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Politik

«Da hat es richtig gräbblet»

Für die Organisation Ärzte ohne Grenzen hat der Ustermer Oskar Baenzinger in einer Geburtenklinik in Kenia gearbeitet. Die Tätigkeit im turbulenten Umfeld hat ihn demütig gemacht.

In der Wetziker Kinderarztpraxis von Oskar Baenzinger herrscht Ruhe - zumindest im Vergleich zu einer Geburtenklinik in Kenia.

Seraina Boner

«Da hat es richtig gräbblet»

In der Kinderpraxis von Oskar Baenziger in Wetzikon ist einiges los: Einige Kinder turnen auf den Stühlen im Wartezimmer, andere spielen mit Bauklötzen am Boden und währenddessen klingelt am Empfang im Minutentakt das Telefon. Baenzinger scheint die aufgeregte Stimmung nichts anzuhaben. Er steht mit blauem Poloshirt, weisser Hose und seiner runden, schwarzen Brille mitten im Raum und strahlt Ruhe aus. Als er für das Gespräch in sein Büro bittet, sagt er: «So ist das jeden Tag bei uns, das ist ganz normal.»

«Jeden Tag kamen bis zu 30 Kinder zur Welt.»

Oskar Baenzinger, Kinderarzt

Doch was heisst bei Oskar Baenzinger schon normal? Zwischen Oktober und November engagierte sich der Ustermer mit der Organisation «Ärzte ohne Grenzen» für eine Geburtenklinik im Süden Kenias. «Dort kamen jeden Tag bis zu 30 Kinder zur Welt – das sind dreimal mehr als im Universitätsspital Zürich, der grössten Geburtenklink der Schweiz», sagt Baenziger. Manchmal hätten bis zu fünf Frauen gleichzeitig im selben Raum und in Betten mit knapp einem Meter Abstand zum nächsten ihre Kinder zur Welt gebracht. «Da hat es richtig gräbblet.»

Gebären beim Warten aufs Boot

«Meine Aufgabe vor Ort war es, dem kenianischen Ärzte- und Pflegepersonal als eine Art Lehrer beiseite zu stehen», sagt Baenziger. Zudem habe er versucht, das Selbstwertgefühl des Personals zu stärken. «Denn sie machen ihre Arbeit wirklich hervorragend und mit unglaublicher Hingabe.» Deswegen habe er auch keine Bedenken bezüglich der schrittweisen Übergabe der Geburtsklinik durch die Organisation «Ärzte ohne Grenzen» an die kenianische Regierung.

« Ich wollte etwas Sinnvolles machen, bei dem es nicht nur ums Geldverdienen geht. »

«Ärzte ohne Grenzen» lancierte das Projekt der Geburtsklinik in Likoni im Jahr 2014. Likoni ist ein Vorort Mombasas, der zweitgrössten Stadt Kenias. Sämtliche Spitäler und Arztpraxen der Region befinden sich in dieser Stadt. Weil Mombasa jedoch auf einer Insel liegt, sind die Einwohner von Likoni und dem restlichen Festland auf Fähren angewiesen, um zu den Spitälern zu gelangen. «Die Fähren fahren allerdings sehr unregelmässig, weshalb viele Schwangere ihre Kinder bereits beim Warten auf das Boot zur Welt bringen mussten», sagt Baenziger. Deshalb entschied «Ärzte ohne Grenzen» auf dem Festland eine Geburtsklinik zu erstellen.

« Massive Hirnschäden drohten »

Seit seiner Kindheit war für Baenziger klar, dass er Arzt werden möchte. «Ich wollte etwas Sinnvolles machen, bei dem es nicht nur ums Geldverdienen geht», sagt er. Da Baenziger bereits während seiner Ausbildung realisierte, dass er sich gut mit jüngeren Patienten verstand, entschied er sich, nach dem Staatsexamen als Kinderarzt tätig zu werden. Seit mittlerweile 30 Jahren arbeitet der 60-Jährige nun schon in diesem Bereich. Weil er ausserdem im Spital Uster in der Geburtenabteilung tätig ist, brachte er ideale Voraussetzungen für das Projekt in Likoni mit.

Trotz Erfahrung und guter Vorbereitung musste Baenziger in Kenia oft improvisieren. Als er beispielsweise ein Kind auf Gelbsucht untersuchen wollte und Blutproben an ein Labor schickte, hiess es, dass er bis zu 48 Stunden auf die Resultate warten müsse. «Das hätte viel zu lange gedauert, in der Zwischenzeit hätte das Kind massive Hirnschäden davontragen können», so Baenziger. Statt zu warten, entschied er sich aufgrund der markanten gelben Verfärbungen des Kindes bereits mit der Fototherapie gegen Gelbsucht zu beginnen.

Wenn Schoppen töten können

Gemäss Baenziger fehlt vielen Menschen in Kenia der Zugang zu medizinischen Einrichtungen. «Es gibt auch hier Spitzenmediziner in den grossen Städten, gleichzeitig gibt es jedoch viele Regionen mit Nullversorgung.» Die neue Geburtenklinik in Likoni habe sich zwar bereits einen guten Ruf erarbeitet – viele Patientinnen kommen für die Geburt von weit her – doch eigentlich sollte man die Frauen bereits während der Schwangerschaft medizinisch begleiten, so Baenziger.

«Ich alleine kann die Welt nicht retten.»

Weil das nicht möglich gewesen sei, versuchten er und seine Kollegen den Müttern während des Spitalaufenthalts so viele Tipps wie möglich mit auf den Weg zu geben. «Beispielsweise empfehlen wir den Frauen auf Schoppen zu verzichten und die Babys stattdessen zu Stillen oder mit dem Löffel die Muttermilch zu füttern.» Grund: Schoppen seien schwerer zu reinigen und der Zugang zu sauberem Wasser ist begrenzt. Deshalb könnten sich darin gefährliche Bakterien ansammeln. «Das Sterberisiko mit dem Schoppen ist deshalb fünfmal höher als mit dem Löffel», sagt Baenziger.

Pläne für nächsten Einsatz

Der Einsatz in Kenia habe ihm Bescheidenheit gelehrt. «Ich habe eingesehen, dass ich die Welt nicht alleine retten kann», sagt Baenziger. Überhaupt konnte er am Projekt nur teilnehmen, weil ihm zwei Kolleginnen in der Wetziker Kinderpraxis zwischenzeitlich den Rücken freigehalten hätten.

Da dies gut funktioniert habe, denkt er nun bereits über seinen nächsten humanitären Einsatz nach. «Wohin es gehen wird, kann ich jedoch noch nicht sagen, das entscheidet die Organisation Ärzte ohne Grenzen.»

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