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Artikel über Todesfall stürzt «Maurmer Post» in die Krise

Zuerst erschütterte der Todesfall das Dorf, dann die Berichterstattung. Jetzt gipfelt die Situation in gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Ein Artikel in der «Maurmer Post» löste eine Schlammschlacht aus. Nun ist auch der Gemeinderat gefordert.

Foto: Ljilja Mucibabic

Artikel über Todesfall stürzt «Maurmer Post» in die Krise

Die Nerven liegen blank

Ein Artikel über das mutmassliche Tötungsdelikt in Maur lässt im Dorf die Wogen hochgehen. Das hat jetzt auch personelle Folgen. Bei der Dorfzeitung ist Feuer unterm Dach.

Bettina Schnider, Ljilja Mucibabic

Es war eine Nachricht, die das ganze Dorf erschütterte: Am Samstag, 24. Februar, wurde ein 71-jähriger Mann leblos am Ende einer Aussentreppe auf einem abgelegenen Hof in Maur gefunden. Die Polizei hat im Zusammenhang einen 38-jährigen Mann verhaftet – den Neffen des Opfers.

In verschiedenen Medien war die Rede von einem Streit zwischen den beiden. Das Grundstück Sponstürli, auf dem sich die Tat ereignete, war kurz zuvor Gegenstand einer Erbteilung. Auf dem landwirtschaftlichen Hof wohnte der Neffe mit seiner Familie – und bis vor vier Jahren auch noch der Onkel.

Im Hauptgebäude betrieb Letzterer eine Werkstatt. Ausserdem gehörten ihm zwei Scheunen auf dem Hof – im Baurecht. «Dies war schon vor der Erbteilung der Fall und hätte noch 16 Jahre gedauert», sagt die Schwester des Opfers.

Zwei Tage vor dem Unglückstag haben sich Elisabeth Brüngger und ihre zwei Brüder nach langen Verhandlungen geeinigt: Das Sponstürli samt Umland ging an den Bruder, der in Kanada wohnt. «Doch noch am selben Tag übertrug er das Sponstürli an seinen Sohn», sagt Brüngger. Hier beginnt für sie «eine Verkettung von unglücklichen Umständen», die zur Tragödie beigetragen haben soll.

Streit um eine bauliche Massnahme

Das spätere Opfer wollte auf dem Grundstück eine Elektroleitung zu den Scheunen ziehen. «Die Erstellung der elektrischen Leitung vom Haupthaus zu den Scheunen war vertraglich geregelt», sagt Brüngger.

Dieses Vorhaben untersagte der Neffe seinem Onkel per E-Mail an dem Tag, an dem sein Vater ihn zum Grundstückseigentümer machte. Sowohl Elisabeth Brüngger als auch ihr Partner, beides Bauanwälte, sowie der beauftragte Bauunternehmer meinten jedoch, dass für die elektrische Hausinstallation keine Baubewilligung nötig ist.

Tags darauf hätten deshalb die Grabungsarbeiten begonnen. Daraufhin habe sich der Neffe ans Bauamt gewandt. Dieses beschied ihm, dass es einen Baustopp erlassen werde, und setzte eine eingeschriebene Verfügung auf.

Am Samstagvormittag seien die Arbeiten fortgeführt worden. «Nachdem die Arbeiter kurz vor zwölf Uhr weggegangen waren, befanden sich mein Bruder und der Neffe allein vor Ort, wo es zu der unbegreiflichen Tat gekommen ist», sagt Brüngger nach wie vor fassungslos. Der Brief des Bauamts traf erst zwei Tage später ein.

Happiger Vorwurf

Brüngger glaubt, eine Besichtigung vor Ort oder ein Telefonanruf hätten die Situation klären können. Das empfindet sie als besonders tragisch. «Einen Baustopp verfügt man nicht vom Schreibtisch aus, ohne in einer nachbarlichen Situation beide Seiten anzuhören.»

Die ehemalige Maurmer Hochbauvorsteherin betont, dass es nicht um Schuldzuweisungen gehe. Sie versuche vielmehr, das «schreckliche Geschehen» zu begreifen. «Die Fehleinschätzung der Bauabteilung, dass es für die Hauszuleitung eine Baubewilligung braucht», habe mutmasslich zur Eskalation der Situation beigetragen.

So erzählte es die Schwester auch der Dorfzeitung «Maurmer Post». In der Ausgabe vom 8. März ist die Rede von einem «willfährigen Vorgehen» der Mitarbeitenden des Bauamts, welches den «Eigentumswahn des Täters befeuert und die Eskalation der Ereignisse so indirekt provoziert» hätte. Die Gemeinde selber kommt im Artikel nicht zu Wort.

Die Mitarbeitenden haben aus der Zeitung von den Vorwürfen erfahren.

Christoph Bless

Gemeindeschreiber Maur

In Maur löste der Text eine Welle der Erschütterung aus. Das zeigen auch Leserbriefe in der «Maurmer Post» vom 15. März. Der Artikel wirke «befremdend», sei «vorverurteilend» und habe «nachhaltig entsetzt», ausserdem ist von einseitiger Berichterstattung die Rede, weil nur die Schwester zu Wort kommt.

Auch bei der Verwaltung war die Bestürzung gross. «Die Mitarbeitenden der Abteilung Hochbau und Planung haben erst aus der gedruckten Zeitung von den Vorwürfen gegen sie erfahren», sagt Gemeindeschreiber Christoph Bless.

Kritik an der Dorfzeitung

Auf Nachfrage sagt die Gemeinde, dass sie für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen nicht angefragt worden sei. «Aus unserer Sicht entspricht dieses Vorgehen in keiner Weise den redaktionellen Richtlinien der ‹Maurmer Post› und ist auch medienrechtlich nicht zulässig.»

Denn es gehört gemäss den Richtlinien des Schweizer Presserats zu den Pflichten von Journalistinnen und Journalisten, allen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, sich zu äussern. Es kann vorkommen, dass dies untergeht oder die Sachlage falsch eingeschätzt wird.

Bei solch happigen Vorwürfen wie im vorliegenden Fall muss den Angeschuldigten aber zwingend die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben werden.

Gegendarstellung der Gemeinde

Die Gemeinde forderte von der «Maurmer Post» den Abdruck einer Gegendarstellung ein. Diese füllte in der neuesten Ausgabe vom 15. März eine halbe Seite. Der Gemeinderat nimmt darin die Mitarbeitenden in Schutz, sie hätten korrekt gehandelt und keinesfalls willfährig; also ohne sich Gedanken zu machen.

Die Gemeinde hält zudem fest, dass die Bauarbeiten des späteren Opfers unbewilligt stattgefunden hätten. Die beiden Schöpfe befinden sich ausserhalb der Bauzone, wo grundsätzlich ein Bauverbot gilt. Zudem stehen auf dem Hof zwei Gebäude, die im kommunalen Schutzinventar aufgeführt sind.

«Die Abteilung Hochbau und Planung musste deshalb rasch handeln.» Die Gemeinde verfügte den sofortigen Baustopp. Dessen Ziel sei es gewesen, den Sachverhalt in einem ordentlichen Bauverfahren zu klären.

Der Gemeinderat geht hart ins Gericht mit der «Maurmer Post». Er erachtet es als Zumutung, den Mitarbeitenden wegen des Baustopps öffentlich die Mitschuld am Tod eines Bürgers zu geben.

Unwürdige Schlammschlacht

Die öffentliche Kritik des Gemeinderats an der gemeindeeigenen Dorfzeitung ist der bisherige Höhepunkt eines Konflikts, der sich in den letzten Wochen zugespitzt hat. Vor dem Hintergrund des tragischen Vorfalls im Sponstürli kommt es jetzt zu einer unwürdigen Schlammschlacht.

Denn die Gerüchteküche um die «Maurmer Post» brodelt seit Wochen. Anlass war, dass die Kommission «Maurmer Post» die Stelle des Chefredaktors per 1. April neu ausgeschrieben hat. Stelleninhaber Thomas Renggli hat nur einen befristeten Vertrag bis Ende März.

Renggli hatte die Stelle vorläufig nur interimistisch. Das liegt an der Reorganisation der «Maurmer Post», die der Gemeinderat letztes Jahr angestossen hatte – mit hehren Absichten.

Um die redaktionelle Unabhängigkeit zu stärken, wollte er die Gemeindezeitung in private Hände geben und eine öffentliche Ausschreibung durchführen. Doch die Maurmer schmetterten die Idee letzten Sommer an der Gemeindeversammlung mit 106 Nein- zu 46 Ja-Stimmen deutlich ab.

Kommission gestärkt

Trotzdem wollte der Gemeinderat eine unabhängigere «Maurmer Post». Dazu passte er die Aufgaben und die Zusammensetzung der bestehenden Redaktionskommission an. Deren Mitglieder werden aber weiterhin vom Gemeinderat gewählt.

Er übertrug ihr jedoch die redaktionelle Hoheit. Bei Unstimmigkeiten zum Inhalt der Zeitung hat die Kommission damit das letzte Wort. Ausserdem ist sie für die Rekrutierung des Chefredaktors und der Redaktionsmitglieder zuständig.

Für die Kommission ist das jetzige Bewerbungsprozedere «ein völlig normaler struktureller Prozess». Doch viele im Dorf waren überrascht. Für Renggli wurden Unterschriften gesammelt, während die Kommission in zahlreichen Leserbriefen kritisiert wurde.

Auch innerhalb der Redaktion sorgte das Inserat für Misstöne: Rengglis Stellvertreter Christoph Lehmann wandte sich in einem Brief an die Kommission und schrieb darin von «sehr intransparenter Wirkungsweise und Kommunikation». Renggli hat sich für die Festanstellung beworben.

Gegenseitige Schuldzuweisung

Hat die Reorganisation dazu geführt, dass am Schluss die gewünschte unabhängige Berichterstattung gelitten hat? Es bleibt nämlich die Frage: Wieso hat die «Maurmer Post» der Gemeinde keine Gelegenheit geboten, sich zu den schweren Vorwürfen zu äussern?

Im Tagesgeschäft ist die Redaktion für die Inhalte zuständig. Doch Chefredaktor Thomas Renggli nimmt derzeit keine Stellung. Er ist aktuell krankgeschrieben und verweist an seinen Stellvertreter Christoph Lehmann, den Autor des umstrittenen Texts. Doch Lehmann wurde in der Zwischenzeit bis zu seiner Pensionierung im September freigestellt.

Er hat uns eine Stellungnahme zukommen lassen. Darin verweist er darauf, dass das Vorgehen für den Artikel in der Redaktion besprochen wurde. Am 1. März sei der Artikel geschrieben und abgenommen worden.

Die Kommission hätte einschreiten können, tat es aber nicht.

Christoph Lehmann

Stellvertretender Chefredaktor «Maurmer Post»

«Ich als Autor habe noch schriftlich die Chefredaktion und die interviewte Person gebeten, gegebenenfalls bei der Gemeinde um eine Stellungnahme betreffend Baustopp-Verfügung zu bitten», schreibt Lehmann.

Trotzdem nimmt er seinen Vorgesetzten in Schutz: «Zu diesem Zeitpunkt war unser Chefredaktor aber wegen des anhaltenden Lärms und der Vorwürfe um seine Person wohl schon sehr angeschlagen.»

Vorwürfe macht er jedoch der Kommission. «Das Gut zum Druck der Ausgabe vom 8. März ist der gesamten Redaktion und Kommission der ‹Maurmer Post› zur Stellungnahme versendet worden.» Die Kommission habe dabei lediglich einen nicht genehmen Leserbrief abgelehnt. Für Lehmann ist klar: «Die Kommission hätte einschreiten können, tat es aber nicht.»

Die Kommission hingegen weist jede Schuld von sich. Sie distanzierte sich in der jüngsten Ausgabe der «Maurmer Post» vom umstrittenen Artikel «in aller Form» und entschuldigte sich für das entstandene Leid.

«Die Chefredaktion trägt die publizistische Verantwortung für alle Inhalte und führt somit das publizistische Tagesgeschäft», sagt Kommissionspräsident Herbert Schmidt. Die Kommission würde nur in Ausnahmefällen eingreifen.

«Es besteht keine Autorisierungspflicht für redaktionelle Inhalte», betont Schmidt. Doch vieles deutet darauf hin, dass die Kommission neu verstärkt auf die Publikation Einfluss nimmt.

Wer hat das Sagen?

Zur «Maurmer Post» gehört das Editorial, geschrieben vom Chefredaktor, seit Jahren dazu. In der Ausgabe vom letzten Freitag fehlte es, obwohl ein Text von Thomas Renggli vorlag. Die Frage, wieso der Text nicht erschienen ist, lässt Kommissionspräsident Herbert Schmidt unbeantwortet.

Die internen Unstimmigkeiten haben offenbar auch die Druckerei erreicht. Das zeigt eine E-Mail, die uns vorliegt. Darin wünscht das Unternehmen eine Klärung der Abläufe, wer das letzte Wort bei der «Maurmer Post» hat.

Bei den Leserbriefen scheint es schon länger die Kommission zu sein. So forderte eine Maurmerin in einem Leserbrief von der Kommission, dass Renggli bleiben dürfe. Diese Zuschrift sei trotz Überarbeitung abgelehnt worden.

Dagegen hat sie jetzt eine Aufsichtsbeschwerde beim Bezirksgericht Uster eingereicht. Darin fordert sie die «journalistische Freiheit des Chefredaktors» zurück. Der Kommission hingegen müssten Befugnisse entzogen werden.

Zurück bleibt ein Scherbenhaufen

Es scheint ein Machtkampf zwischen Kommission und Redaktion zu herrschen, der im Dorf nicht unbeobachtet bleibt. Renggli nennt «Mobbing» als Grund für seine Krankschreibung, ohne weiter auf die Gründe einzugehen.

Sein Vertrag läuft Ende März aus. Angesichts der jüngsten Ereignisse scheint es höchst unwahrscheinlich, dass Renggli im Amt bleibt. Ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin wurde noch nicht präsentiert.

Mit der Freistellung von Rengglis Stellvertreter Christoph Lehmann wird keine Ruhe in die noch zweiköpfige Redaktion einkehren. Die Kommission und der Gemeinderat sind nun an vielen Fronten gefordert.

Die Bevölkerung hat Anspruch auf eine informative Gemeindepublikation.

Christoph Bless

Gemeindeschreiber Maur

Letzterer wollte sich zu den personalrechtlichen Vorgängen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht äussern. «Die personelle Situation in der Redaktion der ‹Maurmer Post› ist anspruchsvoll und Gegenstand von laufenden Verhandlungen zwischen Gemeinderat, Kommission und betroffenen Mitarbeitenden», sagt Gemeindeschreiber Christoph Bless.

«Die Bevölkerung von Maur hat Anspruch auf eine informative und qualitativ ansprechende Gemeindepublikation», erläutert er. Der Gemeinderat setze alles daran, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.

Nach dem Artikel über den Todesfall im Sponstürli will er auch mit der Kommission das Gespräch suchen und Massnahmen zur Qualitätssicherung einfordern.

Es wird nicht zuletzt auch darum gehen, das Vertrauen wieder aufzubauen. Damit die «Maurmer Post» auch in ihrem 50. Lebensjahr so geschätzt bleibt wie eh und je.

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