Von Tüpflischissern, Herrgöttlis und Gschtabis
Im Unterrichtsraum des Gemeinschaftszentrums Volketswil sind die weissen Wände mit Bildern von Tieren – darunter auch Hühner mit menschlichen Körpern – geschmückt. Die Lehrerin, Diana Isufi-Schmid (46) aus Wetzikon, hat im Raum ebenfalls Plakate aufgehängt. Auf einem ist die Konjugation von «haben» und «sein» zu lesen – allerdings nicht in Standarddeutsch, sondern auf Schweizerdeutsch.
Die Teilnehmer
Andrea (35) lebt seit vier Jahren in der Schweiz. Die Ungarin spricht flüssiges Hochdeutsch, möchte aber ihre schweizerdeutschen Sprachkenntnisse verbessern. «Vor allem ältere und demente Menschen vermischen Hochdeutsch und Dialekt. Allein schon wegen meines Berufes muss ich Schweizerdeutsch können», so die Pflegefachfrau.
Ivan (43) ist Slowake und seit acht Jahren in der Schweiz. Der Elektro-Design-Ingenieur möchte nicht nur Schweizerdeutsch besser verstehen, sondern auch sprechen lernen. Er sagt: «Besonders gefällt mir, dass man im Schweizerdeutschen so schreibt, wie man redet und es eigentlich keine Rechtschreibregeln gibt.»
Vratko (42), der aus dem gleichen slowakischen Ort wie Ivan stammt, lebt seit 16 Jahren in der Schweiz. Für ein Medienunternehmen ist er als Leiter für Methoden und Prozesse tätig. Er sagt: «Ich möchte für Alltagskonversationen gerüstet sein. Auch würde ich mich freuen, wenn ich durch die Sprache nicht sofort als Ausländer auffallen würde.»
Isufi-Schmid beginnt die heutige Lektion des Schweizerdeutsch-Kurses an der Sprachschule Volketswil mit einem Rückblick: «S isch Sächsilüüte gsi.» Die Teilnehmer aus Volketswil erzählen, sie hätten frei gehabt, ihre Kinder jedoch nicht. Andrea habe im Internet ein Schweizer-Dialekt-Wörterbuch gefunden. Isufi-Schmid fragt Vratko, ob er in seinem Velo-Verein bereits mehr verstünde. Er sagt lachend: «Ich verstehe nur Bahnhof. Das habe ich schon am Anfang verstanden.»
Blumen, Bienen, Brühwurst und Bier
Auf einem Plakat hat Isufi-Schmid «Früelig» geschrieben und lässt die Teilnehmer alle Jahreszeiten aufzählen: Früeling, Summer, Herbscht und Winter. Sie erzählt, dass je nach Region «Herbscht» oder «Härbscht» geschrieben oder ausgesprochen werde. Dann tragen alle im Plenum Begriffe zum Frühling zusammen: Biendli, Blüemli, Erdbeeri, Oschterhäsli, grilliere, brötle, Sunneschii. Ivan fragt: «Was bedeutet eigentlich Sunnebüehl?» Isufi-Schmid antwortet: «Ein Bühl ist eine altertümliche Bezeichnung für einen Hügel.» Andrea lacht, zum Frühling fällt ihr «Früeligsputz» ein.
«Was bedeutet eigentlich Sunnebüehl?»
Ivan, Kursteilnehmer
Um auch das kulturelle Wissen der Kursteilnehmer zu überprüfen, fragt die Lehrerin, wie denn die Schweizer Nationalwurst heisse, die man am 1. August gern verspeise – und wie man ein Bier bestelle. Ivan antwortet: «Ich hätt gern es Bierli und ei Cervelat.» Dann erläutert Isufi-Schmid den Anwesenden nebst der Stange eine Bier-Masseinheit, die wohl nicht jeder Nichtschweizer kennt. «Ein Herrgöttli ist ein 2-Deziliter-Bier», so die Schweizerdeutsch-Lehrerin.
«Es ist für mich eine grosse Freude, meine Muttersprache weiterzugeben», so Isufi-Schmid. Die Erfolge von Anfang bis zum Schluss des Kurses seien enorm – dies motiviere sie zusätzlich. «Ausserdem unterrichte ich nicht nur gehobenes Schweizerdeutsch, sondern auch Umgangssprache», so die gebürtige Esslingerin. Die Teilnehmer seien meist über 25 Jahre alt und kämen aus unterschiedlichen Ländern: England, Österreich, Deutschland, Frankreich, aus der Welschschweiz, Spanien, Slowakei, Ungarn, Polen oder Japan.
Sprachliches Allzweckmittel
Die nächste Unterrichtsphase ist die «Besprächig von Wörtli» auf einem Aufgabenblatt. Die Wörter darauf stammen nicht nur aus dem Zürcher Raum, sondern auch aus dem Kanton Bern. Der Schweizerdeutsch-Kurs ist nicht nur die Vermittlung von Dialekten, sondern auch Sprachpflege. «Manche Begriffe kennen und benutzen nicht einmal mehr die schweizerischen Kinder und Jugendlichen», räumt Isufi-Schmid ein.
Als nächstes fragt sie, was «äuä» bedeute – und meint damit nicht die Onomatopoesie eines Schmerzensschreis. Vratko scheint bereits mit Bernern verkehrt zu haben, denn er antwortet lachend: «Das kann alles bedeuten – je nach Intonation und Kontext.» Isufi-Schmid erläutert, es würde Erstaunen zum Ausdruck bringen und wäre am ehesten mit «aha» oder «nei sicher» gleichzusetzen.
Kichern, Korinthenkacker und Kugelschreiber
Nach weiteren Wörtern wie «grümschälä», «gigele» – das Isufi-Schmid lautlich mit einem Kichern untermalt – oder «poisälä», welche die Teilnehmer der Reihe nach aussprechen und übersetzen, wird dann die Semantik des Wortes «Tüpflischisser» besprochen. Vratko kennt auch dieses Wort: «So nennt man Leute, die eine Spur zu pedantisch sind.»
«So nennt man Leute, die eine Spur zu pedantisch sind.»
Vratko, Kursteilnehmer
Den Begriff «lüpfig» können die Teilnehmer nicht genau übersetzen: Vratko vermutet, dass lüpfige Musik Live-Musik sei. Dann spielt Isufi-Schmid lüpfige Musik vor – Volksmusik und Schlager. Sie übersetzt das Wort mit «beschwingt». Auch die Begriffe «gstabig» und «Gschtabi» bereiten den Anwesenden Kopfzerbrechen. Isufi-Schmid witzelt, bei der lüpfigen Musik könnten auch Gschtabis tanzen.