Gemeinderat nimmt das Heft in die Hand
«Maurmer Post»
Nächste Runde im Zoff um die «Maurmer Post». Nachdem der Chefredaktor und sein Stellvertreter kaltgestellt wurden, übernimmt nun die Gemeinde selbst.
Es wird kühl in der Gemeinde an den Gestaden des Greifensees: Thomas Renggli, Chefredaktor der Gemeindezeitung «Maurmer Post», und sein kurz vor der Pensionierung stehender Stellvertreter Christoph Lehmann sind vom Gemeinderat kaltgestellt worden. Das Klima ist derart frostig, dass die beiden Journalisten und die Exekutive mittlerweile nur noch via Anwalt miteinander kommunizieren.
Doch auch die Kommission «Maurmer Post», die laut den redaktionellen Richtlinien «die redaktionelle Hoheit über die Gemeindepublikation» innehat und «damit in letzter Instanz über den Inhalt sowie den Zeitpunkt der Veröffentlichung entscheiden» kann, wurde abserviert.
Redaktion und Kommission hatten sich in den letzten Wochen einen eigentlichen Machtkampf geliefert, seitdem Letztere die Stelle von Chefredaktor Thomas Renggli neu ausgeschrieben hatte.
Der Konflikt eskalierte, als der stellvertretende Chefredaktor unter dem Titel «Tod im Sponstürli» einen ausführlichen Bericht über das Tötungsdelikt in Maur vom 24. Februar verfasst hatte. Im Artikel kommt die Schwester des Verstorbenen zu Wort und erhebt Vorwürfe gegen die Gemeinde.

«Verletzung der redaktionellen Richtlinien»
Der Gemeinderat liess in der folgenden Ausgabe der «Maurmer Post» vom 15. März eine Gegendarstellung abdrucken, in der er «eine Verletzung der redaktionellen Richtlinien» feststellt.
Kurz darauf war Chefredaktor Renggli krankgeschrieben, sein befristeter Vertrag lief Ende März ohnehin aus – mittlerweile ohne jede Chance auf Verlängerung; Stellvertreter Lehmann wurde bis zu seiner Pensionierung im September 2024 freigestellt. Ihm warf die Gemeinde in der Ausgabe vom 22. März erneut «schwere Verstösse gegen die redaktionellen Richtlinien der Zeitung» vor.

In der Ausgabe vom 5. April gibt der Gemeinderat nun bekannt, dass er vorübergehend die Aufsicht über die wöchentlich erscheinende Zeitung übernommen hat. Er hat dazu eine Arbeitsgruppe eingesetzt, bestehend aus Gemeindepräsident Yves Keller (FDP), Schulpräsident Rob Labruyère (parteilos), Gemeinderat Urs Rechsteiner (Die Mitte) und Gemeindeschreiber Christoph Bless. Die Kommission unter dem NZZ-Journalisten Herbie Schmidt ist damit obsolet.
Standortbestimmung bis im Juni
Mit der Arbeitsgruppe will der Gemeinderat «die aktuelle Debatte beruhigen und zu einer sachlichen Lösungsfindung beitragen». Bis im Juni will das Gremium eine Standortbestimmung vornehmen, die Strukturen und Prozesse der «Maurmer Post» überprüfen und allenfalls anpassen. Die Suche nach einer Nachfolge für Chefredaktor Renggli wird bis dahin ausgesetzt. Aktuell produzieren die Journalistinnen Dörte Welti und Stephanie Kamm gemeinsam mit freien Mitarbeitenden die Wochenzeitung in reduziertem Umfang.
Eine Beruhigung tut in der Tat not. Mittlerweile sind zwei Aufsichtsbeschwerden in dieser Sache beim Bezirksrat Uster eingegangen. Die Volksseele kocht. In einem Online-Blog, der eigentlich die Anflugschneise Süd zum Thema hat, heisst es, Renggli plane ein unabhängiges und privat finanziertes Konkurrenzprodukt zur «Maurmer Post». Dieser kommentiert nicht, aber gibt auch kein glaubhaftes Dementi ab.
«Strukturelle Fehlkonstruktion»
Ironie der Geschichte: Der Gemeinderat von Maur hatte im Sommer 2023 geplant, seine Gemeindepublikation in unabhängige, externe Hände zu geben. Die derzeitige Lösung mit Medienschaffenden, die möglichst unabhängigen Journalismus betreiben sollen, aber in Lohn und Brot bei der Gemeinde stehen, bezeichnete er im Vorfeld der Abstimmung als «strukturelle Fehlkonstruktion». Die Gemeindeversammlung erteilte dem Vorhaben eine wuchtige Abfuhr – und ausgerechnet jetzt fliegt dem Gemeinderat die Fehlkonstruktion «Maurmer Post» um die Ohren.
Ludwig A. Minelli schaltet sich ein
In der Zwischenzeit hat sich einer der prominentesten Maurmer in die Debatte um die «Maurmer Post» eingeschaltet: Ludwig A. Minelli, Gründer der Sterbehilfe-Organisation Dignitas und mittlerweile 91-jährig, hat Gemeindepräsident Yves Keller einen elfseitigen (!) Brief geschrieben, in dem er die juristischen Aspekte der faktischen Entlassung der beiden Journalisten aufarbeitet. Das Schreiben liegt Züriost vor.
Er schreibe als «Citoyen», der seit 1968 in der Gemeinde wohnhaft sei, als «ehemaliger langjähriger Journalist» sowie als «Rechtsanwalt, der sich in seiner beruflichen Tätigkeit häufig mit Rechtsfragen im Zusammenhang mit Medien zu beschäftigen hatte», so Minelli.
Minelli stellt trocken fest, dass in der Causa «Sponstürli» nicht die Gemeinde zu entscheiden habe, ob redaktionelle Richtlinien verletzt worden seien, sondern einzig der Schweizer Presserat. Ja, er geht so weit, dass er in der Ausgabe vom 15. März die Rechte der Redaktion verletzt sieht, da diese ihre «Vor-Verurteilung in der Gegendarstellung nicht streichen durfte».
Ausserdem sieht Minelli ein strukturelles Problem mit Chefredaktion und Kommission. Er habe den Eindruck gewonnen, der Kommissionspräsident Herbie Schmidt fungiere «gewissermassen als Ober-Chefredaktor». Falls dies der Fall sei, dann würden «somit Kommission und Präsidium zumindest Mit-Verantwortung an der von ihnen nachträglich beanstandeten Publikation» tragen. Die Kommission wäre befugt gewesen, den «angeblichen Verstoss (…) zu erkennen und entsprechend zu handeln».
Die Freistellung von Christoph Lehmann und die Nicht-Weiterbeschäftigung von Thomas Renggli beurteilt Minelli als «widerrechtlich». Er sieht darin eine «vollkommen unverdiente, schwere Verletzung in ihrer Persönlichkeit».