Herrenlose Bienenschwärme: Spektakulär aber für Imker prekär
In den nächsten Wochen und Monaten kann es passieren, dass sich der Himmel urplötzlich verdunkelt und ein enorm lautes Brummen ertönt. Bei diesem Phänomen handelt es sich dann wahrscheinlich um einen «herrenlosen» Bienenschwarm, der aus seinem Stock ausgebüxt und auf der Suche nach einem neuen Zuhause ist.
Sichtet man eine solche dunkle, summende Wolke, sollte man möglichst rasch den Bienenschwarm-Fangdienst kontaktieren. Denn wenn Bienen nicht als Einzelgänger, sondern in grossen Schwärmen unterwegs sind, dann sind dies keine Wild- sondern Hausbienen, die eigentlich einem Imker oder einer Imkerin gehören.
Bienen entführen Teil ihres Volkes
Zuständig für diese Ausreisser ist im Bezirk Uster der lokale Imkerverein, der die ausgeschwärmten Bienen kostenlos und tiergerecht einfängt, damit sie niemanden belästigen. Einer der Schwarmfänger ist der Ustermer Imker Markus Heinzer, der in den vergangenen Jahren viele herrenlose Schwärme eingefangen, aber auch schon selber eigene Schwärme verloren hat.
«Dass ein Schwarm abhaut, kann man nicht immer verhindern.»
Markus Heinzer, Ustermer Imker und Schwarmfänger
«Die natürliche Vermehrung eines Bienenvolkes erfolgt über eine Volksteilung mit Schwarmauszug», sagt Heinzer. In den Monaten Mai und Juni beginne die sogenannte «Schwarmzeit» der Bienen und im Frühsommer habe ein Bienenstaat den grössten Bestand. «Es wird also eng im Bienenstock und das Volk nutzt den Reichtum an gesammeltem Nektar und Pollen, um sich zu teilen – das Volk schwärmt.»

«Den natürlichen Schwarmtrieb der Honigbienen können Imker zwar mit verschiedenen Massnahmen ein bisschen steuern, aber dass manchmal ein Schwarm dennoch abhaut, kann man nicht immer verhindern», sagt Heinzer. So verlieren Imker immer wieder mal Teile ihrer Völker, auch wenn es in ihren Bienenhäusern eigentlich noch genügend Platz für weitere Stöcke gäbe.
Kommunikation per «Schwänzeltanz»
Nicht weit entfernt ihres alten Bienenstocks versammeln sich die Bienen beispielsweise in Baumzweigen zu einer Schwarmtraube. Von dort aus werden neue Behausungen von den Spurbienen – auch Erkunderinnen genannt – ausgekundschaftet, wie Heinzer erklärt.
Nach den Erkundungen kehren die Spurbienen zu ihrem Schwarm zurück und führen auf der Oberfläche der Schwarmtraube einen «Schwänzeltanz» auf. Heinzer sagt: «Mit dieser Kommunikationsform werden die Informationen zur möglichen neuen Behausung weitergegeben und die Reise geht weiter.»
20‘000-köpfige Trauben
Sobald sich die Schwärme nicht mehr in der Nähe von einem der registrierten Bienenstände aufhalten, gelten sie als «herrenlos». Auf dem Weg zur neu ausgewählten Behausung legen sie Heinzer zufolge einen weiteren Zwischenhalt ein.
«Das sind dann rund 15 bis 20‘000 Bienen, die meistens in einem Gebüsch, auf einem Baum oder in einer Wiese abhocken. Manchmal lassen sie sich auch an einem Velosattel oder Autospiegel nieder – wo auch immer es ihnen gerade gefällt.»
Dort warten sie als grosse Traube rund eine bis zwei Stunden lang auf die Erkunderinnen, die bereits die letzte Streckenetappe vorausgeflogen sind und den Schwarm dann wieder abholen.
«Die meisten Leute haben keine Angst, sondern sind absolut beeindruckt.»
Markus Heinzer, Ustermer Imker und Schwarmfänger
Ausser für Allergiker ist ein herrenloser Bienenschwarm Heinzer zufolge für die Bevölkerung kein Grund zur Besorgnis, da die Tiere von sich aus niemanden angreifen und nur zustechen, wenn sie sich oder die Bienenkönigin bedroht sehen.
«Die meisten Leute, die einem herrenlosen Schwarm begegnen, haben keine Angst, sondern sind absolut beeindruckt vom imposanten Anblick und dem lauten Summen», erzählt der Schwarmfänger.
Ertragsverlust und Seuchengefahr
Problematischer ist es hingegen für die Imker selbst, wenn sich ein Schwarm davonstiehlt. Zum einen geht der Abgang eines halben Bienenvolks gemäss Heinzer mit einem einschneidenden Ertragsverlust einher: «Die Bienen schwärmen genau dann aus, wenn sie normalerweise am meisten Nektar sammeln und den ganzen Honig produzieren.»
Andererseits nehmen herrenlose Bienenschwärme, die nicht gefunden und an einem unentdeckten Standort sesshaft werden, den Imkern die Möglichkeit, ihre Aufgabe wahrzunehmen: «Wir sind dazu verpflichtet, die Gesundheit unserer Honigbienen zu überwachen. Bei verselbständigten Völkern ist das nicht mehr möglich», sagt Heinzer.
«Die Maden sterben noch in der Zelle und breiten einen grässlichen Gestank nach säuerlichem Fussschweiss aus.»
Markus Heinzer, Ustermer Imker und Schwarmfänger
Hausbienen in freier Wildbahn seien oft nicht in der Lage, sich eigenständig gegen Krankheiten oder Milben zu schützen. Das könne auch für die Völker in den Bienenhäusern fatal werden. Besonders gefürchtet ist die weit verbreitete Sauer- und Faulbrut, die sich bei herrenlosen Honigbienen rasch ausbreiten könnte. Einzelne Tiere können die Seuche schnell in die Bienenhäuser der Imker tragen, wo sich die Bienenmaden damit infizieren.
«Die Maden sterben noch in der Zelle und breiten einen grässlichen Gestank nach Käse oder säuerlichem Fussschweiss aus», sagt Heinzer. Da die Krankheitssporen hochansteckend seien, bedeute es meist den «Totalschaden» für den Bienenstand.
Feuerwehr als Unterstützung
«Deshalb sind alle Imker besorgt darum, entflohene Schwärme schnellstmöglich wieder einzufangen, bevor sie ihren angepeilten Standort erreichen», sagt Heinzer.

In jeder Gemeinde des Bezirks gibt es dazu Schwarmfängerinnen, die bei einem Anruf sofort ausrücken. Zur Ausrüstung, die Heinzer jeweils für solche Einsätze mitnimmt, gehören mitunter Leiter, Schwarmkiste, Teleskopstange mit Schwarmsack sowie eine Wassersprühflasche und die Bienenbürste.
Wenn sich die gesichtete Bienentraube zu weit oben oder an einem schwer erreichbaren Ort abgesetzt hat, könne man die Feuerwehr zur Unterstützung aufbieten – das sei aber nur selten der Fall.
Vorgetäuschter Regen
«Der Einsatz ist meistens innerhalb von wenigen Minuten abgeschlossen», sagt Heinzer. Das Vorgehen beschreibt er wie folgt: «Zuerst besprühen wir die Bienen mit Wasser. Sie denken dann, dass es zu regnen beginnt und rücken näher zusammen.» Die nun kompaktere Traube lasse sich präziser und einfacher in die darunter gehaltene Schwarmkiste schütteln. «Wenn die Königin in der Kiste ist, folgen ihr die restlichen Bienen mit der Zeit hinterher.».

Die Kiste mit den eingefangenen Bienen lasse er noch bis am Abend am Fundort stehen, um auch die noch herumfliegenden Bienen zu fangen. «Diese folgen ebenfalls dem Duft der Königin, der auf die Bienen wie ein betörendes Parfüm wirkt und fliegen freiwillig in die Kiste.»
Bienen auf Quarantänestation
Befindet sich kein Bienenhaus in der Nähe, lässt sich der Schwarm keinem Imker zuordnen. Gemäss Gesetz darf dann diejenige Person den Schwarm behalten, die ihn eingefangen hat. «Der Schwarm wird aber nicht gleich im Bienenhaus neben den anderen Völkern untergebracht, sondern kommt zuerst für ein bis zwei Monate auf eine separierte Quarantänestelle», erklärt Heinzer. Schliesslich könnten sie sich bereits eine Krankheit eingefangen haben.
Die Kontaktdaten der Bienenschwarmfänger in den jeweiligen Gemeinden sind auf der Website des Imker Vereins Bezirk Uster aufgelistet.