Jetzt gibt es Hilfe für Wetziker Lehrlinge in Not
Es ist ein schwieriges Alter. Wer in der Schweiz eine Lehre antritt, durchlebt meist gerade den Höhepunkt der Pubertät. Für viele ist dieser Zeitpunkt falsch oder zu früh für einen langfristigen Berufsentscheid. Dies bestätigen nicht nur Experten, sondern zeigen auch die Zahlen des Bundesamts für Statistik: In der Schweiz wird jeder vierte Lehrvertrag vorzeitig beendet, meistens schon im ersten Ausbildungsjahr.
Die Nachfrage für eine professionelle Anlaufstelle für Lehrlinge ist daher gross – auch in Wetzikon, wie sich nun zeigt. Erst Anfang Woche hat d ie kirchliche Fachstelle Kabel (siehe Box) in der Gewerblichen Berufsschule (GBW) ihren insgesamt siebten Standort im Kanton Zürich eröffnet. Die ökumenische Einrichtung der reformierten und katholischen Kirche bietet Beratung, Begleitung und Unterstützung rund um die Berufslehre. Sie ist bereits in Dietikon, Horgen, Bülach, Winterthur, Zürich und Uster tätig.
Ein Profi am Werk
Der neue Standort in Wetzikon ist auch auf Wunsch der GBW zustande gekommen, wie René Rohner, Lehrer für Allgemeinbildung, bestätigt. Er hat sich bisher zusammen mit einer Kollegin um die Beratung und die Probleme der Lehrlinge gekümmert. «Wir haben aber keine Ausbildung als Sozialarbeiter», sagt er. Ihnen fehle ausserdem die Zeit, die Schüler regelmässig zu beraten. «Uns ist schon länger bewusst, dass wir professionelle Unterstützung brauchen.»
Bereits vor zwei Jahren habe die GBW zusammen mit Kabel einen Pilotversuch durchgeführt. «Sie berieten unsere Lehrlinge zwischen Herbst und Weihnachten zweimal pro Woche», sagt Rohner. Dies sei bei allen Involvierten gut angekommen. «Als wir erfahren haben, dass Kabel versucht mit Standorten innerhalb der Berufsschulen näher an die Lehrlinge heranzurücken, haben wir eine Anfrage gestartet», so Rohner. Dann sei alles ganz schnell gegangen. Er freue sich sehr darüber, dass nun eine kompetente Beraterin am Werk sei.
Bevor es zu spät ist
Und das ist die Dürntnerin Rita Ambühl. Die Sozialarbeiterin hat Anfang Woche einen Raum im GBW bezogen und berät dort ab sofort Lehrlinge, die die Berufsschule besuchen. Sie freue sich auf die Herausforderung, sagt Ambühl. «Wichtig ist, dass wir den neuen Standort jetzt bekannt machen – nicht nur bei den Lehrlingen, sondern auch bei den Eltern und Lehrmeistern.» Sie wolle die Hemmschwelle vor allem für die Schüler so tief wie möglich senken, sich Hilfe zu suchen. «Deswegen ist mein Büro auch im Schulgebäude.»
«Oft geht es darum, ihnen zu zeigen, welchen Weg sie nun einschlagen können.»
Rita Ambühl, Sozialarbeiterin Kabel
Lehrabbrüche sind ein häufiges Thema bei der Beratung. «Meine Aufgabe ist es, Konflikte so früh zu erkennen und anzugehen, dass es gar nicht erst so weit kommt», sagt Ambühl. Dies setze natürlich voraus, dass sich die Schüler auch rechtzeitig bei ihr meldeten. Dies soll auch durch die Beratungsstelle vor Ort ermöglicht werden.
«Ich unterstütze die Lernenden bei allem», sagt Ambühl. Sie helfe eine neue Lehrstelle zu finden, die Bewerbungsunterlagen auszufüllen, sie begleite sie in die Therapie, gehe mit ihnen aufs Sozialamt oder führe Gespräche mit den Eltern und den Verantwortlichen im Lehrbetrieb. «Oft geht es darum, ihnen zu zeigen, welchen Weg sie nun einschlagen können.»
Mehr Halt gefordert
Dass in Wetzikon eine Nachfrage nach Beratung und Unterstützung besteht, erstaune ihn nicht, sagt Kabel-Leiter Urs Solèr. «In Wetzikon gibt es mit drei Schulhäusern viele Lehrlinge und somit auch Schwierigkeiten.» Oftmals gehe es tatsächlich um einen Lehrabbruch, weil die Schüler keinen Spass an der Lehre hätten und einen anderen Beruf erlernen wollten . Doch nicht nur das: Manchmal hätten sie auch Mühe mit ihrem Vorgesetzten, fürchteten sich aber vor dem Konflikt. Oder sie kämpften mit privaten Probleme, Liebeskummer, Geldsorgen.
« In letzter Zeit fällt mir zudem auf, wie stark sich gewisse Jugendliche selbst unter Druck setzen » , sagt Solèr. Sie wollten alles perfekt machen und litten enorm unter jedem kleinen Fehler.
«Ich nehme die Eltern und Berufsbildner in die Pflicht.»
Urs Solèr, Leiter Kabel
Solèr ist selbst als Berater am Standort Bülach tätig. « Die Arbeit ist für uns Berater anspruchsvoller geworden. » Viele Jugendliche schienen ihm verlorener als früher. In der heutigen Gesellschaft fehlten oftmals klare Vorgaben. « Ich nehme hier auch die Eltern und Berufsbildner in die Pflicht. » Sie müssten den Lehrlingen mehr Halt geben, sie klarer führen. « Wie Pfähle in der Landschaft, an denen man sich orientieren kann. »
Evaluation der pädagogischen Hochschule
Auch die Lehrlinge hätten es heute strenger, sagt Lehrer René Rohner. «Im Betrieb sind die Erwartungen an sie höher, sie müssen besser und schneller funktionieren.» Auch der Schulstoff sei sicher nicht einfacher geworden.
«Früher musste man sich durchbeissen, heute will man selbständige Lehrlinge.»
René Rohner, Lehrer für Allgemeinbildung GBW
In der Pubertät passiere ohnehin so viel, dass die äusserst vielfältigen Möglichkeiten, die sich heute einem jungen Menschen bieten, bei manchen Lernenden für Verunsicherung sorgten. Doch auch Rohner bestätigt: «Lehrabbrüche haben zugenommen. Früher musste man sich durchbeissen, heute will man, dass die Jungen dauernd selbständig sind bei ihrer Lehre.» Das sei grundsätzlich eine schöne Entwicklung, führe aber auch zu Überforderung, Frustration und grösserem Bedarf an Unterstützung und Beratung.
Das Beratungsprojekt in Wetzikon ist auf drei Jahre beschränkt und wird von der pädagogischen Hochschule evaluiert. « Am Ende erhalten wir wissenschaftliche Angaben darüber, ob sich das Engagement gelohnt hat » , sagt Kabel-Leiter Solèr. Dann schaue man weiter. Finanziert wird die Dienstleistung durch die beiden Kirchen und teils von Stiftungen. « Religion spielt aber keine Rolle, jeder ist bei uns willkommen. »
Das Kürzel Kabel steht für kirchliche Anlauf- und Beratungsstelle für Lehrlingsfragen. Die Fachstelle gibt es seit 1991.