Politik

Skifahren ohne Schnee – im Atzmännig möglich

Im Sommer fährt man auf dem Gletscher Ski. Und auf dem Atzmännig. Dort trainiert der Grasskiclub Linth. Beim Anfängertraining hatte die Redaktorin Xenia Klaus Spass und Angst um ihren Kopf.

Der Helm ist obligatorisch, beim Grasskifahren im Atzmännig. Dass ich den Rückenpanzer nicht mitgebracht habe, bereue ich schnell. (Foto: Seraina Boner), Grasskiliftfahren ist einfach, Grasskipistefahren nicht. (Foto: Seraina Boner), Meine Skikumpanen müssen sich von der Anstrengung erholen. (Foto: Seraina Boner)

Skifahren ohne Schnee – im Atzmännig möglich

Ich hasse Winter und liebe Skifahren. Schlimme Geschichte. Naheliegend, dass ich von der Idee des Grasskifahrens begeistert bin. Deshalb packe ich an einem Juli-Sonntag Skischuhe, Skistöcke und meinen Skihelm ein und mache mich auf in den Atzmännig. Ich lasse den Seilpark und die Rodelstrecke links liegen und  steuere anstatt dessen den Brustenegglift an, beziehungsweise den Anfängerlift, der weitere 100 Meter nach dem Brustenegglift gelegen ist.

Wo im Winter Kinder und Touristen ihre erste Schwünge machen, trainiert der Grasskiclub (GSC) Linth mit seinen Anfängern. Fünf Männer mittleren Alters aus Wiesendangen haben sich auch noch am stillstehenden Tellerlift eingefunden. Dani, Herbie, Martin, Markus und Chris – zum Teil Schul- zum Teil Stammtischfreunde – sind meine Skikumpanen für den Tag. Die Runde hat Chris den Ausflug zum 50. Geburtstag geschenkt.

Beine kein Problem, Kopf schon

Der Kursleiter und GSC Linth Präsident Bruno Hüppi – wir dürfen ihn Bruno nennen – legt vor uns etwas hin, was für meine Augen sehr wenig Ähnlichkeiten mit Skiern hat. Die Dinger sehen eher aus, als hätte man die Raupen von einem Spielzeugpanzer abgeschraubt. Aber offenbar sind das tatsächlich die Grasskis. Bruno beginnt auf jeden Fall, unsere mitgebrachten Schuhe darauf anzupassen. Ölen dürfen wir unsere Skis selber. «Nur vielleicht nicht übertreiben», warnt Bruno, «denn Ölen macht schnell und eventuell wollt ihr ja langsam beginnen.»

«Die Grasskis sind kurz, Beinverletzungen sind deshalb selten.» 

Bruno Hüppi, Präsident des GSC Linth

Die Dinger haben keine Sicherheitsbindung, fällt mir auf, während ich schön vorsichtig einige Öltropfen in die Minirädchen gebe. Das finde ich etwas beunruhigend, denn Beinverdreh-Stürze gehören zu meinen Spezialitäten. Leiter Bruno beruhigt mich: «Die Grasskis sind kurz, Beinverletzungen sind deshalb selten.» Vielleicht sehe ich ihm gar zu beruhigt aus. Vielleicht will er mich auch einfach warnen, ich weiss es nicht. Auf jeden Fall sagt Bruno: «Kopfverletzungen sind eher das Problem.» Ich sage: «Ah okay. Beruhigend, das mit den wenigen Beinverletzungen.» Bruno sagt: «Jaja, das ist wirklich ein Vorteil.» Der Helm ist übrigens obligatorisch.

Die Sache mit dem Bremsen

Es kommt noch besser. Die Herausforderung am Grasskifahren ist, erklärt uns Bruno, als wir uns die frisch eingeölten Skier an die Schuhe geschnallt haben: «Bremsen geht nicht». Das gilt nicht nur für Anfänger, sondern so ganz generell, mit Grasskiern kann man nicht bremsen. Bruno: «Man macht einfach einen grossen Bogen und lässt ausrollen.» Meine Begeisterung für den Sport nimmt rapide ab, aber da schaltet Bruno schon den Lift ein und ich stelle mich brav mit Dani, Martin, Markus, Herbie und Chris in die Reihe und lasse mich den Hügel hochziehen.

Oben angekommen erzählt uns Bruno, wie es jeweils zu den Kopfverletzungen kommt. Nicht etwa, weil man nicht bremsen kann, und kopfvoran in Bäume fährt: «Weil die Ski so kurz sind, kippt man gerne nach hinten.» Deshalb, so Bruno, immer schön in die Knie gehen. Und ja nicht versuchen, zu sliden. «Das geht nicht, dann haut es dich einfach um.» Ich sehne mich nach meinem aus Coolnessgründen zuhause gelassenen Rückenpanzer.

Der berühmte «Huiuiui-Effekt»

Am Anfang nicht zu schnell fahren, das ist die letzte Anweisung von Bruno, dann werden wir auf die Graspiste geschickt. Wir rollen los. Die Sache ist tatsächlich so schwierig, wie ich es seit dem Anblick der Raupen befürchtet habe. Das Gefühl auf den Rollen ist so gar nicht wie auf Schnee, aber auch sonst fällt mir nichts ein, womit es vergleichbar wäre. Das Tempo auf dem kurzen, flachen Anfängerhang kommt mir enorm vor. Mein System funktioniert so: Ich mache mit Müh und Not eine Kurve und dann lasse ich mich etwa 100 Meter quer zum Berg rollen. Ich bin nicht die Einzige. Eine Pistenhälfte reicht uns allen zu Beginn nicht, munter kreuzen wir den Lift. Dass wir uns dabei nicht gegenseitig abschiessen, gleicht einem Wunder.

Eine weitere Tücke des Grasskifahrens: Der Kraftaufwand für eine Kurve ist deutlich grösser, wenn man langsam ist. Oder wie es einer meiner Leidensgenossen sehr schön formuliert; «Wenn man schnell ist, geht’s noch eher, aber dann kommt halt der Huiuiui-Effekt.»

Sind wir Bergziegen?

Während wir unsere enormen Kurven ziehen, parkiert ein weisser Audi unten am Lift. Eine Hand hält uns ein Handy entgegen. Ich glaube wir werden gefilmt. Das Handy wird zurückgezogen, die beiden Insassen steigen jetzt sogar aus, um uns besser zusehen zu können. Fassungslos starrt uns das Paar an.

Ich verstehe sie. Mich erinnert unsere Aufmachung mit Helm, Stöcken und den komischen Rollen an unseren Füssen irgendwie an das Experiment des Briten Thomas Thwaites, der versuchte, eine Woche lang als Bergziege zu leben.

Kurz darauf ist es eine Gruppe E-Biker, die am Wegrand stehen bleibt und uns ungläubig anstarrt. Einer holt seine Kamera hervor und stapft uns damit entgegen. Ich finde das ziemlich mutig, aber wahrscheinlich weiss der nicht, dass wir nicht bremsen können. Ich bin so nett, verzichte seinetwegen auf eine Kurve und lasse schon vor Pistenende ausrollen.

Der Kopf, der Kopf, der arme Kopf

Bruno lässt uns ausprobieren und steckt währenddessen mit blau-roten Stangen einen Parcours aus, mit Kurvenradien von etwa zwei Metern. Mir schwant Böses, denn meine Kurven haben da noch Radien von etwa 15 Meter plus die temporegulierenden langen Gleitstrecken.

Wir blicken alle leicht panisch in die Stangen. Meine Stammtischgruppe hat es natürlich schwer, denn eine leichte Konkurrenz untereinander können sie nicht verhehlen. Schon gar nicht, wenn da Stangen ausgesteckt werden.

Die obersten zwei Tore sind machbar, finde ich heraus, und mit fast jeder Fahrt erwische ich eine andere Stelle zunehmend besser. Nichtsdestotrotz verpasse ich etwa die Hälfte der Tore – in einem guten Lauf.

Der Parcours fordert einige Sturzopfer, wie prophezeit fliegt einer auf den Hinterkopf und übrigens verliert der auch gleich noch einen Ski. Fehlender Sicherheitsbindung zum Trotz. So schlimm ist es offenbar nicht, kurz darauf steht er wieder am Start. Ich hole mir einen blauen Flecken am Oberschenkel, als ich ein Tor unbedingt erwischen will und kurzzeitig vergesse, dass ich nicht auf der Kante bremsen kann.

Tipps von Bruno

Ich werde zu Bruno gewunken. Gut mache ich es, sagt er, «du kannst es nämlich, aber» – natürlich gibt es ein aber – «du lässt dich zu sehr gehen. Um den Parcours zu schaffen musst du es auch wollen.» Ich will, sage ich Bruno. Dann müsse ich die Kurven früher anfahren. «Und noch etwas mehr in die Knie.» Dann sei es einfacher, schnelle Kurven zu fahren: «Grasskifahren ist geil, wenn man so hopp hopp hopp machen kann.»

 

Recht hat er mit dem Kurven, früher anfahren, das funktioniert gleich viel besser. Das  «hopp hopp hopp» bleibt allerdings schwierig. Spass habe ich trotzdem, mit jeder Abfahrt mehr. Ans Tempo habe ich mich mittlerweile gewöhnt, zumal es eigentlich sehr moderat ist: Der «Huiuiui-Effekt» hat schnell abgenommen. Und besser werde ich auch. Ganze zweimal schaffe ich den Parcours sogar fehlerfrei. Ich freue mich wie ein Kind, das beim Skischulrennen aufs Podest fährt. Eine Medaille gibt es zwar nicht, dafür aber Lob von Bruno und das ist doch auch etwas.

Die Grasski-Trainings finden von Mai bis September statt. Eine Anmeldung ist erforderlich. Weitere Infos unter www.gsclinth.ch.

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