Eine Coiffeuse auf Rädern erobert das Oberland
Nessa, wie sie alle nennen, hat lange schwarze Locken und ist perfekt geschminkt. Sie trägt schwarz/weiss: Weisse Turnschuhe, schwarze Hosen, ein schwarzes Oberteil, eine weisse Jacke mit goldener Krone auf dem Rücken, grosse Glitzerohrringe, auf denen ihr Name prangt.
Einem Bauernhof würde man die 28-Jährige nie zuordnen, aber genau da ist sie zusammen mit zwei Schwestern aufgewachsen: Auf einem Landwirtschaftsbetrieb in Madetswil. «Ich finde das einen super Kontrast», sagt sie. «Ich habe mich schon immer gerne geschminkt, war aber auch schon immer gerne draussen.»
Zöpfe flechten in Senegal
In die Fusstapfen ihrer Eltern wollte sie nicht treten. Vanessa Aellig, wie sie mit vollem Namen heisst, machte eine Coiffeurlehre in Fehraltorf. «Ich finde den Beruf vielseitig und kreativ», sagt sie.
Sie arbeitete in Coiffeurgeschäften, jobbte aber auch als Flight Attendant. Während Ferien in Senegal lernte sie die dortige Technik des Flechtens von Zöpfen, sogenannten Braids.
Madetswil statt USA
«Mein Ziel war immer, mein eigenes Geschäft zu haben.» 2020 wollte sie in die USA auswandern, um sich diesen Traum zu verwirklichen. Einen genauen Plan hatte sie nicht, ausser, dass sie sich «irgendwo an der Ostküste» niederlassen wollte. Sie kündigte Job und Wohnung. Dann kam Corona dazwischen.
Nessa zog zurück zu ihren Eltern nach Madetswil und dachte über ihre berufliche Zukunft nach. «Ich wollte nicht einfach auf bessere Zeiten warten», erzählt sie. «Mein Vater sagt immer: ‹ Solange das Schiff in Bewegung ist, kannst du es noch steuern. › »
Ihr kam die Idee eines mobilen Coiffeursalons. «Fix in einem Salon zu arbeiten, konnte ich mir nicht mehr vorstellen. Ich fand die Idee reizvoll, zu meinen Kunden fahren und ihnen einen Rundumservice anbieten zu können.»
Investition von über 100’000 Franken
Nessa hatte noch etwas Erspartes und nahm einen Kredit auf. In ihr Geschäft «Nessa’s Hairstyle» investierte sie über 100’000 Franken.
Coiffeure, die zu einem nach Hause kommen und einem die Haare in den eigenen vier Wänden schneiden, gibt es bereits zuhauf. Doch Nessa macht mit ihrem Nessa’s Hairstyle etwas, was gemäss ihr in der Schweiz noch nicht existiere.
In ihrem Renault Master hat sie einen kompletten Coiffeursalon eingerichtet, inklusive Waschstation, Föhn und sogar einem Kühlschrank. Sie hat zwei Frischwassertanks und je zwei Abwassertanks und alle Gerätschaften sind so befestigt, dass sie bei der Fahrt nicht umkippen.

Nicht einmal externen Strom braucht sie zwingend: Sie kann die Autobatterie anzapfen und besitzt zusätzlich einen Generator. «Am einfachsten ist es aber natürlich schon, wenn ich eine Steckdose benutzen kann.»
Der Salon ist vorwiegend in Weiss gehalten. «Campingstyle wollte ich nicht», sagt sie. «Ich mag es schön und elegant.» Das Logo von Nessa’s Hairstyle ist eine goldene Krone, ihr Coiffeurstuhl gleicht einem Thron.
Aufwändiger Umbau
Der Umbau des Lieferwagens zum Coiffeursalon, der etwa ein halbes Jahr dauerte, gestaltete sich nicht ganz so einfach. «Da es so etwas noch nicht gibt, war es für alle Beteiligten eine Herausforderung», erzählt sie.
Sie engagierte einen Schreiner und einen auf Autos spezialisierten Innenausbauer. Von ihrem Vater sei sie zusätzlich tatkräftig unterstützt worden.
Feiern, Festivals, Märkte
Im vergangenen August feierte der mobile Coiffeursalon Eröffnung. Nessa kann man unter anderem für Geburtstagsfeiern, für Hochzeiten und Festivals buchen.
Auch bei Altersheimen fährt sie vorbei oder stellt ihren Wagen bei Märkten auf. Wer sich den Anfahrtsweg sparen will, kann auch zu Nessa nach Madetswil kommen.
«Wenn ich irgendwohin fahre, lohnt es sich, wenn gleich mehrere Leute meinen Dienst in Anspruch nehmen» Nessa war schon in Bern, im Thurgau, in Zug, und Zürich. «Manchmal bleibe ich auch mehrere Tage.»
Parkieren vor dem Haus
An diesem Montag ist es eine sechsköpfige Familie, die sich in Madetswil die Haare schneiden lässt. Nessa parkiert gleich vor dem Haus.
«Es ist einfach total praktisch, wenn man nicht noch irgendwohin gehen muss», sagt Mutter Rebekka Meili. «Ausserdem finde ich es toll, wenn man den Coiffeur exklusiv für sich haben kann und nicht noch jemand nebenan sitzt.»
Während andere Coiffeure teilweise auf gleiche Preise für Frauen und Herren umsteigen, unterscheidet Nessa nach Geschlecht. Ein Damenhaarschnitt mit Waschen und Föhnen kostet bei kinnlangen Haaren 105, Männer zahlen pauschal 55 Franken.
«Eigentlich ist es für die Herren ein bisschen zu wenig», sagt sie. «Aber das ist der Markt. Alles in allem gleicht es sich für mich aus.»
Traum vom Auswandern noch nicht begraben
Dazu kommt der Anfahrtsweg – bis 10 Kilometer zahlt man 45, bis 40 Kilometer 99 Franken. Alles darüber hinaus wird pauschal berechnet, so kostet die Fahrt nach Basel 265 Franken. Noch könne sie nicht von ihrer Tätigkeit leben. «Ich bin noch im Aufbau. Aber ich nehme Fahrt auf.»
Den Traum vom Auswandern hat Nessa noch nicht ganz aufgegeben. «Meinen Coiffeursalon könnte ich verschiffen», sagt sie. «Wer weiss, ob ich das irgendwann einmal mache.»