Wegen den Wilden Blattern in griechischer Arztpraxis gestrandet
Es ist ein dickes Fotobuch mit türkisblauem Einband und festen Seiten, das auf dem Wohnzimmertisch der Familie Rothenbach aus Wetzikon liegt. Es zeigt mal Papi Daniel mit den Mädchen Kira und Zoey lachend im Swimmingpool, mal Mami Natascha am Strand. Es sind Fotos vom Flugzeug dabei, mit dem die Familie im Juni nach Kreta reiste, Fotos von verschieden grossen Handabdrücken im Sand. Und dann sind da die Fotos dieser Arztpraxis auf Santorini, in der die Familie eines Tages strandete, und die Natascha Rothenbach heute mit gemischten Gefühlen betrachtet. Schon drei Monate sind seither vergangen. «Aber noch immer liegt mir diese Sache wie ein Stein auf dem Herzen», sagt die 32-jährige Wetzikerin.
Vor den Kindern haben Natascha und Daniel Rothenbach wenn immer möglich von den schönen Tagen geredet, die sie in ihren Ferien erlebten. Und die gab es durchaus. «Die erste Woche auf Kreta und die ersten Tage auf Santorini waren wunderbar. Die schneeweissen Häuser entlang den Kraterklippen sahen genau so aus, wie wir sie uns erträumt hatten», sagt die gelernte Pflegefachfrau. Dabei waren sie schon eine Woche später dran als geplant – die erste der zwei Ferienwochen auf Kreta war ins Wasser gefallen, weil die vierjährige Kira zu Hause an den wilden Blattern erkrankt war. «Wir gingen zum Arzt, liessen den Flug kurzfristig annullieren und flogen eine Woche später nach Griechenland, als Kira wieder gesund war.»
Aus dem Flughafen gewiesen
Zehn wunderbare Tage in zwei Hotels auf Kreta und Santorini folgten. Aber einen Tag vor dem Rückflug bemerkten die Eltern auch am Körper der knapp dreijährigen Zoey erste rote Bläschen. Sie hofften, die Rückreise dennoch antreten zu können, wurden tags darauf aber am Check-in abgewiesen. «Als ich die Dame dort fragte, an wen wir uns wenden sollten, meinte sie nur, wir sollten das Flughafengebäude schnell verlassen und draussen selber weiter schauen.»
Etwas verwundert spazierte die junge Familie nach draussen, wo sie auf eine Tui-Mitarbeiterin traf. «Sie nahm augenblicklich Kontakt zu Hotelplan auf, organisierte einen Termin beim Arzt und rief uns ein Taxi», so Natascha Rothenbach. Auch in der Arztpraxis wurde die Familie überaus freundlich behandelt. Während sich die Mutter um ihre beiden Töchter kümmerte, startete ihr Mann einen Telefonmarathon, der die Familie für den Rest des Tages in Anspruch nehmen sollte. Er telefonierte mit der Familie zu Hause, mit den Reiseveranstaltern, der Reiseversicherung, der Krankenkasse und beiden Arbeitgebern.
Mit dem Boot nach Hause?
Auch die lokale Reiseleiterin ihrerseits hatte in der Zwischenzeit das Telefon zur Hand genommen, um für die Rothenbachs eine Unterkunft für die nächsten Tage zu suchen. Als sie keine fand, die die hochansteckende Zoey und ihre Familie aufnehmen wollte, erklärte sie den Kunden, dass jetzt die Reiseschutzversicherung verantwortlich sei. Diese aber wies am Telefon jegliche Verantwortung von sich und gab den Ball zurück an Hotelplan, worauf irgendwann die Reiseleiterin von Kreta anrief, mit der die Familie in der ersten Ferienwoche zu tun gehabt hatte. «Und diese erklärte uns, dass wir in den Hotels unerwünscht seien und die Insel verlassen sollten», sagt Natascha Rothenbach. Sie sei perplex gewesen – und habe die Frau mit zittriger Stimme gefragt, wie sie das denn anstellen sollten, jetzt, wo das Flugzeug schon auf dem Weg nach Hause sei, ob sie sich etwa ein Boot nehmen und nach Hause paddeln sollten. «Die Frau sagte nur, dass es ihr egal sei, wie wir das machten, Hauptsache, wir würden es tun.»
«Wir wurden behandelt, als hätten wir die Pest.»
Natascha Rothenbach
Sie sei fassungslos gewesen, sagt Natascha Rothenbach. «Meine Tochter war krank. Sie war müde, hatte Fieber und starken Juckreiz. Ich hätte mich gerne sorglos um sie und ihre Schwester gekümmert, ohne auch noch mit dem Reiseveranstalter diskutieren zu müssen. Ausserdem war es sehr heiss, wir wollten uns nur noch irgendwo ausruhen», erzählt sie. Als ihr später ein Hotelplan-Angestellter einer Oberländer Filiale am Telefon auch noch dazu riet, das kranke Mädchen ins Spital zu bringen und nur für Eltern und Schwester ein Hotel zu suchen, war für sie der Gipfel des Zumutbaren erreicht. «Wir hatten keine Kraft mehr, waren verzweifelt und mit unserem Latein am Ende», sagt Natascha Rothenbach. Während die Mädchen völlig ruhig waren, brach sie selber in Tränen aus.
Alle winken ab
Auch ihr Mann war im Laufe des Nachmittags zunehmend nervöser geworden. «Ich machte mir Gedanken, fragte mich, was ich für meine Familie überhaupt noch machen konnte», sagt er. In seiner Not habe er sogar bei der Rega angefragt, aber ebenfalls vergeblich. «Voller Zuversicht waren wir in diese Arztpraxis gekommen. Wir hatten gedacht, dass es kein Problem sein würde, eine Unterkunft zu finden. Jetzt aber bekamen wir es langsam mit der Angst zu tun: Ich stellte mir schon vor, auf der Strasse übernachten zu müssen», erzählt seine Frau. Und weiter: «Wir wurden behandelt, als hätten wir die Pest. Dabei hatte unsere Tochter doch nur die wilden Blattern.»
Nach fast sieben Stunden klappte es dann aber doch noch: Die Arzthelferin, die zusammen mit dem Arzt auf ihre Siesta verzichtete und sich rührend um die Familie kümmerte, hatte auf eigene Faust Bekannte angefragt und den Rothenbachs provisorisch eine Wohnung reserviert. Kurz darauf bekam sie sogar die Zusage eines Hotels. Am späten Nachmittag verliess die Familie die Praxis mit dem guten Gefühl, endlich wieder ein Dach über dem Kopf zu haben.
Knapp 10’000 Franken bezahlt
Die Geschehnisse in der Arztpraxis liessen Natascha Rothenbach aber auch an den Tagen danach keine Ruhe. Sie fühlte sich von Hotelplan im Stich gelassen – und beschloss darum, sich beim Reisekonzern zu beschweren. «Der Regionalleiter von Hotelplan sagte uns da, dass man viel Zeit in Anspruch genommen habe, um uns nach allen Möglichkeiten zu helfen», sagt sie. Und dass man durchaus in der Lage gewesen wäre, an jenem Tag eine Unterkunft zu buchen, dass die Familie diese Hilfe aber nicht habe annehmen wollen. «Wir trauten unseren Ohren nicht», so Rothenbach. Ein paar Tage später reiste die Familie zurück in die Schweiz.
Immer wieder war das Paar in den Jahren zuvor mit Hotelplan in die Ferien geflogen. «Schon, als wir noch keine Kinder hatten.» Man habe es immer genossen, die Vorbereitung einer Reise in professionelle Hände zu legen. «Auch diesmal. Wir wollten sicher sein, dass alles gut organisiert ist und dass wir diese erste Flugreise mit den Kindern zu hundert Prozent geniessen können», sagt Natascha Rothenbach. Fast 10’000 Franken habe man immerhin für die zweieinhalbwöchige Reise hingeblättert.
«Man bezahlt viel, bekommt dann aber im Notfall kaum Unterstützung.»
Daniel Rothenbach
Während sie selber sich vor allem darüber ärgert, dass man die Familie diesmal «in einer Notsituation derart im Stich gelassen hat», und sich wünscht, dass der Reiseveranstalter den Fehler eingesteht, geht es ihrem Mann in erster Linie ums Geld. Von Hotelplan hat die Familie Ende Juli als Wiedergutmachung und «Geste der Wertschätzung» eine Geschenkkarte im Wert von 300 Franken erhalten. «Das ist immerhin etwas. Aber die Karte nützt uns wenig, weil wir in Zukunft unsere Ferien direkt im Internet oder bei einem anderen Reiseveranstalter buchen werden. Es ärgert uns halt sehr, dass man so viel bezahlt und im Notfall dann doch kaum Unterstützung bekommt», sagt Daniel Rothenbach.
Abklärungen laufen noch
Ob der Familie alle zusätzlich angefallenen Kosten zurückerstattet werden, ist nicht klar. Die Abklärungen mit dem Reiseveranstalter und allen möglichen Versicherungen laufen noch. «Da zahlt man jahrelang viel Geld für den Rechtsschutz ein, für die Krankenkasse und die Reiseversicherung. Und dann muss man trotzdem so kämpfen», so Rothenbach. Dass es vielleicht besser gewesen wäre, die Ferien im Vorherein ganz abzublasen, als die ältere Tochter an den wilden Blattern erkrankte, sehen die Rothenbachs inzwischen auch ein. «Aber wir hatten uns schon so lange auf diese Ferien gefreut und hofften, wieder zu Hause zu sein, wenn die Krankheit auch bei der Kleinen ausbrechen würde.»
Hotelplan wehrt – und entschuldigt sich: «Das Telefongespräch war leider unprofessionell»
«Wir sind der Meinung, alles in unseren Möglichkeiten stehende unternommen zu haben, um die Familie zu unterstützen», schreibt Hotelplan-Mediensprecherin Prisca Huguenin-dit-Lenoir in einer Stellungnahme. Man habe der Familie empfohlen, einen Arzt zu konsultieren und sich mit der Versicherung in Verbindung zu setzten. Gleichzeitig hätten die Repräsentanten vor Ort sowie der Filialleiter verfügbare Hotels vorgeschlagen, diese aber noch nicht definitiv buchen können. «Wir waren daher auch dankbar, als uns die Arztgehilfin bei der Suche assistieren konnte und den Reisenden schliesslich eine passende Unterkunft zu finden vermochte», so die Mediensprecherin. Dem Reisekonzern zufolge hätte es Sinn gemacht, wenn die Familie noch vor dem Rückreisetag einen Arzt konsultiert und das Hotel nicht verlassen hätte. «Wenn die Ansteckungsgefahr so hoch ist und die Krankheit erkennbar ist, ist es riskant, den Rückflug antreten zu wollen. Nachträglich wird es schwierig, eine Unterkunft zu finden», schreibt Huguenin-dit-Lenoir.
Für die harschen Worte der Repräsentantin auf Kreta entschuldigt sich Hotelplan. «Das Telefongespräch war leider unprofessionell und hat zu Missverständnissen geführt. Es ist schade, dass unsere Vertreterin die Ruhe nicht bewahren konnte. Wir bitten erneut um Verzeihung», heisst es in der Mitteilung.
Am besten wäre es gemäss Hotelplan gewesen, wenn die Familie die Reise gar nicht erst angetreten hätte – wie der Filialleiter es auch empfohlen hatte. «Es hätte dann einen Versicherungsfall gegeben, das heisst, die Annullationskosten hätte die Reiseversicherung übernommen. So wären wir als Veranstalter und auch die Familie nicht involviert gewesen» schreibt die Mediensprecherin. Die Familie hätte ihre Reise verschieben und in gesundem Zustand ein paar Wochen später durchführen können. (ple)