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Die Überfliegerin aus Bisikon

Gerade mal fünf Prozent der Piloten bei der Fluggesellschaft Swiss sind weiblich. Kapitänin Annina Annaheim ist eine davon. Züriost hat Einblick in ihren Alltag erhalten.

Annina Annaheim arbeitet als Kapitänin bei der Swiss., Weltweit gibt es nicht mehr als 2630 Frauen, die in dieser Position arbeiten., Als Kapitänin hat Annina Annaheim die Hauptverantwortung im Flugzeug., Ihr Arbeitstag beginnt mit der Flugvorbereitung, gemeinsam mit dem Co-Pilot., Die Wetterlage wird diskutiert und analysiert., Annaheim trifft sich vor Abflug mit der Cabincrew und informiert über den Flug., Kurz vor Abflug nach Dresden: Flugrouten und der Kraftstoffverbrauch wird berechnet., Annaheim fliegt seit zwanzig Jahren. Für sie ist es ein Traumjob., Beim Start sowie bei der Landung gilt im Cockpit die «sterile Phase»​​​​​​​ - volle Konzentration, keine Ablenkung., Annina Annaheim vor dem Airbus A320 am Flughafen Zürich.

Christian Merz

Die Überfliegerin aus Bisikon

Sie fällt auf. Den Piloten, aber auch den Passagieren. Wenn Annina Annaheim in ihrer Kapitän-Uniform durch das Operation Center oder die Hallen des Flughafens Zürich spaziert, erntet sie interessierte Blicke – und wenn sie am Ende eines Fluges die Fluggäste verabschiedet, auch mal Kommentare.

Sie habe erreicht, wofür ihre Generation immer gekämpft habe, sagte ihr einmal eine ältere Frau. Und ein Mann wollte von ihr wissen, wie gern sie noch fliege. Bei der Frau hat sich Annina Annaheim bedankt. Dafür, dass sie sich für die Chancengleichheit eingesetzt hat. Dem Mann und anderen, die es wissen wollen, antwortet sie: « Das ist mein Traumjob. Immer noch. Auch nach zwanzig Jahren. »

Mit 27 liess sich die Bisikerin bei der Swissair zur Pilotin ausbilden. Nach einigen Jahren bei Air Berlin wechselte Annaheim 2007 zu Swiss. Seit drei Jahren darf sie sich Kapitänin nennen. Als solche hat die 45-Jährige auf einem Linienflug die Verantwortung über Passagiere, Personal und Flugzeug.

6 Uhr Operation Center Flughafen Zürich. Annina Annaheim trifft ihren Co-Piloten Fabian Pfister, um den heutigen Flug nach Dresden zu besprechen. Ihr Computer zeigt die aktuelle Wetterlage an, die vielversprechend aussieht. Turbulenzen sollte es keine geben.
6.10 Uhr Briefing des Kabinen-Personals. Annaheim kennt die Crew noch nicht. Dennoch sind alle per Du. Die Kapitänin bespricht das Wetter und die Situation in der Kabine:. « Auf dem Hinflug sind wir nicht so stark ausgelastet. Achtet wegen der Balance darauf, dass nicht alle den Platz wechseln. »
6.30 Uhr  Gate A 72. Annaheim nimmt auf dem Boden den Groundcheck vor. Sie sieht sich das Fahrwerk an, prüft die Düsen und die Landeklappen.
6.50 Uhr Das Boarding beginnt. Im Cockpit gehen Annaheim und  Pfister die Flugroute und diverse Checklisten des Airbus A320 durch. Der Kraftstoffverbrauch ist berechnet. Es kann losgehen.
7.10 Uhr Das Boarding ist beendet. Annina Annaheim schnappt sich das Mikrofon und tritt vor die Passagiere. Sie erklärt, was die Leute auf Flug LX914 erwartet. Voraussichtliche Flugzeit: 55 Minuten.

Die Airline empfiehlt ihren Kapitänen, Ankündigungen am Boden statt aus dem Cockpit direkt vor den Passagieren durchzuführen. Annaheim ist die Zeit für ihre persönliche Ansprache wichtig. So lasse sich die Stimmung an Bord wesentlich beeinflussen, sagt sie. Drohen etwa Turbulenzen oder grössere Verspätungen, schaffe die direkte Botschaft bei den Passagieren Vertrauen.

7.20 Uhr Die Cockpit-Türe ist geschlossen. Ab jetzt sollten die Piloten ihre Sitze nicht mehr verlassen. Annaheim lenkt das Flugzeug auf den Runway und wartet auf die Take-off-Freigabe vom Tower. Vom Abflug bis auf 3000 Metern Höhe läuft die « sterile Cockpitphase » . Die Kopfhörer sind auf, gesprochen wir nur mit dem Fluglotsen.
7.25 Uhr Take-off. Annaheim drückt den Gashebel nach vorne und beschleunigt auf 250 Kilometer pro Stunde.
7.45 Uhr Das Flugzeug hat seine Flughöhe von 7000 Metern erreicht. Die Piloten haben Zeit, die Landung sowie den Rückflug zu planen. Die Cabinecrew bringt ihnen Gipfeli und Kaffee.

Im Monat absolviert Annaheim etwa 40 bis 50 Kurzstrecken-Flüge. Gemäss Senioritätsprinzip der Airline, nachdem das Eintrittsalter den Zeitpunkt der Beförderung bestimmt, würde sie in ein paar Jahren als Kapitänin auf die Langstrecken wechseln. Diesen Schritt will sie noch etwas hinauszögern. « Kurzstrecken sind abwechslungsreicher »,  sagt sie. Und als Mutter zweier Kinder biete der jetzige Arbeitsrhythmus für sie mehr Flexibilität.

Annina Annaheim ist die Hauptverdienerin der Familie. Ihr Mann erledigt den Löwenanteil der Kindererziehung. Was nicht heisse, dass sie zu Hause nicht mitanpacke. « Die Aufgaben sind nicht strikte verteilt. Jeder von uns beteiligt sich. »  Da sie im Teilzeitpensum arbeite, bleibe ihr dafür genügend Zeit.

8.30 Uhr Sinkflug auf Dresden. Das Flugzeug hat die Wolkendecke bereits durchbrochen. Annaheim reduziert die Geschwindigkeit und lenkt den Airbus auf die Landebahn.
8.35 Uhr Eine leicht ansteigende Flugpiste und lokale Windböen sorgen für eine etwas holprige Landung. Der Fluglotse gibt die Gate-Position durch. Halbzeit für Annaheim.

Dass sie in einem für Schweizer Verhältnisse eher untypischen Familienmodell lebt, ist Annaheim bewusst. Auch, dass sie nur eine von wenigen Frauen ist, die als Kapitäninnen bei einer Airline arbeiten. Gleichzeitig bedeutet diese Situation  für sie trotz allen Fortschritts Alltag und damit Normalität. Der aktuelle Pilotinnen-Anteil kontrastiert diese Empfindung. Bei der Swiss liegt er bei rund fünf Prozent. Damit entspricht die Airline gemäss eigenen Angaben dem weltweiten Durchschnitt.

«Die Ausbildung ist heute kein Hindernis mehr»​​​​​​​

28.02.2020

Expertin zum Pilotinnen-Anteil

Aeropers ist der Berufsverband des Cockpitpersonals von Swiss und Edelweiss Air. Beitrag in Merkliste speichern 8.50 Uhr Annina Annaheim steht vor dem Cockpit und verabschiedet ihre Fluggäste, die sich bedanken. Niemand bleibt für einen Schwatz stehen.
9 Uhr Die Putzequipe huscht durch den Flieger und führt die nötigsten Reinigungsarbeiten durch. Das Flugzeug wird getankt. Während dieser Zeit sollten sich aus Sicherheitsgründen keine Passagiere an Bord befinden. Die Kapitänin hat Zeit für einen Austausch mit der Crew.

Ursprünglich absolvierte Annaheim eine Ausbildung zur Dolmetscherin. Als solche arbeitete sie auch für kurze Zeit, aber Gefallen fand sie keinen daran. Da machte sie ihr damaliger Freund auf den Pilotenberuf aufmerksam. Er sagte: « Das wäre doch etwas für dich! » . Er sollte Recht behalten.

Für den Eignungstest sass Annaheim im Flugsimulator und war begeistert –  aber auch überwältigt. Trotzdem bestand sie die Selektion. In ihrem Jahrgang bleibt sie die einzige Frau. Die Ausbildung bezeichnet sie als herausfordernd. « Die Instruktoren waren insbesondere im Flugbetrieb sehr streng mit uns » , erinnert sie sich.

Sie habe sich in der Zeit ein dickes Fell zugelegt. Die Fluglehrer waren zum Teil mit Vorurteilen behaftet. « Wenn du als Frau ruhig bist, heisst es, du bist unsicher. »  Männer galten in der gleichen Situation dagegen als konzentriert.

9.35 Uhr Auf dem Rückflug nach Zürich haben die Piloten einen Slot, also ein Zeitfenster, erhalten. Dadurch verschiebt sich der Start um ein paar Minuten. Annina Annaheim steht wiederum mit dem Mikro in der Hand im Zwischengang und erklärt die Situation. Der Flug ist  nun sehr gut besetzt.
10 Uhr über den Wolken. In einem Verkehrsflugzeug wechseln sich die Piloten ab. Deshalb sitzt nun Co-Pilot Pfister am Steuer. Die Kapitänin übernimmt den Funkverkehr.

Der geringe Pilotinnen-Anteil bei der Swiss zeigt sich auch bei den Uniformen. Als Annina Annaheim schwanger war, musste sie auf Kleidergrösse 44 zurückgreifen. Umstandsmode für Pilotinnen gibt es nicht. Bis zur 24. Woche dürfen Schwangere fliegen. Auf Wunsch können Pilotinnen während der Schwangerschaft einen Job « am Boden »  erledigen. Annaheim wollte jedoch so lange in der Luft bleiben wie möglich.

Ihre beiden Kinder, ein 9-jähriges Mädchen und ein 10-jähriger Knabe, erleben den Job ihrer Mutter auf unterschiedliche Weise. Nicht zu wissen, ob die Eltern nun zu Hause sind oder nicht, habe dem Mädchen früher Mühe bereitet . Ein Plan im Eigenheim in Bisikon zeigt deshalb mit Farben an, wann die Eltern da sind oder die Grossmutter einspringt.

10.15 Uhr Die Alpen sind bereits in Sichtweite. Die Piloten steuern von Nordwesten her den Flughafen an. Schade für Annina Annaheim, die den Südanflug aus ästhetischen Gründen bevorzugt. Man habe die Alpen so schön vor sich, sagt sie.

Ob sie sich auch als Vorbild sehe? Annaheim bejaht. Sie finde es richtig und wichtig, dass Geschlechterrollen hinterfragt werden. Sie selbst würde sich mehr Frauen im Cockpit wünschen. Aus zwischenmenschlichen Gründen. « Es herrscht einfach eine andere Atmosphäre, wenn zwei Frauen fliegen. »
 

Privat fliegt Annaheim kaum. Sie bevorzugt Reisen, die sie mit ihrer eigenen Muskelkraft bewältigen kann. Mit dem Velo. Oder zu Fuss. Ferien mit der Familie im Zelt gehören zu ihren Favoriten. Letzten Sommer war deshalb eine Ausnahme. Die ganze Familie reiste für zwei Wochen nach Japan. Wegen der Rugby-Weltmeisterschaften. Die wollte Annaheim auf keinen Fall verpassen.

10.45 Uhr Happy Landing. In Zürich herrscht schönstes Wetter. Annaheim verabschiedet die Fluggäste. 
11 Uhr Zurück im Operation Center. Der Arbeitstag der Kapitänin ist für heute zu Ende. Weiter geht es in den kommenden Tagen nach Bukarest und Frankfurt.

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