«Das Klavierbauen ist ein künstlerisches Handwerk»
Als junger Mann zog Urs Horak mit einem selbst gebauten Wohnwagen und seinem Pferd durch Frankreich und den schweizerischen Jura. Um zu essen, half er den Bauern auf den Feldern. Zu seinem Besitz zählte er einen Kontrabass und vier Kilogramm Silber. Der Kontrabass hob die Stimmung am Lagerfeuer. Das Silber diente als Notgroschen.
Mittlerweile ist Urs Horak sesshaft geworden und lebt mit seiner Familie in Kyburg. Der Kontrabass ist noch da. Verschwunden ist jedoch das Silber. Horaks Wertanlage sind heute Pianos und edle Flügel, die sich in seinem Ausstellungsraum und seiner Klavierbau-Werkstatt in Winterthur zu dutzenden aneinanderreihen.
Künstlerische Familie
Eigentlich wollte Horak Berufsmusiker werden. Nach seiner Reise, die über zwei Jahre dauerte, trat er die Aufnahmeprüfung für das Konservatorium an, scheiterte jedoch am theoretischen Teil. Und dann erzählte ihm ein Bekannter von einer freien Lehrstelle zum Klavierbauer und Stimmer.
Mit 26 Jahren, nachdem er sich als Müller, Koch und Gipser versucht hatte, entschied sich Horak, nochmals eine Berufslehre zu absolvieren. Eine Wahl, die in gewisser Weise die Geschicke der Familie vereint: Der Grossvater Carl Horak war Konzertmeister in der Tonhalle, der Vater ist Grafiker und Künstler.
« Das Klavierbauen ist ein künstlerisches Handwerk » , sagt denn auch Horak. Vieles seiner Tätigkeit geht über das Messbare hinaus, da beginne für ihn die Kunst. Stimmt er ein Klavier, geht das nur über das genaue Hinhören, ein Stimmgerät verwendet er nicht. Das Verständnis von Musiktheorie sowie Akustik und Materialkunde ist deshalb entscheidend. «Jedes Klavier ist anders. Die Klangfarbe hängt von der Bauart ab.»

Horak, der nicht nur Klaviere und Flügel revidiert, sondern auch restauriert und handelt, kennt die Geschichte des Instrumentes in- und auswendig, weiss, wie sich ihre Mechanik je nach Bauweise und Hersteller unterscheidet.
Um ihn herum lagern geöffnete Flügel. Sie offenbaren ihr Inneres, als lägen sie auf einem Operationstisch. Und warten darauf, dass ihre Saiten neu aufgezogen, ihre Holzhämmerchen und Resonanzkörper restauriert werden.
Ein altes Klavier des deutschen Herstellers C. Bechstein ist auf einer Art Schlitten aufgebahrt. Urs Horak setzt den Stimmhammer an, um die neu installierten Saiten aufzuziehen. Die Montage erledigt er selbst, die Herstellung der Saiten übernimmt ein Spezialist.

Zulieferer wie auch Klavierfabriken findet man hierzulande allerdings kaum noch. Im Gegensatz zum Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich allein um den Zürichsee an die zehn Klavierfabrikanten aufhielten. Heute ist Urs Horak einer von etwa 100 aktiven Klavierbauern in der ganzen Schweiz.
Verändert hat sich nicht nur die Produktionslandschaft, sondern auch die Nachfrage. Schon seit längerem wächst das Interesse an elektronischen Pianos. Während des Lockdown hat es sich noch gesteigert. « Ich habe jeden Tag zwei bis drei Anfragen. »
Ihn ernähren jedoch vor allem private, nicht unbedingt wohlhabende Personen, die sich für klassische Klaviere und Flügel interessieren. «Sie legen Wert auf Qualität und schaffen sich in ernsthafter Absicht auf Muse ein wertiges Instrument an . » Dieses vererben sie dann meist über Generationen. Klaviere hätten auch deshalb etwas von Luxusuhren, sagt Horak. Aber auch wegen der unzähligen Stunden, die ihre Erbauer für sie aufwenden.

Doch die Branche des Klavierbaus stagniert. « Immer weniger Klavierbauer bilden aus ökonomischen Gründen Lernende aus. » Horaks Angestellter – ebenfalls ausgebildeter Klavierbauer – berichtet von seinem Heimatland Deutschland. Und wie ein Klavierbauer dort kaum von seinem Lohn leben kann. Selbst wenn er in einem exklusiven Betrieb wie Steinway arbeitet.
Rettung in letzter Sekunde
Urs Horak selbst hat sein Geschäft Anfang der Nullerjahre aufgebaut. Mitten in einer Zeit, als die Kommerzialisierung des Klavierbaus auf dem Höhepunkt war. Begonnen hat er mit nur drei Klavieren in der Werkstatt. Dennoch hat ihm die deutsche Traditionsmarke C. Bechstein die Vertretung angeboten. « Ich weiss nicht mehr, wie ich das angestellt habe » , sagt Horak heute. Dass er dem Klavierbau noch heute nachgehen kann, sei für ihn alles andere als eine Selbstverständlichkeit. « Ich bin sehr dankbar dafür. »
In seinen dunkelsten Stunden habe er sich oft fragen müssen, wie er durch den nächsten Monat komme. « Aber es ist noch immer in letzter Sekunde jemand gekommen, der mir ein Instrument abgekauft hat. » Trotz turbulenter und unsicherer Zeiten hat sich Horak die Freude am Detail und der Präzision, die sein Handwerk ausmachen, erhalten.
Grund dafür ist zu einem grossen Teil auch die Leidenschaft für die Musik im Allgemeinen. Privat musiziert Urs Horak in diversen Orchestern. Jedoch nicht als Pianist. Das Instrument seiner Wahl ist heute noch immer der Kontrabass.