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«Hartmann schreibt Dinge, die jeglicher Grundlage entbehren»

Der Biograf des jüdischen Tenors Joseph Schmidt, Alfred Fassbind, ärgert sich über den Roman «Der Sänger» von Lukas Hartmann, der Schmidts letzte Wochen in der Schweiz thematisiert. Der Dürtner kritisiert den Autor.

Der Dürntner Alfred Fassbind hat die Biographie «Joseph Schmidt - Sein Lied ging um die Welt» geschrieben. , Fassbind hat das Joseph-Schmidt-Archiv bei sich zuhause. Darunter etliche rare Schellack- und Schallplatten., Joseph Schmidt war ein veritabler Weltstar. 1937 entstand diese Aufnahme in der Pause seines Auftritts in der Carnegie Hall., Schmidt galt als Lebemann, der sich gerne mit Frauen umgab., Charlotte Ander im Film «Ein Lied geht um die Welt».

PD

«Hartmann schreibt Dinge, die jeglicher Grundlage entbehren»

Zu behaupten, dass nur wenige Menschen mehr über den jüdischen Tenor Joseph Schmidt wissen als der Hinwiler Alfred Fassbind, ist kaum vermessen. Der Biograf und Verwalter des Joseph-Schmidt-Archivs seit 1985 ist ein ausgewiesener Experte und hat sich nach eigener Aussage « unzählige Stunden » mit dem Leben Schmidts befasst.

Der Mann ist nicht nur Experte, sondern auch Fan, das merkt man schnell, wenn man mit ihm spricht. « Schmidts Stimme ist einzigartig. Mit einer derartigen Leichtigkeit sang zu dieser Zeit niemand. »

Ein Weltstar

Fassbind kann dies beurteilen, denn der Dürntner blickt selber auf eine Laufbahn als Tenor zurück. Schmidt sei « der Pavarotti seiner Zeit » gewesen, der damals Auftritte vor 100‘000 Zuschauern absolvierte. Ein veritabler Weltstar, so Fassbind. Ein Blick in das sorgfältig gestaltete Archiv, es befindet sich in Fassbinds Haus, bestätigt dies.

Fotos zeigen Schmidt in der New Yorker Carnegie Hall, dem bis heute wohl berühmtesten Konzertlokal für klassische Musik. Aber auch in Amsterdam, Berlin, Wien und Zürich sang er. Noch heute erreichen Songs wie « Ein Lied geht um die Welt » auf Youtube Hunderttausende Klicks. 

Vom grossen Wissen des 70-Jährigen profitierte auch der Schweizer Bestsellerautor Lukas Hartmann. In dessen Roman « Der Sänger » wird Schmidt von einer historischen zu einer literarischen Figur. Das Buch erzählt die tragischen letzten Wochen des Sängers, der vor dem Terror der Nazis flüchten musste und über Genf in Zürich und schliesslich 1942 im Hinwiler Lager in Girenbad landete.

Schmidt starb kurze Zeit nach seiner Ankunft in den Räumen des ehemaligen Restaurants Waldeck, nachdem man seine Halsschmerzen am Unispital in Zürich nicht ernst nahm und ihn als Simulanten wieder zurück nach Hinwil schickte.

Akribisch recherchiert

Die akribischen Recherchen Fassbinds gipfelten in einer 1992 erschienenen Biografie, die 2013 in einer erweiterten Fassung nochmals veröffentlicht wurde. Sie diente Hartmann als wichtige Grundlage für sein Buch. Der Berner Autor sei einen Nachmittag lang bei ihm gewesen, habe alles gefragt, was ihn interessiert hätte, und sich das Archiv angeschaut, so Fassbind.

« Wer Fakten will, kann die Biografie lesen. Das kann ich gut unterscheiden. »

Alfred Fassbind, Biograf von Joseph Schmidt

Dass Hartmann einen Roman über Schmidt schrieb, sei dessen gutes Recht. « Dagegen habe ich überhaupt nichts » , so Fassbind. Dennoch ärgert er sich über Hartmanns Version von Schmidts letzten Tagen und dessen Zeit in Hinwil.

In Fassbinds Schmidt-Archiv liegen zahlreiche persönliche Gegenstände des Stars. (Foto: Seraina Boner)

« Was er da teilweise schreibt und erfindet, wie er Sachen in die Welt setzt, die jeglicher Grundlage entbehren, das stört mich. » Ihm sei klar, dass ein Roman nicht faktengetreu sein müsse. « Wer Fakten will, kann die Biografie lesen. Das kann ich gut unterscheiden. »

Trotzdem. Dass Hartmann die Fakten so verdrehe, könne er nicht verstehen. « Haarsträubend » sei das teilweise. Nach einigen Beispielen gefragt, holt Fassbind aus: « Hartmann schreibt, dass Schmidt auf dem Boden auf einem Strohsack liegen musste, mit einer stinkigen Decke zugedeckt. Dabei war er, zusammen mit dem Sanitäter Philippe Storch, der Einzige, der in einem kleinen Bürogebäude ein Bett bekam. »

Schmidt kam krank und geschwächt in Hinwil an, aber dass Storch ihn stützen musste, um ihn auf die Latrine zu begleiten, wie es im Buch heisst, stimme ebenfalls nicht. Fassbind weiss dies übrigens darum so genau, weil er Storch und andere Zeitzeugen interviewte.

Hartmann reagiert auf Kritik

Darauf angesprochen, antwortet Hartmann per Email, dass es ihm wichtig gewesen sei, Schmidt als Erschöpften zu zeigen, « als Mann, den ehemals Umjubelten, der in seinem Grundgefühl tief gefallen und tief erschöpft ist. So viel ich weiss, war Schmidt erst in den letzten Tagen in einem eigenen Zimmerchen untergebracht. »

In Hartmanns Buch trifft Schmidt in Girenbad beim Essen auf einen berühmten Kollegen: Den Philosophen und Schriftsteller Manès Sperber. Zwischen den beiden entwickelt sich im Buch ein Dialog. « Auch das ist völlig aus der Luft gegriffen. Sie waren zwar beide zur gleichen Zeit interniert. Aber es hatte 300 Flüchtlinge im Lager. Über eine Begegnung der beiden weiss ich nichts. »

Kürzlich sei das Sperber-Archiv in Berlin deswegen auf ihn zugekommen und habe wissen wollen, ob er irgendwelche Zusammenhänge kenne. « Der Dialog ist Hartmanns Erfindung. Wenn sich das Sperber-Archiv darüber enerviert, dann habe ich wohl auch einen Grund dazu. »

« Was die Beerdigung seines Vaters betrifft, müsste ich genau nachlesen, ob ich da etwas verdreht habe. »  

Lukas Hartmann, Autor von «Der Sänger»

Mehrmals sagt Fassbind, dass ein Roman gewiss eine Berechtigung habe, sich in Personen hineinzuversetzen und der Dramaturgie zuliebe auch mal eine Fünf gerade sein lassen könne. « Aber warum muss Hartmann etwas hervorheben, von dem das Gegenteil der Fall war? »

So schreibe er, dass Schmidt nicht an die Beerdigung seines Vaters gereist sei, es ihn quasi nicht interessierte und er die Mutter in ihrer Trauer alleine gelassen habe. « Dabei sagte er extra ein Konzert in Berlin ab, um nach Rumänien an die Beerdigung zu reisen. » Hartmann entgegnet darauf: « Was die Beerdigung seines Vaters betrifft, müsste ich genau nachlesen, ob ich da etwas verdreht habe. »

Oder die Episode mit dem steinharten Brot und den verfaulten Kartoffeln in der Suppe. Fassbind schüttelt den Kopf. « Klar, das Essen im Lager entsprach den grauen Zeiten damals. Aber Robert Ranzenhofer, der im Girenbad als Postordonnanz amtete, sagte mir, dass er jeweils in Hinwil, wenn er die Post holte, oft vom Bäcker einen Sack voll frisches Brot gekriegt habe. Der Mann habe gewusst, dass es im Lager nicht zum Besten stand. »

«Auffangs- und kein Arbeitslager»

Auch dass Schmidt « beim Roden mithelfen musste », wie es in Hartmanns Buch heisst, sei der Fantasie des Autors entsprungen. « Girenbad war ein Auffangs- und kein Arbeitslager. » Die Zustände seien schlimm gewesen, das Lager habe man 1943 wegen Typhusgefahr auch geschlossen.

« Was Hartmann aber zusammendichtet, hat Girenbad nicht verdient. Das geht mir zu weit »

Alfred Fassbind, Biograf von Joseph Schmidt

« Was Hartmann aber zusammendichtet, hat Girenbad nicht verdient. Das geht mir zu weit » , so der Biograf. Hat er Hartmann je darauf angesprochen? Fassbind verneint. « Ich wollte nicht über ihn schimpfen, weil es als Neid taxiert werden könnte. Und das will ich nicht. »

Zur Kritik Fassbinds, dass das Girenbad kein Arbeitslager war entgegnet Hartmann: « Dass die Internierten im Lager Girenbad phasenweise Arbeiten beim Wegbau zu verrichten hatten, hat mir der Sohn der alten Frau versichert, die in meinem Roman von ihrer Begegnung  mit Joseph Schmidt erzählt. »

Er sei, mit Jahrgang 1947, selber nicht Zeitzeuge, habe aber seine Mutter öfter über die Episode mit Schmidt ausgefragt. « Dieser Mann, eine bekannte Figur, will seinen Namen nicht genannt haben, was ich respektieren muss. Ob seine Mutter etwas umgefärbt, sich gar eingebildet hat, weiss ich nicht » , so Hartmann weiter.

Und vielleicht habe es im Lager doch zeitweise Arbeiten im Aussenbereich gegeben. Im Tagebuch des jüdischen Autors Felix Stössinger « Interniert » (1942/45), stehe einiges darüber, auch über Schmidt. « Dieses Buch hat Fassbind offensichtlich nicht gekannt und auch nicht als Quelle benützt. » Fassbind antwortet, dass er das Buch tatsächlich nicht kenne. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass die Mutter-Sohn-Geschichte wahr sei, sagt er.

« Ich bin ziemlich erstaunt über Fassbinds Kritik. Mir gegenüber hat er seinen Ärger nie geäussert. »

Lukas Hartmann, Autor von «Der Sänger»

Lukas Hartmann reagiert insgesamt überrascht. « Ich bin ziemlich erstaunt über Fassbinds Kritik. Mir gegenüber hat er seinen Ärger nie geäussert. » Fassbind habe ihm geschrieben, dass seinem Partner der Roman sehr gefallen habe. Hartmann schreibt, dass er davon ausgegangen sei, dass auch Fassbind das Buch im Ganzen billige.

Gegensatz zwischen Sachbiographie und Roman

Und weiter: « Was sich hier zeigt, ist der alte Gegensatz zwischen der erfundenen, nachempfundenen Wirklichkeit des Romans und der Faktizität der Sachbiographie. Wobei es auch beim Sachbuch Lücken geben kann. » Natürlich nehme Fassbind den Roman anders unter die Lupe als ein « normaler » Leser.

« Vielleicht » , so vermutet der Autor, « ärgert er sich ja auch über das grosse Echo, das der Roman gefunden hat. » Das gehöre auch zur Situation des Sachbuchautors, der grössere Mühe habe, ein breites Publikum zu gewinnen als der Romanautor. « Aus meiner Sicht habe ich versucht, Joseph Schmidt mit anderen Mitteln gerecht zu werden als Alfred A. Fassbind. Beides ist denkbar, beides darf sein, meine ich. »

Fassbind bestreitet, dass er sich über den Erfolg des Romans ärgert. « Ich gönne Hartmann jeden Erfolg. Aber dass er einfach Sachen erfindet, nur um den Roman auszuschmücken. Das verstehe ich nicht. » Das Ganze würde ihn weniger stören, wenn er wüsste, dass die Leute zwischen Biografie und Roman unterscheiden. « Aber das tun die wenigsten. Viele werden Hartmanns Roman für Tatsachen halten » , ist er überzeugt.

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