Weisslingen führt die Liste der Erhöhungen im Kanton an
«Es ist schön, zu sehen, dass sich die Vernunft durchgesetzt hat.» Vernünftig bedeutet in diesem Fall: Steuererhöhung um satte 10 Prozentpunkte. Den Satz formuliert hat Andrea Conzett, Gemeindepräsident von Weisslingen. Und er sagt ihn im Rückblick, nachdem das Stimmvolk der deutlichen Erhöhung im Dezember ohne grosses Murren zugestimmt hat.
Der Plan war ursprünglich gewesen, die Steuern schrittweise zu erhöhen. Das Dorf war in den Neunziger- und Nullerjahren stark gewachsen, was zunächst mehr Einnahmen und Steuersenkungen brachte, nun aber wieder mehr Ausgaben. Doch das Stimmvolk versenkte die geplante Steuererhöhung zweimal. Das bringt das 3500-Seelen-Dorf in eine finanzielle Schieflage – und die Vernunft musste schlichtweg siegen.
Es drohte das Diktat des Kantons
Der Gemeindepräsident verrät, dass es keinen weiteren Anlauf gegeben hätte. Wäre der Antrag abgelehnt worden, hätte er die Weisslinger Finanzen in die Obhut des Kantons übergeben. Das hatte der Gemeinderat vor der Budgetversammlung beschlossen. Conzett ist, wie er sagt, «begeistert» vom «einmaligen» System, dass das Volk den Steuerfuss bestimmt. Wenn es aber nicht mehr geht, braucht es doch eine Notlösung.
Weisslingen führt die Liste der diesjährigen Steuererhöher an. Es folgen Bassersdorf und Oetwil an der Limmat, welche je 5 Prozent rauf sind, das Limmattaler Dorf wie viele andere einzig wegen der steigenden Schulkosten. 27 Gemeinden erhöhen die Steuern, nur 12 senken den Steuerfuss – vorab an der Goldküste und an der östlichen Kantonsgrenze. In Truttikon sinken die Steuern gar zum dritten Mal in Folge. In einigen Städten und Gemeinden blockten oder milderten die Gemeindeversammlungen und Parlamente die von den Exekutiven beantragten Steuererhöhungen ab, so zum Beispiel in Wädenswil, Schlieren, Egg, Wettswil, Pfungen, Rickenbach und Hüntwangen.
Letztes Jahr, nach einem Jahr Pandemie, lag das Verhältnis bei 13:10 zugunsten der Erhöher. In den zwei Vorjahren hatte es klare Steuersenkungsrunden gegeben, wiederum nach sechs Jahren mit einer Dominanz der Erhöhungen.
Belastung durch Sozialkosten sollte sinken
Das diesjährige klare Übergewicht der Steuererhöher überrascht. Seit dem laufenden Jahr nimmt der Kanton den Gemeinden einen gewichtigen Teil der Sozialkosten ab. So hat es das kantonale Stimmvolk im Jahr 2020 beschlossen. Die Gemeinden müssen nur noch 30 statt 50 Prozent der Ergänzungsleistungen an die AHV- und IV-Bezüger zahlen. Das macht immerhin zwischen 150 und 200 Millionen Franken aus. Der Weisslinger Gemeindepräsident bestätigt: Ohne Zustupf des Kantons hätte sein Dorf den Steuerfuss um 15 Prozent erhöhen müssen.
Die Entlastung durch den Kanton hat den Negativtrend also nur gemildert, aber nicht gestoppt oder gar gedreht. Die Ausgaben werden grösser, viele Gemeinden verrechnen diesen Trend den Steuerzahlenden. Gründe sind die steigende Zahl der Kinder, was höhere Bildungskosten bedeutet, oder auch Corona-Mehrausgaben für die Spitex und gleichzeitig weniger Einnahmen von den Firmen. Angeführt werden auch die Deckung des Corona-Defizits des ZVV oder das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz.
«Ein weiterer möglicher Effekt sind Mindereinnahmen aufgrund der Unternehmenssteuerreform.»
Alexander Haus, Gemeindeamt
Trotzdem attestiert Alexander Haus den Kommunen solide Finanzen. «Den Gemeinden geht es nicht schlecht, auch wenn die Verschuldung etwas zugenommen hat», sagt der Abteilungsleiter Gemeindefinanzen des Kantons. Die Steuererhöhungen gingen wohl meist auf individuelle Bedürfnisse zurück wie etwa Investitionen in die Infrastruktur. «Allenfalls gibt es diesbezüglich auch Nachholbedarf nach dem ersten Corona-Jahr.» Man habe zuerst abwarten wollen, wie sich die Situation entwickelt. Auch seien allfällige Finanzpolster aufgebraucht. Ein weiterer möglicher Effekt seien Mindereinnahmen aufgrund der Unternehmenssteuerreform. Aber die Aussichten sind laut Haus «tendenziell positiv»: Die Konjunktur- und Arbeitslosenzahlen im Kanton Zürich haben sich im Jahr 2021 verbessert, die Steuern brechen nicht ein – im Gegenteil.
Ein weiterer Hinweis, dass keine allgemeine Not herrscht: Mit Maschwanden im Säuliamt beansprucht nur noch eine einzige Gemeinde Isola-Gelder. Isola bedeutet Individueller Sonderlastenausgleich und ist die Spezialkasse des Kantons für bedürftige Gemeinden.
Stäfa senkt die Steuern massiv. Ist das der Tina-Turner-Effekt?
Es gibt aber auch die Steuersenker. Da fällt Stäfa auf. Die Gemeinde am Zürichsee geht 8 Prozent runter. Das katapultiert sie in die Top 10 der steuergünstigen Gemeinden – noch vor Zollikon oder Meilen. Ist das der Tina-Turner-Effekt? Gemeindepräsident Christian Haltner winkt ab – zumal die Rocklady den Steuersitz im (noch günstigeren) Küsnacht behält.
Die Reichen wurden noch reicher
Grob gesagt haben in Stäfa die Sparpakete der Zehnerjahre eingeschenkt, worauf dank vielen immer wohlhabender werdenden Steuerzahlenden aus 65 Millionen Fremdkapital 50 Millionen Eigenkapital wurde. Auch sprudelte die Grundstückgewinnsteuer. «Wir wollen kein Geld horten und geben es jetzt an die Steuerzahlenden zurück», sagt der Freisinnige – mit dem Vorbehalt, den Steuerfuss wieder zu erhöhen, wenn grössere Investitionen anstehen. Haltner legt Wert darauf, dass die Gemeinde trotz Steuersenkung nicht etwa die Zügel anzieht: «Wir haben das Budget um 6 Prozent erhöht», was unter anderem dem Gemeindepersonal zugutekomme.
In Adlikon (126 Prozent) und Humlikon (125) werden die Steuern 2023 voraussichtlich stark sinken, da sich diese beiden Kleingemeinden dem steuergünstigeren Andelfingen (114) anschliessen. Die bereits vollzogene Fusion der drei Gemeinden im Stammertal scheint den Finanzen nicht geschadet zu haben: Stammheim senkt die Steuern heuer um 5 Prozent, womit die nördliche Grossgemeinde hinter Stäfa zur zweitgrössten Steuersenkerin des Jahres wurde.
Die Ruhe nach dem Sturm
Der Budgetprozess ist in den Gemeinden viel ruhiger verlaufen als im Vorjahr. Damals mussten wegen Corona oder aufmüpfiger Bürgerinnen und Bürger rekordhohe 16 Gemeinden mit einem Notbudget ins neue Jahr starten. Erst im April waren alle Steuerfüsse fix. Der Regierungsrat musste gar einen Steuerfuss – jenen von Oberweningen – anordnen.
Das Steuerparadies ist auch dieses Jahr Kilchberg mit einem Steuerfuss von 72 Prozent, knapp vor Rüschlikon und Küsnacht (je 75). Die Zürcher Steuerhölle befindet sich nach wie vor in Maschwanden (130). In 123 von 162 Gemeinden, so etwa in den grösseren Städten Zürich, Winterthur und Uster, ändert sich nichts. Oder fast nichts, da der kantonale Steuerfuss – erstmals seit langem – minim um 1 Prozent sinkt. (Pascal Unternährer)