Sandra Keller startet wieder mit eigenem Team
Wie praktisch alle Sportarten ist auch Motocross stark von Corona beeinträchtigt. So konnten sowohl internationale wie auch nationale Meisterschaften nur in einem Rumpfprogramm ausgetragen werden. Für die Schlatterin Sandra Keller hatte dies allerdings nicht nur einen negativen Aspekt.
Schulter ausgekugelt
Rückblende: Für die Saison 2020 fand Keller Aufnahme im belgischen TBS-Conversions-KTM-Racing-Team, das ihr professionelle Unterstützung für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft der Frauen zusicherte. Die junge Sportlerin zügelte deshalb im November 2019 nach Belgien.
«Die OP verlief sehr gut.»
Sandra Keller, Motocrossfahrerin aus Schlatt
Doch der Anfang dieser Zusammenarbeit verlief nicht sehr verheissungsvoll. Bereits im Dezember kugelte sich Keller bei einem Trainingssturz die Schulter aus. Ende Januar wurde sie operiert. «Die OP verlief sehr gut und ich hatte sehr wenig Schmerzen», sagt sie rückblickend. Dennoch dachte sie damals, die Saison sei für sie gelaufen. Die WM der Frauen startete Ende Februar in England und eine Woche darauf in den Niederlanden. Das war zu früh für die Schlatterin.
Mit den Ergebnissen zufrieden
Doch dann erhielt sie gewissermassen Unterstützung von einem kleinen Ding genannt Corona. «Es stoppte die gesamte Saison und brachte mir ein wenig Hoffnung für die Meisterschaft», sagt Keller. Denn bis Anfang Juli konnte sie nicht mit ihrem Motorrad trainieren.
In den Sattel setzte sie sich dann mit wenig Vorlaufzeit: Zwei Wochen bevor in der Schweiz das erste Rennen nach dem Lockdown, an dem sie starten konnte, ausgetragen wurde. «Eigentlich fühlte ich mich auf Anhieb immer sehr gut in den Trainings», erzählt sie. Sie habe ein gutes Gefühl gehabt, doch die ersten Rennen seien alles andere als gut gewesen. «Nach diesen ersten Anlässen der MXRS-Serie machte ich mir grosse Gedanken über die kommenden Rennen.»
«Den ersten Lauf konnte ich sogar für mich entscheiden.»
Bei der Eröffnung des Swiss Women Cups in Vorarlberg habe sie ein wenig «Angst vor der Wahrheit» gehabt. Doch schon nach dem 2. Rang im Zeittraining sei das ganze Team sehr glücklich und sie sehr motiviert gewesen. «Den ersten Lauf konnte ich sogar für mich entscheiden.» Im Tagesklassement belegte sie den 2. Platz hinter ihrer härtesten Konkurrentin Virginie Germond.
Die weiteren Rennen seien mehr oder weniger gut verlaufen – abgesehen von ein paar Zwischenfällen und einem Defekt am Motorrad. Die Meisterschaft beendete Sandra Keller schliesslich als Vizemeisterin.
Nervös, wie nie zuvor
Ende September stand für die Motocrossfahrerin das erste WM-Rennen der Saison an. Zugleich das erste, welches sie mit dem TBS-Team bestritt. «Ich war nervös wie nie zuvor», gesteht Keller. «Ich wusste nicht, wo ich mich in der WM ‹einreihen› kann, schliesslich fahren die besten Frauen der Welt gegeneinander.»
Nach einem 24. Platz im ersten Lauf verbesserte sie sich im zweiten Lauf auf den 10. Platz, was sie sehr aufmunterte. Am gleichen Ort fand wenige Tage später ein weiteres WM-Rennen statt. Hier blieb sie nach einem Sturz ohne Punkte.

Die WM wurde am 31. Oktober in Italien auf einer Strecke beendet, die der 22-Jährigen liegt. Mit den Rängen 9 und 12 reichte es im Tagesklassement zum erfreulichen 10. Platz. Daraus resultierte im WM-Endstand der 17. Platz – mit nur drei statt fünf Rennen.
Fazit am Jahresende: «Die Saison 2020 verlief schlussendlich sehr gut. Wir sind sehr zufrieden.» Wenn Sandra Keller von «wir» spricht, ist vor allem auch ihr Freund, Manager und Mechaniker Marcelo Peixoto gemeint.
Wechsel von Marke und Umfeld
Die Integration im belgischen Team bezeichnet Sandra Keller als sehr gut. Sehr schnell sei beschlossen worden, dass sie über den Winter nach Belgien ziehe. Fahrerinnen und Mechaniker lebten zusammen in einer Wohnung, wo ihr ein Zimmer zur Verfügung stand. Nach dem Unfall war es ihr aber nicht mehr möglich, nach Belgien zurückzukehren – wegen der Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie.
«Wir haben uns entschieden, die Saison 2021 mit einem eigenen Team zu bestreiten.»
Genau diese Einschränkungen bewogen die Schlatterin im vergangenen Dezember, die Zusammenarbeit mit dem TBS-Team zu beenden. «Da wir nicht wissen, ob, wann und für wie lange ich wieder nach Belgien kann, haben wir uns entschieden, die Saison 2021 mit einem eigenen Team zu bestreiten.» Das bedeutet, weg von KTM und zurück zu Kawasaki, mit der Unterstützung durch die Marken-Vertretung Zwei-Rad-Sport in Elgg.
Zurück im «normalen» Berufsleben
Die grosse Unbekannte bleibt selbstverständlich auch in diesem Jahr Corona. Vorausgesetzt, dass überhaupt Rennen möglich sind, fokussiert sich Sandra Keller auf die WM der Frauen. Bis jetzt sind fünf Rennen geplant, die in Italien, Tschechien, Belgien, Spanien und der Türkei ausgetragen werden.
«Angestrebt werden Top-Ten-Platzierungen», umreisst sie ihr Ziel. Nebenbei will sie sich aber auch mit Männern messen. Bei der Föderation der Motorradfahrer der Schweiz (FMS) gibt es eine Kategorie mit dem sonderbaren Namen Lites. Es ist sozusagen die Vorstufe zu den internationalen Klassen.
«In dieser Klasse werde ich vermutlich die einzige Frau am Gatter sein.»
Dazu meint sie: «In dieser Klasse werde ich vermutlich die einzige Frau am Gatter sein. Ich erhoffe mir, dadurch viel zu lernen.» Sie denke, dass dies für die WM ein wichtiger Schritt sei, den sie machen müsse. Auch hier möchte sie sich möglichst oft in den besten Zehn klassieren.
In den letzten Tagen war Sandra Keller auch beruflich ziemlich gefordert. Der anvisierte Profistatus fiel vor allem durch die Corona-Situation ins Wasser. Deshalb begann sie im Frühling letzten Jahres bei der Post als Paketbotin zu arbeiten. (Albert Büchi)