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«Ein guter Coiffeur kann auch auf der Strasse arbeiten»

Der gebürtige Sizilianer Vincenzo Camarda zog im Alter von 16 Jahren von zu Hause aus, um das Coiffeur-Handwerk zu erlernen. Nun hat er in Pfäffikon seinen ersten eigenen Salon eröffnet.

Vincenzo «Enzo» Camarda hat sich in Pfäffikon den Traum vom eigenen Salon erfüllt.

Foto: Christian Merz

«Ein guter Coiffeur kann auch auf der Strasse arbeiten»

Dass er Coiffeur werden will, wusste Vincenzo Camarda, den alle nur Enzo nennen, schon früh. «Bereits mit 11 habe ich in einem Barber-Salon mitgeholfen», erzählt der heute 24-Jährige. «Dieser Beruf hat mich einfach schon immer fasziniert, weil man damit die Leute glücklich machen kann.» Nun sitzt Enzo auf einem Coiffeurstuhl an der Kempttalstrasse in Pfäffikon. Hier, im Hinterzimmer eines Nail-Salons, hat er sich den Traum eines eigenen Coiffeurgeschäfts erfüllt.

«Es ist klein und nicht die beste Lösung, weil es nicht mal einen eigenen Eingang hat», sagt er. «Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist meine Arbeit. Ein guter Coiffeur kann auch auf der Strasse arbeiten.»

Und ein guter Coiffeur, das ist Enzo – davon ist er überzeugt. «Viele Coiffeure schneiden so, wie sie es in der Ausbildung gelernt haben, nach Lehrbuch», sagt er. «Ich hingegen lebe und fühle diese Arbeit mit meinem ganzen Herzen.»

Lange Beratungsgespräche

Er nennt sich selbst «Freestylist». «Ich bin ein Künstler, ein kleiner Picasso.» So verwende er beim Färben mit Vorliebe keine Alufolie, sondern trage die Farbe freihändig auf – was viel Fingerspitzengefühl erfordere. Er sei ein Spezialist für die spezielle Haarfärbetechnik names Balayage und bilde sich stetig weiter.

«Ich bin hyperaktiv. Stillsitzen und nichts tun, liegt mir überhaupt nicht.»
Vincenzo «Enzo» Camarda

Sein Geheimnis sei ausserdem die Beratung. «Ein solches Gespräch kann 20, 30 oder sogar 40 Minuten dauern», erzählt er. «Ich fange erst an, wenn ich ganz genau verstehe, was meine Kundin oder mein Kunde will. Und niemand verlässt meinem Salon, wenn er nicht 100 Prozent zufrieden ist.»

Der gebürtige Italiener, der am Hals einen bunten Schmetterling tätowiert hat und in der Nase einen Ring trägt, sprüht vor Energie, spricht ohne Punkt und Komma, hüpft von einem Thema zum Nächsten, lacht viel.

Man glaubt ihm sofort, wenn er sagt: «Ich bin hyperaktiv. Stillsitzen und nichts tun, liegt mir überhaupt nicht.» Deshalb habe er schon immer sehr gerne gearbeitet.

Hauseingang mit Beschriftung von Nagelstudio und Coiffeur.

Aufgewachsen ist Camarda in einem kleinen Dorf in Sizilien, an den Hängen des Ätna. Er besuchte ein Humanistisches Gymnasium mit Schwerpunkt Psychologie und Soziologie. Gleichzeitig verfolgte er hartnäckig sein Ziel, Coiffeur zu werden.

Als er 16 Jahre alt war, verliess er sein Zuhause und begann in einer grösseren Stadt eine Coiffeurlehre, arbeitete morgens im Salon und ging nachmittags weiterhin zur Schule. Verdient habe er kaum etwas. Verschiedene Jobs in Restaurants und Diskotheken halfen ihm, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.

Mit 18 nach Mailand

Mit 18 ging er mit seiner grossen Liebe nach Mailand, in der Tasche gerade mal 500 Franken. «Wir waren völlig verrückt», sagt er. «Wir wollten etwas Neues sehen, etwas erleben.»

Doch sein Freund habe ihn kurz darauf verlassen – mit einem Grossteil des Geldes. Enzo fand zwar schnell einen Job bei einem Coiffeur. Anfangs habe er im Keller eines Spitals gelebt, bei der Arbeit geduscht und sich wochenlang nur von Toastbrot ernährt.

«Ich will nicht nur mit dem Fuss in der Schweiz sein, sondern auch mit dem Herz.»
Vincenzo «Enzo» Camarda

Schliesslich zog er in ein Bed and Breakfast und kurz darauf in eine eigene Wohnung. «So begann meine Karriere», sagt er.

Fast drei Jahre lang war Enzo in Mailand, arbeitete bei vier verschiedenen Coiffeuren. «Ich habe die Salons absichtlich schnell gewechselt», sagt er. «Ich wollte die Techniken von den besten Friseuren Mailands abschauen.»

Coiffeursalon mit Sofa, Spiegel und Coiffeurstuhl.

Mit 20 kam er in die Schweiz. «Alle sprachen gut von diesem Land und ich hatte Lust auf etwas Neues.» Über eine Facebookgruppe von Italienern in der Schweiz fand er Arbeit und eine Bleibe.

Innert vier Monaten lernte er Deutsch – im Selbststudium. Er habe viel mit sich selber im Spiegel gesprochen.

«Ich kenne Italiener, die sind seit 40 Jahren hier und sprechen die Sprache nicht», erzählt er. «Ich aber will nicht nur mit dem Fuss in der Schweiz sein, sondern auch mit dem Herz.»

Keine genderneutralen Preise

Auch hier wechselte er oft die Salons, war bei insgesamt vier Coiffeuren angestellt. Bei Gidor Hinwil war er stellvertretender Geschäftsführer. Als er das Lokal in Pfäffikon sah, schlug er zu. «Wenn ich etwas will, dann setze ich es sofort um», sagt der in Uster wohnhafte Enzo.

«Frauen brauchen generell viel mehr Beratung als Männer.»
Vincenzo «Enzo» Camarda

Innert drei Wochen gestaltete er das Zimmer in Pfäffikon mit Hilfe seiner Stammkunden zu einem Coiffeursalon um und feierte am 3. Mai Eröffnung.

Waschen, Schneiden, Föhnen kostet bei ihm für Frauen mit langen Haaren 95 Franken, Männer zahlen pauschal 45 Franken.

Genderneutrale Preise kennt der gebürtige Sizilianer nicht. «Frauen brauchen generell viel mehr Beratung als Männer», sagt er. «Das schlägt sich auch im Preis nieder.»

Der Salon in Pfäffikon ist erst der Anfang, ist sich Enzo sicher. «Irgendwann will ich vergrössern, weitere Filialen eröffnen. Und irgendwann kennt man den Namen Enzo in der ganzen Schweiz», sagt er und lacht.

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