweet des deutsch-israelischen Politologen und Publizisten Arye Sharuz Shalicar per Retweet weiterverbreitet. Abgebildet ist eine Faust mit der israelischen Flagge und dem Davidstern, die ein Hakenkreuz in den Farben Palästinas wegboxt. Darüber steht geschrieben: «Nie wieder ist jetzt» – eine Erweiterung des nach dem Zweiten Weltkrieg geprägten Slogans «Nie wieder», der als Reaktion auf die Gräueltaten des Holocausts entstand.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft sieht nun vor, Anklage gegen Claudio Zanetti zu erheben. Mit seinem Retweet habe Zanetti, so die Staatsanwaltschaft, gegen den Artikel 261 des Strafgesetzbuchs verstossen und sich womöglich der Diskriminierung und des Aufrufs zum Hass schuldig gemacht.
Zanetti ist entsetzt
Zanetti, der heute Präsident der SVP Gossau ist, zeigt sich gegenüber dieser Redaktion entsetzt und überrascht über die Mitteilung der Staatsanwaltschaft. Sie liegt dieser Redaktion vor. Er sei im September 2024 von der Kantonspolizei Zürich kontaktiert worden mit dem Hinweis, dass eine Strafanzeige gegen ihn vorliege.
Daraufhin verfasste der Politiker eine siebenseitige Stellungnahme, die dieser Redaktion vorliegt. Darin heisst es unter anderem: «Es ist absurd, die Zerschlagung eines Hakenkreuzes als rechtswidrigen Gewaltakt zu qualifizieren. Bleibt die Frage, ob Hamas, die sich in ihrer Charta der Vernichtung Israels und der Juden verschrieben hat, mit einem Hakenkreuz in Verbindung gebracht werden darf.»
Verfahren sollte erst eingestellt werden
«Das geht mir nahe», sagt Zanetti, der bekannt ist für seine oft provozierenden Tweets. «Ich gehe hart an den Wind, aber ich weiss, wo die Grenzen sind. Ich bin ein friedfertiger Mensch. Ein Aufruf zu Gewalt ist eine Grenze, die man nicht überschreitet.» Der Post richte sich gegen die Hamas und sei in keiner Weise als Aufruf zur Vernichtung der «palästinensisch/arabischen Bevölkerung» zu verstehen.
Bei der Einvernahme habe ihn die Staatsanwältin gefragt, ob er mit seinem Retweet nicht in Kauf genommen habe, die Gefühle bestimmter Menschen zu verletzen. Man habe ihm aber auch signalisiert, das Verfahren werde eingestellt. Nun sieht sie vor, dennoch Anklage zu erheben.
Nazi-Vergleiche gegen Israel
Für Marcel Niggli, er ist Professor an der Universität Freiburg, Spezialist für Meinungsfreiheit und im Vorstand des Vereins Free Speech Union, ist das unverständlich: «Ich bin ein bisschen sprachlos. Ein Aufruf zu Hass und Diskriminierung setzt voraus, dass jemand eine bestimmte Gruppe in ihrer Gesamtheit als minderwertig bezeichnet.» Zudem hätte auch der Urheber des Tweets und hätten die 450 Retweeter angeklagt werden müssen, so Niggli. «Beleidigungen oder verletzte Gefühle einer Gruppe sind dabei irrelevant, auch wenn man das immer wieder hört.»
Als Beispiel erwähnt er, dass Israelis ebenfalls oft mit Nazis gleichgesetzt würden. Dabei sei aus seiner Perspektive die Verbindung von palästinensischen Organisationen wie der Hamas zum Nationalsozialismus viel eher gegeben. Sie bekennt sich in Artikel 7 ihrer Charta offen, alle Juden vernichten zu wollen: «Die Stunde des Jüngsten Gerichts wird nicht eintreten, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen und sie töten.»
Kann man den Tweet allenfalls so lesen, als würden darin alle Palästinenser mit Nazis gleichgesetzt? Auch das wäre für den Tatbestand irrelevant, so Niggli. «Auch in diesem Fall braucht es eine ethnische Gruppe, die betroffen ist, das ist bei den Palästinensern nicht der Fall. Ein Staat oder eine politische Einheit ist hingegen nicht vor Diskriminierung geschützt.»
Mit diesem Argument hat die Zürcher Staatsanwaltschaft in der Vergangenheit Anzeigen gegen pro-palästinensische Slogans wie «From the river to the sea» abgewiesen. Der Slogan richte sich gegen einen Staat, der kein Schutzobjekt der betreffenden Strafnorm sei, so die Strafverfolger. Die Staatsanwaltschaft sei streng dem Gesetz verpflichtet und nehme keine «moralische oder politische Beurteilung» vor, hiess es in den entsprechenden Urteilen.
Kritik von Juristinnen
Diese Entscheidung wurde in der Folge von zwei Juristinnen der GRA-Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus kritisiert. Erstens sei diese Beurteilung zu ausschliesslich, zweitens hätten die Staatsanwaltschaften keine nähere Begründung für ihren Entscheid geliefert. Auch der Kontext, nämlich der Terrorangriff vom 7. Oktober 2023, sei nicht berücksichtigt worden.
«Für die Strafbestimmung 261 braucht es scharfe Kriterien, was strafbar ist», sagt Niggli. Kernelement sei, dass gegen die Menschenwürde verstossen werde. Ein Hakenkreuz in Palästina-Farben behaupte nicht die Minderwertigkeit einer ethnischen Gruppe.
Die Staatsanwaltschaft Zürich hat auf einen detaillierten Fragenkatalog am Montagmorgen lediglich bestätigt, dass der Abschluss der Strafuntersuchung bevorstehe. Wegen des laufenden Verfahrens gebe man keine weitere Auskunft. Die SVP Zürich schrieb am Montagnachmittag in einer Fraktionserklärung: «Man muss die Aussage, die Claudio Zanetti mit seinem Reposting zum Ausdruck brachte, nicht unterstützen. Wenn derartige Äusserungen nach Meinung der Zürcher Justiz aber nicht mehr unter die freie Meinungsäusserung fallen sollen, dann bewegen wir uns auf äusserst dünnem Eis.»
Disclaimer: Autorin Michèle Binswanger amtiert für die Free Speech Union als Medienkontakt.