Deshalb hat Uster 33 verrottende Bäume unter Schutz gestellt
Stadtförster Benjamin Kistner stapft im Zickzack durch das Geäst, um den am leichtesten begehbaren Weg zu finden. Nach kurzer Zeit zeigt er auf einen hohen Baum mit Kratzspuren in der Rinde. « Diese Buche ist noch kein Biotopbaum, aber sie hat das Potential dazu. »
Auf den ersten Blick wirken diese von Fäulnis und Löchern zerfressenen Bäume mit abbrechenden Kronen nicht schützenswert. Was in der Forstwirtschaft als Mangel gilt, ist für die Biodiversität des 147 Hektaren grossen Waldes jedoch ein Qualitätsmerkmal.
Auf Lebenszeit geschützt
Die Buche ist denn auch einer von 33 Bäumen, welche die die Stadt Uster kürzlich auf Lebenszeit unter Schutz gestellt hat. Bis diese auf natürliche Weise verrottet sind, dürfen sie nicht genutzt oder gefällt werden. Das kann noch 70 oder 80 Jahre dauern.
So ein Biotopbaum biete Lebensraum und Nahrung für viele verschiedene Tiere, Pilze und Pflanzen. « Wenn ein Ast oder ein Stück Rinde verletzt ist, fault es dort schnell. Dann macht vielleicht ein Specht ein Loch ins Holz » , so Kistner. Das Loch werde grösser, später ziehe vielleicht ein Waldkauz ein. Irgendwann breche der Baum an der faulen und löchrigen Stelle ab und das Holz könne verwittern, wovon wiederum Insekten und Kleintiere profitierten.
Dass Baumverletzungen manchmal gut seien für die Biodiversität heisse übrigens nicht, dass Baumliebhaber nun mit dem Messer wild in die Rinden ritzen sollten. Damit könnten wertvolle Nutzbäume geschädigt und das Leben gesunder Bäume verkürzt werden.
« Man sollte die Bäume nicht vermenschlichen. »
Benjamin Kistner, Ustermer Stadtförster
« Bei den Biotopbäumen geht es darum, den gesamten natürlichen Prozess zuzulassen. » Das stärke auch die Böden. Laut Kistner ist das Pilzgeflecht unter der Erdoberfläche auch für die Wasseraufnahme der Bäume wichtig.
Im populären Buch « Das geheime Leben der Bäume » spricht der Autor Peter Wohlleben sogar von einer Kommunikation der Bäume durch die Pilze. Der noch junge Förster Benjamin Kistner zupft seine Mütze zurecht und steckt die klammen Hände in die Jackentasche. « Da ist schon was dran » , sagt er. « Aber man sollte die Bäume auch nicht vermenschlichen. »
Nicht jeder « reife » Baum wird gefällt
In der Nähe der Buche liegt ein überwucherter alter Stamm am Boden. « Das ist ein gutes Beispiel » , sagt Kistner. Er tritt mit seinem Trekkingschuh in den Stamm, so dass etwas Rinde abbröckelt. « Oben ist er ganz weich. Die verschiedenen Schichten bieten unterschiedlichen Tieren Lebensraum. »
Es ist nicht so, dass bisher jeder Baum, der erntereif war, auch gefällt wurde, sagt Kistner. « Sensibilisierte Förster lassen durchaus auch mal extra einen Baum liegen. » Der explizite Schutzstatus verhindere aber, dass zukünftige Förster sich anders entschieden.
Das Patenkind, die Bogenfichte
Auch der Kanton unterstützt den Schutz der ökologisch wertvollen Bäume. Und Private können sich ebenfalls beteiligen. Man kann die Biotopbäume nämlich adoptieren. Die Hittnauerin Ursula Forster hat das gemacht. Zu Weihnachten hat sie ihrem Mann eine Waldföhre geschenkt. Sie heisst « Bogenföhre » , weil sie so bogenförmig gewachsen ist.
Für 120 Franken darf ihr Mann nun zehn Jahre lang Baumpate sein. Sie sagt: « Wir haben uns jetzt nicht speziell mit dem Thema Biodiversität auseinandergesetzt. Wir sind einfach gern und viel in der Natur und mir gefiel die Idee. » Bald ist ein Spaziergang zum Patenbaum mit einem kleinen Picknick geplant.
Geübtes Baumgraffiti
Laut Benjamin Kistner wurden viele der Bäume über die Plattform www.deinbaum.ch auch zur Geburt oder zur Hochzeit verschenkt.
Die zur Adoption freigegeben Bäume sind zusätzlich zum blauen Punkt, der ihren Schutzstatus markiert, noch mit einem Baumpiktogramm gekennzeichnet. « Am Anfang hat der Kollege das mit einer Schablone gemacht, aber das klappte irgendwie nicht. Jetzt hat er das freihändige Baumgraffito ganz gut drauf » , sagt Kistner und lacht.
Die hohe Biodiversität diene übrigens nicht nur der Artenvielfalt, sagt der Stadtförster. Diese mache den Wald auch widerstandsfähiger gegen Störungen wie den Borkenkäfer.
Immunsystem des Waldes
Kistner erklärt das nachvollziehbar: « Wenn ein Wald fast nur aus Fichten besteht, die sehr anfällig auf den Käfer sind, hat er bei einem Befall kaum eine Chance. Wenn der Wald divers ist, die Fichten weit auseinanderstehen und viele andere Bäume dazwischen sind, kann der Schädling sich weniger gut ausbreiten. »
« Die Rotlaubbuche ist die einzige, die ich im Wald bisher gesehen habe, deshalb steht sie mit unter Schutz. »
Benjamin Kistner, Ustermer Stadtförster
Diversität bedeutet denn auch nicht nur viele verschiedene Baumarten, Lebensformen und gesunde und sterbende Bäume. Das Wort bezieht sich auch auf den Genpool einzelner Baumarten.
Kistner sagt: « Unter den geschützten Bäumen ist etwa auch eine Rotlaubbuche. Sie ist die einzige, die ich im Wald bisher gesehen habe, deshalb steht sie mit unter Schutz. »
Gefahr kommt vor Biodiverstät
Auch dicke Stämme sind wertvoll, weil sie selten vorkommen. « Beispielsweise dieser Koloss » sagt Kistner und zeigt fast ein bisschen stolz auf eine massige Waldföhre.
« Damit die so dick werden konnte, muss sich früher schon einmal jemand gedacht haben: Die lassen wir stehen. Denn erntereif ist sie schon lange. » Irgendwann müsse ein Förster bei jedem Baum entscheiden, ob dieser Nutzbaum oder Biodiversitätsbaum werden solle.
Den Schutzstatus kann jedoch nicht jeder Baum erlangen, sagt Kistner auf dem Rückweg. Denn wenn ein Baum zu nah an einer Strasse stehe oder aus anderen Gründen ein Sicherheitsrisiko darstelle, könne er noch so biologisch wertvoll sein: « Er muss trotzdem gefällt werden. »
Wer sich für eine Baumpatenschaft interessiert, findet mehr Informationen dazu unter www.deinbaum.ch.