Die goldenen Versprechungen aus dem Briefkasten
«Wegen grosser Nachfrage nochmals Gold- und Silberankauf» und «Barauszahlung zu Tages-Höchstpreisen» – solche und ähnliche Werbeversprechen dürfte wohl jeder kennen, der regelmässig in seinen Briefkasten schaut. Werbeflyer von Schmuckankäufern landen mittlerweile mit der gleichen Kadenz in den Briefkästen wie Rechnungen. Mit Superlativen buhlen Sie um den Schmuck der Nation, die stillen Reserven auf den Dachböden und in den vergessenen Schmuckschatullen von Herr und Frau Schweizer.
Ein Rütnerin, die anonym bleiben möchte, fühlt sich von diesen Werbeanzeigen allerdings gestört. Trotz Werbeverbotsaufkleber an ihrem Briefkasten bekommt sie seit geraumer Zeit in kurzen Abständen immer wieder solche Anzeigen zugestellt. Wegen der oft wenig professionellen Aufmachung der Flyer und Lokalitäten, in denen die Geschäfte stattfinden, – oft Restaurants oder Cafés – befürchtet die Rütnerin zudem, dass potentielle Verkäufer an eine unseriöse Adresse gelangen könnten.
Ich habe mir diesen Goldhandel näher angeschaut und das Angebote eines Händlers mit fester Geschäftsadresse mit jenem einer Händlerin verglichen, die ihre Kunden durch Briefkastenflyer akquiriert.
Bekanntes Problem
Der Wetziker Goldschmied Herbert Kistler ist mit dem Phänomen der Werbeflyer, die den Ankauf von Edelmetallen bewerben, vertraut. «Seriöse» Händler, so sagt er, wollten mit diesen Ankäufern nichts zu tun haben. Die Branche unternehme allerdings auch nichts gegen solche Anbieter, denn: Sie tun nichts Illegales. «Sie setzten lediglich auf die Unwissenheit ihrer Kunden», so Kistler. «Für seriöse Händler ist das anrüchig.» Der Titel «Goldschmied» ist zudem nicht geschützt, dessen Verwendung auf solchen Flyern ist also ohne weiteres möglich. Unabhängig davon, ob jemand tatsächlich eine entsprechende Ausbildung absolviert hat.
Um einen Vergleichswert zwischen den beiden Händlern zu bekommen, testet Kistler meinen mitgebrachten Goldschmuck – vier Ringe und eine Kette – auf deren Karat, also den Feingoldgehalt (siehe Box). Drei Ringe und die Kette weisen 18 Karat auf, ein Ring 14 Karat. Alle Schmuckstücke zusammen ergeben einen Feingoldgehalt von 19.20 Gramm.
So testen Goldschmiede den Feingoldgehalt (Karat)
Auf einem Schieferstein wird das Prüfstück so gerieben, dass eine Linie mit Abrieb entsteht. Über diese Linie streicht der Goldschmied sogenannte Prüfsäuren in der Stärke von 8 bis 22 Karat, den gängigsten Feingoldgehalten für Schmuck. Löst sich der Abrieb beim Bestreichen mit der ersten und schwächsten Prüfsäure (8 Karat) auf, liegt der Feingoldgehalt bei unter 8 Karat und gilt somit nicht als Gold. Bleibt der Abrieb bestehen, wenn er mit der 8-Karat-Säure darüber streicht, testet der Goldschmied mit der nächst stärkeren Säure. Bleibt der Abrieb bei der 14-Karat-Säure bestehen, löst sich aber bei der 18-Karat-Säure auf, so handelt es sich dabei um 14-Karat-Schmuck.
Die Bezeichnung «Karat» ist eigentlich veraltet und wird nicht mehr verwendet. Heute wird der Feingoldgehalt in X/1000 Einheiten angegeben: 22 Karat enthalten 916 von 1000 Einheiten Feingold, 18 Karat 750/1000, 14 Karat 585/1000 und 8 Karat 333/1000. Verständlichkeitshalber wird im Text trotzdem der Begriff «Karat» verwendet.

Der Goldabrieb löst sich nicht auf, der Goldschmied kennt nun den Feindgoldgehalt des Schmucks. (Foto: Seraina Boner)
Der Feingoldgehalt wird mit dem aktuellen Tageskurs multipliziert, in diesem Fall sind das 39.50 Franken pro Gramm. Davon zieht Goldschmied Kistler allerdings stets 15 Prozent ab: «Das deckt meine Schmelzkosten, das Kursrisiko und meinen Gewinn.» Dies führt zu einem ausbezahlten Grammpreis von 33.58 Franken, was einen Gesamtpreis von 645 Franken ergibt.
Transparenz ist wichtig
All dies listet der Goldschmied auf einer Quittung auf, fein säuberlich. «So was kriegen Sie bei fahrenden Käufern nicht», ist er überzeugt. «Solche Händler bieten nur einen Pauschalpreis, so hat der Kunde keine Vergleichsmöglichkeit.» Dem Laien werde so also ein Preis geboten, der für ihn zwar nach viel klingt, der sich aber nicht am realen Goldkurs orientiere.
Am Tag darauf ist meine nächste Station ein Café in Rüti. Laut Flyer erwarten Schmuckbesitzer dort «Tages-Höchstpreise» für ihr Gold. Auf einem der Restauranttische ist Goldschmied-Equipment aufgebaut: Prüfsäure-Set und Waage stechen ins Auge. Die Händlerin, sachlich eloquent, prüft meinen Schmuck auf das selbe Ergebnis wie der Goldschmied: viermal 18 Karat, einmal 14 Karat. Sie rechne mit einem Tageskurs von 33 Franken pro Gramm, dies sei der Kurs, den ihr die Händler gäben, an die sie den Schmuck weiterverkaufen würde. Das ist etwa auch der Preis, den ich gekriegt hätte, hätte ich direkt an den Goldschmied verkauft.
Keine Höchstpreise trotz Versprechen
Davon zieht die Händlerin noch drei Franken ab, ihre Gewinnmarge. Sie wiegt die Stücke, rechnet auf ihrem Rechner und kommt auf einen Preis von 320 Franken, «Verhandlungsbasis». Sie böte mir für den Schmuck allerdings 400 Franken.
Ich gebe mich als Journalist zu erkennen. Die Händlerin bleibt souverän, den Preisunterschied kann sie erklären. Die Kosten für die Flyer, die jeweilige Saalmiete vor Ort, kurz: Sie habe mehr Fixkosten als ein Händler mit fester Lokalität. Zudem seien die Preise stets Verhandlungssache, sie wäre auch, hätte ich das gewollt, bis auf 450 Franken gegangen. «Ich muss schliesslich auch etwas daran verdienen», sagt sie und hat Recht damit. Damit ist aber bereits das Versprechen der «Tages-Höchstpreise» vom Tisch.
Verrechnet: «Das kann passieren»
Dazu kommt, dass ihre Rechnung nicht aufgeht. Bei einem Grammpreis von 30 Franken, multipliziert mit dem Goldgehalt meines Schmucks, müsste ich als «Verhandlungsbasis» 576 Franken angeboten bekommen. Bei einem Angebot von 320 Franken hat die Händlerin aber mit einem Grammpreis von aufgerundet 17 Franken gerechnet. Ungefähr die Hälfte dessen, was sie mir gesagt hat.
Am Telefon mit diesen Umständen konfrontiert, redet sie sich langsam in Rage. Es ist zuweilen schwierig, ihren Ausführungen zu folgen, sie wechselt oft, fast unbemerkt, den Fokus des Gesprächs, verliert sich in Monologen über Karatwerte und ist nur schwierig auf eine Antwort festzunageln. Sie stehe zu ihrem Angebot, das sei stets seriös. Zur Grammpreis-Berechnung meint sie lediglich: «Da habe ich mich eben verrechnet, das kann passieren.»