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«Eine Online-Kampagne läuft einen Monat, Textilien halten Jahre»

Als Kind spielte Nina Strapp-Aemissegger «Versteckis» in den Hallen der Eskimo Textil AG. Heute leitet die 33-Jährige seit einem halben Jahr die Geschicke des Unternehmens.

Nina Strapp-Aemissegger hätte früher nicht gedacht, dass sie einmal das Familienunternehmen übernimmt.

Foto: Annabarbara Gysel

«Eine Online-Kampagne läuft einen Monat, Textilien halten Jahre»

Frau Strapp-Aemissegger, w orauf freuen Sie sich morgens jeweils am meisten, wenn Sie Ihren Arbeitstag beginnen?
Abgesehen vom Cappuccino? Das sind immer wieder andere Dinge. Ich befinde mich zu einem gewissen Grad nach wie vor in der Lernphase und darf regelmässig spannende Gespräche führen mit Partnern, Lieferanten, unseren Kundinnen und Kunden sowie den Mieterinnen und Mietern. Diese Begegnungen und meine inhaltlich sehr abwechslungsreiche Tätigkeit machen meinen Job spannend und sorgen für Vorfreude morgens.

Sie leiten jetzt seit sechs Monaten die Geschicke der Eskimo Textil AG. Wie hat diese Funktion Ihr Leben verändert?
Die Funktion Geschäftsführerin an und für sich hat mein Leben zum Glück nicht auf den Kopf gestellt, da ich bereits früher die Möglichkeit hatte, Unternehmen zu führen. Daher ist mir nicht fremd, Verantwortung zu übernehmen, strategische Entscheide zu treffen und mit einem starken Team Ziele zu definieren und diese zu erreichen. Die Branche, in der ich mich jetzt bewege, ist allerdings weit entfernt von der digitalen Beraterbranche, in der ich vorher zu Hause war. Dieser Umstand ist es eher, der mich zu Beginn herausforderte. Und gleichzeitig auch sehr reizte.

Wie gross war diese Umstellung?
Gross! Die Arbeitsweise, die Arbeitszeiten, die Arbeitsorte, die Ansprechpartner, die Kommunikationsweise, die Schnelllebigkeit. Alles anders. Früher flog ich am Sonntagabend nach Berlin, um Mitarbeitende eines internationalen Unternehmens zu schulen, dann weiter nach Wien, um ein Seminar zu halten, am nächsten Tag zurück in die Schweiz, um an der Fachhochschule zu dozieren und am selben Abend wurde noch eine Kommunikationskampagne online lanciert.

«Es war ein Wechsel von der Kurzfristigkeit in die Langlebigkeit.»

Heute fahre ich nach Turbenthal und unterhalte mich auf dem Weg vom Parkplatz zum Büro mit einer Kundin über die neue Sommerdecke, die sie für die Enkel gekauft hat, dann treffe ich mich mit Architekten, die ein Projekt mit mir besprechen, das in frühestens fünf Jahren aktuell wird. Vorher war alles schneller und flüchtiger. Eine Online-Kampagne läuft vielleicht einen Monat. Textilien halten Jahre, Neubauten werden mich überleben. Es war ein Wechsel von der Kurzfristigkeit in die Langlebigkeit.

Was hat Sie dabei am meisten gefordert?
Der Übertritt von einer unglaublich schnelllebigen Branche in eine Branche, in der es nicht andauernd brennt. Entscheide müssen nicht innerhalb von Minuten getroffen, Kampagnen nicht im Stundentakt angepasst werden, Telefonkonferenzen finden nicht um 22 Uhr statt. Es dauerte allerdings einen Moment, bis ich meine Arbeitsweise an diese Welt anpassen konnte. Mittlerweile schätze ich das.

Zur Person

Nina Strapp-Aemissegger hat per 1. April die operative Leitung der Eskimo Textil AG mit Hauptsitz in Turbenthal übernommen. Aufgewachsen ist die heute 33-Jährige mit ihren drei Geschwistern in Mettendorf TG. Sie hat an der ZHAW Internationales Management studiert. Zuletzt war sie operative Leiterin bei der Hutter Consult AG, einem Digital-Marketing-Beratungsunternehmen mit Sitz in Aadorf. Davor leitete sie eine Online-Marketing-Agentur in Winterthur. Nina Strapp-Aemissegger ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann Bernard Strapp in Steckborn TG. (agy)

Sie waren in den letzten Jahren für den Auf- und Ausbau von Unternehmen im Online-Bereich tätig. Wie können Sie das gewonnene Know-how für die Eskimo einsetzen?
Dieses Know-how war sogar massgebend dafür, dass ich mich dazu entschieden habe, die Stelle anzutreten. Während meiner Zeit in der digitalen Branche habe ich KMUs und Grossunternehmen auf dem Weg durch die Digitalisierung unterstützt und dabei miterlebt, welchen Herausforderungen diese Unternehmen im Kontext der Digitalisierung gegenüberstehen – und sie beraten, wie sie diese bewältigen können.

«Das Unternehmen war bis vor gut zwei Jahren einfach das Familienunternehmen, das mein Vater leitete.»

Die Eskimo Textil AG hat sich in den letzten zwanzig Jahren erfolgreich von einem Textilproduzenten zu einem Textilhandelsunternehmen und einer Liegenschaftsverwaltung entwickelt. Diese Transformation war auf ganz vielen Ebenen ein riesiges, sehr komplexes Projekt. Dabei wurde die Digitalisierung aus nachvollziehbaren Gründen nicht prioritär behandelt.

In erster Linie geht es mir nun vorerst darum, im Umfeld des Unternehmens Verständnis zu entwickeln für die Digitalisierung, um dann in bestimmten Bereichen die Modernisierung anzustossen und umzusetzen.

Sie nennen die Liegenschaftsverwaltung als ein weiteres Standbein der Firma. Worin bestehen da Ihre Haupttätigkeiten?
Wir verwalten Wohnungen und Gewerberäume in Turbenthal und Pfungen. Dank eines sehr eingespielten Teams, das sich seit Jahren oder gar Jahrzehnten um unsere Mieterinnen und Mieter kümmert, kann ich mich auf die Themen konzentrieren, die uns in Zukunft beschäftigen werden. Dabei geht es um altersgerechtes Wohnen, Sanierungen, die nachhaltig sein sollen oder die Eruierung künftiger Ansprüche von Mietern an Verwaltungen.

Interessant dabei ist auch die Zusammenarbeit mit den Gemeinden. Was sind ihre Ziele, wie gedenken sie, den eigenen Standort zu entwickeln? Diese Themen sind sehr spannend, zumal sie ein Stück weit uns alle auf eine Weise betreffen.

Hätten Sie früher gedacht, dass Sie einmal die Leitung der Eskimo übernehmen würden?
Ganz ehrlich? Nein. Das Unternehmen ist zwar seit ich denken kann ein Teil meines Lebens, war bis vor gut zwei Jahren aber einfach das Familienunternehmen, das mein Vater leitete. Der Weg, den ich damals als Teenager schulisch eingeschlagen habe, brachte mich in die Romandie, nach Amerika und Kolumbien, nicht nach Turbenthal oder Pfungen.

Was hat Sie dazu bewogen, diesen Schritt zu wagen?
Durch den unerwarteten Tod meines Vaters vor zwei Jahren wurde mir unverhofft ein Platz im Verwaltungsrat der Eskimo zuteil. Während der letzten Jahre tauschten sich mein Vater und ich öfter über «unsere» Unternehmen aus. Er konnte mir mit seiner Erfahrung weiterhelfen, und ich ihm bei dem einen oder anderen digitalen Thema. Viel tiefer sah ich aber bis dahin nicht ins Unternehmen, also nicht ins operative Tagesgeschäft. Das änderte sich mit meiner Rolle als Verwaltungsrätin.

Es war dann am Verwaltungsrat, eine Nachfolge zu finden. Und während dieses Prozesses wurde mir bewusst, dass ich die notwendigen Fähigkeiten mitbringe, um die Firma in die Zukunft zu führen. Nach einigen Gesprächen mit den Verwaltungsratskollegen und meinem privaten Umfeld war ich sehr bald sicher, dass ich mir das zutraue, Freude daran hätte und das notwendige Know-how mitbringe. Und dass die Generalversammlung dann diesen Entscheid unterstützte, freute mich sehr.

Sie sind die erste Frau an der Spitze der Geschäftsleitung. Welche Gefühle löst das bei Ihnen aus?
Es freut mich, dass ich diese Lanze in unserem Unternehmen brechen kann. Wenn man bedenkt, dass wir in der Schweiz bereits seit einigen Jahren konstant mehr Studienabgängerinnen als Studienabgänger haben, finde ich es bedauerlich, dass wir auch im Jahr 2021 noch hervorheben müssen, dass eine Frau neu eine Geschäftsleitungsposition inne hat. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir so den Weg ebnen für mehr Frauen in Führungspositionen und dies hoffentlich früher als später zur Norm wird.

Als Geschäftsführerin in der fünften Generation führen Sie eine lange Familientradition fort. Macht Sie das ein bisschen stolz?
Ja, je länger je mehr. Zu Beginn versuchte ich eher, dieses Thema auszublenden und fokussierte mich auf die Aufgaben, die meine Position mit sich bringt. Unser ehemaliger CFO, der dieses Jahr in Pension ging, arbeitete über 50 Jahre in unserer Firma und kannte meinen Grossvater und meinen Vater auch sehr gut. Er führte mich eines Tages durch unsere sehr eindrücklichen Archive, zeigte mir Schriftdokumente aus der Gründungszeit vor über 150 Jahren, Schwarz-Weiss-Bilder von riesigen Fabrikhallen der Eskimo Textil AG mit Hunderten von Menschen vor Webmaschinen.

«Ich habe mich dann intensiv mit der mir bis dato eher unbekannten Geschichte dieser Firma auseinandergesetzt.»

An die Produktionszeiten konnte ich mich nur noch blass erinnern, wobei ich als Kind damals in diesen Hallen noch «Versteckis» gespielt habe mit meinen Geschwistern und Kindern von anderen Mitarbeitenden. Ich habe mich dann intensiv mit der mir bis dato eher unbekannten Geschichte dieser Firma auseinandergesetzt, also der Zeit, die vor meinem Grossvater stattfand und zu der ich in meiner Kindheit keinen grossen Zugang hatte. Die Eskimo Textil AG ging seit jeher einen eindrücklichen Weg, und dass ich dieses Vermächtnis ein Stück weit mittragen und die Firma nun in die Zukunft führen darf, erfüllt mich mit Stolz und Freude.

Welche Zukunftspläne haben Sie für die Eskimo?
So verschieden die vorherige Branche und die aktuelle Branche sind – gemeinsam haben sie, dass ich uns als Dienstleister verstehe. Unser Ziel ist es, dass sich unsere Kundinnen und Kunden zu Hause wohl fühlen. Ob alt oder jung, jeder hat gewisse Ansprüche, die wir mit ansprechenden Wohnungen oder passenden Textilien befriedigen möchten. In diesem Kontext möchte ich zukunftsorientiert agieren und uns auch so positionieren.

Dazu gehört auch, das Produktsortiment zu modernisieren und neue Zielgruppen adäquat anzusprechen. Als traditionsreiches Familienunternehmen möchte ich denn auch nahbar sein und diese familiäre Stimmung gegenüber unseren Anspruchsgruppen spürbar machen. Und das überall dort, wo sich unsere Kundinnen und Kunden gerade bewegen. On- und offline.

Eine lange Tradition

Die Eskimo Textil AG besteht seit 1854. Mit der Produktion von hochwertigen Decken – unter anderem der Schweizer Armeedecken – konnte sie sich auch international einen Namen verschaffen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich das Unternehmen von einem Textilproduzenten mit einst über 500 Mitarbeitenden in den Fabriken Pfungen und Turbenthal zu einem Textilhandel mit Liegenschaftsverwaltung gewandelt.

2013 wurde der textile Teil in die Eskitex AG überführt. Durch diese werden seither die Decken unter dem Markennamen Eskimo Switzerland entworfen und produziert . Neben dem Verkauf von Textilien im eigenen Fabrikladen in Turbenthal vermietet die Eskimo Textil AG heute Wohn- und Gewerberäume in Turbenthal und Pfungen. (agy)

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