Politik

Das fast Unmögliche ist wahr geworden

Der siebenjährige Nico lebt mit einer zerebralen Bewegungsstörung. Vor zwei Jahren startete seine Familie einen Spendenaufruf für ein spezielles Therapiegerät. Dieses hat dem Jungen zu einem Erfolgserlebnis verholfen.

Nico Betschart steht stolz vor dem Rocky-Balboa-Poster in seinem Kinderzimmer., Er leidet an einer zerebralen Bewegungsstörung. Um seine Muskeln aufzubauen, trainiert Nico mehrere Tage in der Woche., Um das Giger-MD-Therapiegerät zu kaufen, starteten seine Eltern vor zwei Jahren eine Spendenaktion., Während der Baumer Junge trainiert, kann er Rechenübungen machen oder auch Videos schauen.

Fotos: Milena Gähwiler

Das fast Unmögliche ist wahr geworden

Im Haus der Familie Betschart aus Bauma ist einiges los. Beim Eintreten wird man von zwei grinsenden Jungen empfangen. Nico und sein kleiner Bruder Neo sind zwei lebensfrohe Energiebündel. Während Neo mit einem Feuerwehrauto spielt, läuft Nico voller Stolz zum Sofa. Was für die einen unspektakulär klingt, grenzt für die Familie an ein kleines Wunder. Denn: Der Siebenjährige war vor einem Jahr noch auf einen Rollstuhl angewiesen.

« Das fast Unmögliche ist wahr geworden! » , erzählt Mutter Andrea. Angefangen hat alles 2014, als Nico leblos zur Welt kam. Erst nach drei Minuten begann der Junge zu atmen. Aufgrund des Sauerstoffmangels muss er seit damals mit einer zerebralen Bewegungsbehinderung leben.

Über 100 Spender

Lange konnte Nico weder kriechen, sitzen noch seine Arme bewegen. Seine Eltern sind konstant auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, um ihrem Sohn zu helfen. Vor zwei Jahren stiess Vater Raffael im Internet auf das Giger-MD-Therapiegerät . Daraufhin startete die Familie eine Spendenaktion für das knapp 25‘000 Franken teure Gerät. Diese war ein voller Erfolg.

« Er will die Selbstständigkeit und hat einen starken Willen und viel Ausdauer. »

Raffael Betschart, Vater von Nico

« Wir waren total überrascht von der grossen Solidarität, welche wir erleben durften » , erinnert sich Andrea Betschart. Ihr Ehemann schliesst sich ihr an: « Es war extrem schön und auch emotional, so viel Unterstützung von Personen zu bekommen, welche wir persönlich gar nicht kannten. »  Nicos Geschichte berührte die Menschen. « Innerhalb eines Monates hatten wir das Geld für das Gerät beisammen » , sagt seine Mutter. Über 100 Personen halfen dabei. Jedem Spender schrieb die Familie eine Dankeskarte. « Wir sind jedem Einzelnen unendlich dankbar » , betont Andrea Betschart.

Nico tritt kräftig in die Pedale

Seit die Familie im August 2019 das Gerät kaufen konnte, hat sich einiges getan. « Zu Beginn trainierte Nico täglich 20 Minuten lang auf dem Giger » , erzählt Raffael Betschart. Das Therapiegerät hat einen Hilfsmotor und erlaubt durch Treten mit den Armen und Beinen einen kontrollierten Muskelaufbau. « Da er anfangs keine Kraft besass, mussten wir seine Hände und Füsse mit Bandagen am Gerät befestigen, damit er nicht abrutschte » , erklärt der Vater. Zudem stellten sie dadurch sicher, dass sich seine Körperhaltung richtig entwickelte und es nicht zu einer O- oder X-Stellung kam.

Zu Beginn lief der Hilfsmotor noch zu 100 Prozent, doch diese Unterstützung benötigt Nico heute nicht mehr. « Den Motor brauchen wir jetzt nur noch, um sein Tempo kontrollieren zu können » , sagt Raffael Betschart lachend. Denn wenn Nico einmal in Position sei, trete er kräftig in die Pedale. Das macht seinen Vater mächtig stolz:  « Er will die Selbstständigkeit und hat einen starken Willen und viel Ausdauer. »  Nebst dem Therapiegerät haben Nico auch Aufenthalte im Adelie-Therapiecenter in der Slowakei geholfen.

Aufenthalt in der Slowakei

« Von der Spendenaktion hatten wir noch einen kleinen Überschuss, welchen wir in unseren ersten Aufenthalt im Center investierten » , erklären die Eltern. Auf das Therapiecenter waren sie auf eigene Faust gestossen. Bereits zuvor hatte die Familie ähnliche Einrichtungen in der Schweiz besucht – doch ohne grosse Erfolge. « Wir wollten jedoch nichts unversucht lassen und fuhren im Februar 2020 das erste Mal in die Slowakei » , erinnert sich Raffael Betschart.

Der Aufenthalt im Center dauerte rund zwei Wochen. In dieser Zeit hatte Nico jeden Tag, ausser am Sonntag, während jeweils zwei Stunden intensives Training und anschliessend eine Stunde lang Massage. « Dabei wurde er von drei Therapeuten gleichzeitig betreut » , sagt seine Mutter. « Nach nur zwei Wochen zeigte Nico bereits so grosse Fortschritte, dass wir uns entschieden, in einem halben Jahr noch einmal hinzugehen. »

Erste Schritte ins neue Leben

Im vergangenen Oktober reiste nur Andrea Betschart mit ihrem Sohn ins Ausland, während Ehemann Raffael mit Neo zuhause blieb. Am Ende der zweiten Woche geschah dann das schier Unmögliche: Nico lief zum ersten Mal in seinem Leben. Während seine Mutter von dem Erlebnis erzählt, bekommt sie Gänsehaut und betrachtet ihren Sohn voller Stolz. « Wegen Corona konnte ich nicht beim Training dabei sein und wartete im Flur auf Nico » , erzählt die 42-Jährige.

Als die Tür vom Trainingszimmer aufging rechnete sie damit, dass ihr Sohn dieses im Rollstuhl verlässt. « Ich sah nur, wie die Therapeutin mit dem Rücken zu mir herauskam und immer nur ins Zimmer sagte ‹come, come›. Dann lief Nico zur Tür hinaus. Es war einfach nur überwältigend. Wir hätten nie gedacht, dass dies nach wenigen Monaten möglich wäre. »

  Alle sechs Monate ins Center

Vater Raffael ist überzeugt, dass das Therapiegerät kombiniert mit den Aufenthalten im Center seinem Sohn stark geholfen haben. « Das Giger-Gerät ist für uns Gold wert. Es ist super für Nicos Kraftaufbau und lieferte eine gute Grundlage für die Trainingswochen in der Slowakei. Dort erhält seine Motorik noch den Feinschliff » , sagt der 37-Jährige. Nico war auch diesen Februar noch für zwei Wochen im Adelie-Center.

« Seine Freude, nach so langer Zeit endlich gehen zu können, ist riesig. »

Andrea Betschart, Mutter von Nico

« Die nächste Reise ist für den Juni geplant » , erzählt Raffael Betschart. Dieses Mal wird er seinen Sohn begleiten. Das Ziel der Familie ist es, alle sechs Monate das Center zu besuchen. Doch auch hier ist die Finanzierung nicht leicht: Da sich das Center im Ausland befindet, müssen die Eltern die Aufenthalte aus der eigenen Tasche bezahlen. « Wir möchten Nico die Aufenthalte so lange ermöglichen, wie wir es können » , meint der Vater.

Freude am Leben

Seit dem ersten Gehversuch geht es mit dem Laufen stetig besser. Das Training am Therapiegerät ist auf zwei bis dreimal pro Woche reduziert worden. « Nico ist noch ein Kind. Er soll auch Hobbys und Freizeit haben, nebst all seinem Training » , betont Andrea Betschart. Bald werde er ein Velo bekommen. Darauf freut sich Nico besonders.

« Seine Freude, nach so langer Zeit endlich gehen zu können, ist riesig » , sagt sie weiter und lacht. « Am liebsten würde er den ganzen Tag herumlaufen. »  Nebst seinem Hobby Reiten ist Nico begeistert vom Fussballspielen. Die ersten Sonnenstrahlen in diesem Frühling hat er laut seiner Mutter fleissig genutzt, um seine ersten Tore zu schiessen.

Die Freude ist dem Jungen ins Gesicht geschrieben: Permanent lacht er und hüpft herum. « Durch das Hüpfen drückt er seine Heiterkeit aus » , erklärt seine Mutter. Raffael Betschart ergänzt: « Jedes Mal wenn wir ihn fragen, weshalb er sich so freue, sagt er: ‹Ich habe Freude am Leben›. »  Bald steht für Nico der nächste grosse Schritt an: Ab dem Sommer wird er die erste Klasse besuchen.

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