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«Kreativität kommt in der klassischen Musik zu kurz»

Er ist seit fast 40 Jahren Professor am Klassik-Department der Berner Hochschule der Künste, leitet die Flötensektion des Berner Symphonieorchesters und hat eine ambivalente Beziehung zur klassischen Musik. Am 15. April kommt der Querflötist Christian Studler für ein Konzert zurück in seine alte Heimat Hinwil.

Der Querflötist Christian Studler arbeitet normalerweise in Bern, hier im Foyer des «Au Premier» in Zürich. (Foto: Fabio Meier)

«Kreativität kommt in der klassischen Musik zu kurz»

Christian Studler hält seine Querflöte hoch über dem Kopf und mimt einen Speerwerfer. Dann spielt er damit Luftgitarre, imitiert einen Baseballspieler und einen Fechter. Nur stillstehen will er nicht.

Normalerweise benutzt Studler die Querflöte im herkömmlichen Sinn. Am Sonntag gibt der Berufsmusiker gemeinsam mit einer amerikanischen Flötistin und einem Pianisten ein Konzert im Areal im Tobel in Hinwil. Der Leiter des Areals, Urs Neukom, habe ihn angerufen und fand es «sei wieder einmal Zeit, dass ich in die Heimat komme.»

Studler hat seine Kindheit in Hinwil verbracht, mit Neukom besuchte er die Sekundarschule. Hier begann auch vor gut 55 Jahren seine Musikkarriere in der Musikschule Zürcher Oberland. Als Siebenjähriger mit dem Klavier, drei Jahre später wechselte Studler zur Querflöte.

Er trägt eine runde Brille, ein buschiger Haarkranz säumt die Glatze. Wäre der graue Bart länger, sähe er aus wie ein gealterter Professor Bienlein aus «Tim und Struppi», der im Foyer des Zürcher Restaurants «Au Premier» herumhampelt.

Vier Mal Carmen

Nach der Sekundarschule begann Studler mit einer Sonderbewilligung direkt sein Studium am Konservatorium Zürich-Winterthur. Mit 19 bekam er ein Stipendium für das Pariser Konservatorium, mit 20 wechselte er nach Freiburg im Breisgau. Mit 22 begann er Wettbewerbe zu gewinnen und wurde als Soloflötist ans St. Galler Symphonieorchester berufen. Mit 23 holte man ihn ins Berner Orchester, als er 24-jährig war übertrug man ihm die Professur für Querflöte.

Studler wird dieses Jahr 62. Er ist immer noch Professor an der Hochschule für Künste Bern, Sektion Klassik, und die erste Flöte im Symphonieorchester. «Ich wollte nicht mehr weiterziehen, ich heiratete hier jung und wir hatten vier Kinder.» Bevor er am Wochenende nach Hinwil kommt, spielt Studler mit dem Orchester noch zwei Mal «Carmen». Für ihn ist es die vierte Produktion der Bizet-Oper in Bern.

«Die Angst vor Fehlern abgewöhnen»

«Ich hasse klassische Musik», sagt Studler und macht eine Kunstpause. Er scheint gespannt die Reaktion auf sein Statement abzuwarten.

«Ich hasse klassische Musik»

Christian Studler

Seine Querflöte ist mittlerweile in der Ledertasche verstaut, er hat sich an einen Tisch gesetzt. Studler kann aber auch hier nicht still sitzen. Er wechselt mehrmals in der Minute seine Sitzposition, schlägt das linke über das rechte Bein, dann das rechte über das linke. Seine Hände wedeln, kneten, fahren über die Glatze, seine Augen scheinen im Raum etwas zu suchen und nie zu finden.

«Natürlich hasse ich nicht die klassische Musik, sondern wie sie heute oft gelebt und gelehrt wird.» Motiviert vom Klavier auf die Flöte umzusteigen habe ihn als 10-Jähriger Bachs 4. Brandenburgische Konzert, sagt er. Und Bach könne ihn heute noch zu Tränen rühren. Aber: «Die Kreativität kommt in der klassischen Musik zu kurz, das macht sie tötelig.» 

Wenn ihm ein Thema genug wichtig scheint, hört er plötzlich auf, sich zu bewegen, und macht lange Pausen, in denen er die Augen aufreisst und nicht einmal mehr blinzelt.

Die Professur. Dafür schlage sein Herz. «Die Kreativität, die ich so oft vermisse, kann ich dort vermitteln – oder es zumindest versuchen.» Der erste Schritt bei vielen Studenten: «Die Angst vor Fehlern abgewöhnen. Viele sind von sehr klein auf darauf getrimmt worden, dass eine falscher Ton das Schlimmste ist.»  Fehler passierten aber nun Mal, wenn man etwas ausprobiere. «Und ausprobieren ist wichtig, sonst ist man vielleicht ein perfekter Instrumentalist, aber noch kein Musiker.  Zudem findet man nur  so heraus, worin man wirklich gut ist.»

Wenn die erste Flöte einschläft

Selber Konzerte zu geben habe er hingegen eigentlich satt. Mitglied im Orchester sei er nur noch, weil er so regelmässig zum Spielen komme, sagt Studler. «Ich bin faul. Ich brauche diesen Druck.» Er sucht einmal mehr eine neue Sitzposition und weil er sie nicht findet, unterbricht er seine Erzählung. Und ein Wenig üben müsse er schon, fährt er schliesslich fort, sonst sei es schwierig, den Studenten Lektionen zu geben.

Während Opern nicke er allerdings regelmässig ein. «Die Luft im Graben ist schlecht, zusammen mit der Musik schläfert mich das ein.» Sein System, um den Einsatz nicht zu verpassen, sei ausgeklügelt. Es besteht aus seinem Sitznachbar, der ihn wecken muss. «Nur einmal, da habe ich ein Solo verpasst während eines Balletts und die Tänzer waren dann natürlich aufgeschmissen.» Das sei ihm heute noch peinlich, sagt Studler und bedeckt seine Augen theatralisch mit der Hand.

«Die Jungen sollen an die Front»

Studlers Vorzeigebeispiel einer kreativen Studentin ist Karen Brubaker. Die Amerikanerin kommt ursprünglich aus der Klassik, mittlerweile ist ihre Spezialität Beatboxen. In die Querflöte hinein. Dazu inspiriert worden sei sie vom Beatboxer Andreas Schaerer, den Studler in seinen Unterricht eingeladen hatte. «Ist das nicht fantastisch?», fragt er und strahlt stolz.

Gemeinsam mit Brubaker auftreten zu dürfen, war seine Bedingung, um in Hinwil ein Konzert zu geben. «Ich bin alt, die Jungen sollen an die Front.»  Er freue sich aber auf den Auftritt. In der Heimat zu spielen sei speziell. «Ich hoffe, einige bekannte Gesichter zu sehen.» Ergänzt werden die zwei Flötisten von Dan Marginean am Klavier. «Nur Flöten, da würde ich mich langweilen.»

Das Konzert mit Christian Studler, Karen Brubaker und Dan Marginean beginnt am Sonntag, 15. April um 17 Uhr. Ort Veranstaltung ist der Mehrzweckraum im dritten Stock des das Areals im Tobel in Hinwil. Der Eintritt ist frei, es gibt eine Kollekte. Weitere Infos unter www.areal-im-tobel.ch

 

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