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Ustermer Traditionsfirma trennt sich von Getränkehandel

Ein grosses Kapitel Firmen- und Familiengeschichte geht zu Ende: Ab Januar gibt die Geschäftsleitung der Girsberger + Sieber AG ihr bisheriges Kerngeschäft auf. Die Arbeitsbelastung ist zu gross geworden.

Lilian Angehrn, Raphael Angehrn und Monika Sieber (v. l.) leiten die Girsberger + Sieber AG., Ab Januar 2023 werden sie ihren Getränkehandel abtreten. Dafür behalten sie..., ... ihren Tankstellenshop an der Riedikerstrasse 5., Neue Eigentümerin der Getränkehandlung ist die Zweifel Weine & Getränke AG. Im Bild: CEO Stefan Zwyssig.

PD/Micha Eicher

Ustermer Traditionsfirma trennt sich von Getränkehandel

Mit Bier fing alles an. 1913 gründete Wilhelm Girsberger jene Ustermer Getränkehandlung, die heute Girsberger + Sieber AG heisst. Er fuhr damals noch mit dem Rosswagen nach Winterthur, um die Bierfässer von der dortigen Brauerei abzuholen, erzählt Urenkelin Lilian Angehrn. «Zu Beginn gab es nur eine Biersorte, heute führen wir über 100 Sorten in unserem Sortiment.»

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Die Girsberger + Sieber AG als solche bleibt bestehen. Denn die Geschäftsleitung will ihren Tankstellenshop an der Riedikerstrasse 5 selbständig weiterführen.

«Wir finden kaum noch Personal, das bereit ist, am Wochenende und abends zu arbeiten.»
Lilian Angehrn, Co-Geschäftsführerin Girsberger + Sieber AG

Mit einer Aufgabe des Getränkehandels habe man sich erst in diesem Jahr ernsthaft auseinandergesetzt, wie Lilian Angehrn berichtet. Ihr zufolge sei die Arbeitsbelastung stark angestiegen, seit das Geschäft mit der Belieferung von Festanlässen wieder brummt. «Wir finden kaum noch Personal, das bereit ist, am Wochenende und abends zu arbeiten.»

In einer Lagerhalle steht ein mintgrüner Gabelstapler.

Immer öfter bleibe die Arbeit an ihrem Mann, ihrer Schwester und ihr selbst hängen. «Das geht irgendwann an die Substanz», sagt sie. Weil auch aus der nächsten Generation niemand den Betrieb übernehmen wollte, fiel der Entscheid, eine externe Lösung zu suchen.

Immer weniger Anbieter

Dieses Phänomen ist kein Einzelfall im Wein- und Getränkehandel. Seit einigen Jahren nimmt die Anzahl der Anbieter durch Fusionen und Übernahmen stetig ab. «Die Konsolidierung des Marktes hat sich durch die Pandemie und den damit einhergehenden Arbeitskräftemangel noch beschleunigt», sagt Stefan Zwyssig, Geschäftsführer der Zweifel Weine & Getränke AG. Die Firma mit 45 Beschäftigten gehört zur selben Holding wie der bekannte Chipshersteller Zweifel.

« Man braucht eine gewisse Grösse, um am Markt bestehen zu können.»
Stefan Zwyssig, CEO Zweifel Weine & Getränke AG

Bereits in diesem Sommer hat sein Unternehmen einen anderen Getränkehändler in Schlieren ZH übernommen. Zwyssig: «Die Getränkebranche ist ein Volumengeschäft mit dünnen Margen. Man braucht eine gewisse Grösse, um am Markt bestehen zu können.»

Ein Mann mit Hemd steht in einer Weinhandlung und hält eine Flasche in der Hand.

Zweifel verfolge eine «Vorwärtsstrategie», ohne dabei aggressiv aufzutreten. Bei allen Übernahmen handle es sich um Nachfolgeregelungen im Interesse der jeweiligen Betriebe. «Als 100-prozentiges Familienunternehmen geniessen wir einen guten Ruf.»

Im Falle der Girsberger + Sieber AG bestehen ihm zufolge schon seit Längerem vertrauensvolle Beziehungen: Auch als Mitbewerber hätten sie sich oft gegenseitig ausgeholfen und Produkte beieinander eingekauft.

« Klein, wendig und flexibel »

Lilian Angehrn spricht von gemeinsamen Werten, die sie dazu bewogen hätten, an Zweifel zu verkaufen. Zudem würden sie durch ihre Ausrichtung auf Kleinkundschaft das bestehenden Zweifel-Geschäft mit dem Schwerpunkt auf Grosskundschaft gut ergänzen. «Wir sind klein, wendig und flexibel», sagt sie lachend.

Bei den im Sommer 2022 aufgenommenen Verhandlungen ist man sich daher schnell einig geworden. Ende September konnten die Verträge über die Nachfolgeregelung unterzeichnet werden. Über die Kaufsumme haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart.

« Den Mitarbeitenden ist schnell klar geworden, dass sie am neuen Ort gut aufgehoben sind.»
Lilian Angehrn, Co-Geschäftsführerin Girsberger + Sieber AG

Wichtiger als das Finanzielle sei aber die Weiterbeschäftigung der Mitarbeitenden gewesen, wie Angehrn hervorhebt. «So bleibt auch die gute Verbindung zu unserer Stammkundschaft bestehen.»

Trotzdem seien auch ein paar Tränen geflossen, als man die Belegschaft Anfang Oktober über den Verkauf des Getränkehandels informiert habe. Viele von ihnen würden schon seit Jahrzehnten für Girsberger + Sieber arbeiten und sich dem Familienunternehmen eng verbunden fühlen. «Ihnen ist dann aber schnell klar geworden, dass sie am neuen Ort gut aufgehoben sind.»

Vor einem Lagergebäude stehen zwei Kühlwagen-Anhänger.

Im Rahmen der Nachfolgeregelung wird die Firma Zweifel das Getränkelager, den Lagerbestand, die Lieferfahrzeuge sowie Mobiliar übernehmen. Das hinter dem Tankstellenshop befindliche alte Tramdepot, das im Besitz von Girsberger + Sieber verbleibt und bisher als Lager dient, soll angemietet werden. «Wir planen dort ein Kompetenzzentrum für alles rund um das Thema Wein, Bier, Edeldestillate und Getränke», sagt Geschäftsführer Stefan Zwyssig.

«Unser Areal in Uster an der Brauereistrasse ist inzwischen zu klein.»
Stefan Zwyssig, CEO Zweifel Weine & Getränke AG

Damit will Zweifel seine Präsenz in Uster sichern. Denn schon im Herbst 2023 führt die Firma alle ihre Aussenlager neu in Volketswil zusammen. «Unser Areal in Uster an der Brauereistrasse, wo wir Mieter sind, ist inzwischen zu klein.»

Um den steigenden Platzbedarf durch die kommende Übernahme abzudecken, werde man in der Übergangszeit das zweite Lager von Girsberger + Sieber an der Steigstrasse weiternutzen und den bestehenden Mietvertrag übernehmen. «Dorthin lagern wir den Leergut-Bereich aus, um Kapazitäten freizuspielen», sagt Zwyssig.

Verankerten Brand weiterführen?

Ob Zweifel auch den in der Region verankerten Brand Girsberger + Sieber fortführt, steht laut dem Geschäftsführer noch nicht fest. Denkbar wäre, dass das geplante Kompetenzzentrum im alten Tramdepot unter dem Namen beider Firmen läuft.

In jedem Fall soll es Synergien mit dem Tankstellenshop geben, wie auch Lilian Angehrn mitteilt. «Wir wollen Produkte aus dem Zweifel-Sortiment in unserem Shop verkaufen, zum Beispiel gut laufende Weine.» Im Gegenzug könnten Privatkunden im Kompetenzzentrum aus einer grossen und ergänzenden Produktepalette an Weinen, Spirituosen, Bieren und alkoholfreien Getränke wählen.

«Wir sind alle um die 60 und noch zu jung für die Pensionierung.»
Lilian Angehrn, Co-Geschäftsführerin Girsberger + Sieber AG

Von dem Tankstellenshop wollen sich Angehrn, ihr Mann und ihre Schwester vorerst nicht trennen. «Wir sind alle um die 60 und noch zu jung für die Pensionierung.» Zudem liege ihnen viel daran, den guten Firmennamen in dieser Form zu erhalten. Über den Verkauf des Getränkehandels ist ihre Familie einerseits traurig, weil nun ein langes und traditionsreiches Kapitel zu Ende geht, wie sie sagt. «Andererseits bin ich erleichtert, dass wir einen guten Nachfolger gefunden haben.»

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