Politik

«Soziale Medien sind die Zuckerwatte der Kommunikation»

Der «Szeni» Rainer Kuhn gründete in den 90er Jahren das Magazin Kult, zwei Jahre lang führte er die Gemeindezeitung «Maurmer Post». Jetzt bringt er ein neues Live-Album heraus. Im Interview spricht er über Medien, Musik und die Gemeinde Maur.

Rainer Kuhn beim Abmischen seines neuen Live-Albums. (Foto: Deborah von Wartburg), Rainer Kuhn beim Abmischen seines neuen Live-Albums. Hier mit Cyrill Camenzind vom Powerplay Tonstudio in Maur. (Foto: Deborah von Wartburg)

«Soziale Medien sind die Zuckerwatte der Kommunikation»

Rainer Kuhn steht vor den Powerplay-Tonstudios in Maur und blickt auf den Greifensee. Er trägt eng anliegende, löchrige Jeans, ein schwarzes Jacket und fingerlose Handschuhe. Vor dem Interview raucht er noch schnell eine Zigarette. Das glatte, schulterlange Haar trägt er offen, so dass es ihm beim Reden immer wieder ins Gesicht fällt.

Herr Kuhn, vor zwei Jahren haben Sie bei der Maurmer Post gekündigt, wie leisten Sie sich dieses Luxusstudio, wo schon Grössen wie Lenny Kravitz und Lady Gaga aufgenommen haben?

Rainer Kuhn: Ich arbeite. Immer noch in meiner Kommunikationsagentur. Die läuft ganz gut, dazu kommen Auftrittsgagen und Bücher. Das letzte war eine Gesprächsbiographie der erfolgreichsten Musikproduzenten der Schweiz.

Sie mischen gerade ein neues Album ab. Was darf man erwarten?

Es ist ein Live-Album meiner Band «Beglinger and the moonshine Band» von unserem letzten Konzert im Kaufleuten Ende Jahr. Meine Musik lehnt sich an jener der Singer/Songwriter aus den späten 60ern, frühen 70ern an. Ich mache das, was ich selber auch gerne höre.

Mit dem Song «I am the moon» haben Sie sich für den Eurovision Song Contest beworben. Was sind die Ambitionen beim neuen Album?

Gute Musik zu machen. 2018 sind ein paar Konzerte geplant. Ansonsten schaue ich einfach mal, was passiert.

Zum Lied:

Warum gerade ein Live-Album?

Weil es echt ist. Eine Live-Aufnahme zeigt authentisch die Musik und die Stimmung eines Abends. Dass dabei auch mal Fehler passieren, ist mir ehrlich gesagt egal.

Sie waren zwei Jahre Chefredaktor der Maurmer Post. Damals hiess es, die Kündigung wurde Ihnen vom Gemeinderat nahegelegt. Wie ist es für Sie, jetzt in Maur zu sein?

Mein Engagement für die Maurmer Post ist Geschichte. Ich habe sie zwei Jahre lang gemacht. Ich hatte die Zeitung inhaltlich und formal ziemlich umgekrempelt und immer auf die Unabhängigkeit der Redaktion gepocht.

 

Das ist dann halt nicht überall gut angekommen. Trotzdem habe ich die Maurmer Post gern gemacht. Sie bringt die Menschen zusammen. Lokalzeitungen sind die letzte Bastillon des Journalismus. Auch wenn sie nicht konfrontativ ist. Anstatt den Finger in die Wunde zu legen, klebt sie ein Pflaster darauf. Wäre die Gemeindezeitung eine Musikrichtung, wäre sie wohl Schlager.

«Anstatt den Finger in die Wunde zu legen, klebt eine Lokalzeitung ein Pflaster darauf.»

Rainer Kuhn, Publizist und Musiker

Welches Blatt wäre Ihre Musik in dieser Analogie?

Gar keine. Die Medienlandschaft von heute bietet leider keine Vielfalt mehr. Alle schreiben voneinander ab. Natürlich haben sie es auch nicht leicht. Es gibt heute eine Diskrepanz zwischen Lesermarkt und Werbemarkt. Die wandern immer mehr ins Internet ab. Die Zeitungen sparen sich kaputt, woraufhin sie natürlich nicht besser werden.

Das ist ein pessimistischer Blick auf die Medienlandschaft. Es gibt ja auch Erfolgsgeschichten.

Klar gibt es immer wieder Versuche und neue Konzepte wie aktuell zum Beispiel die Republik. Man wird sehen, was sich daraus entwickelt. Für mich persönlich sind Medien heute einfach nicht mehr interessant.

Und die sozialen Medien?

Am Anfang dachte ich, Facebook und Co wären eine Chance für die Gesellschaft. Ich sagte mir: «Toll. Eine Plattform, auf der sich jeder äussern kann.» Weniger Mauern, mehr Dialog. Aber leider ist das Gegenteil eingetroffen.

Man kann auf den sozialen Medien kaum mehr Debatten führen, weil die Leute dort die Meinungen, die ihnen gefallen, hochloben und alles andere niederstampfen. Alles wird extremer. Für mich sind soziale Medien die Zuckerwatte der Kommunikation: Kurzer Kick und das wars dann. Man bleibt mit leerem Magen zurück.

Weshalb sind Sie denn überhaupt Journalist geworden?

Ich habe mich nie wirklich als Journalist verstanden. Ich habe einfach gerne geschrieben. In jungen Jahren habe im Kino den Film «All the Presidents Men» zur Watergate-Affäre gesehen. Das hatte mich beeindruckt. Ich wollte so sein, wie Dustin Hoffman.

 

Als ich das «kult» herausgab, ging es mir dann vor allem um Authentizität. Auch formal. Wir haben quasi die gesprochene Sprache geschrieben und so eine viel direktere Sprache in ein Medium gebracht. Ich fand einfach, so wie in den Zeitungen redet ja kein Mensch. Es ging am Ende um Werte wie Authentizität und Freiheit. Wenn ich mich zwischen Sicherheit und Freiheit entscheiden muss, wähle ich immer die Freiheit. Und es ging auch um die Pflicht, Dinge und Geschehnisse zu hinterfragen. Das sind auch die Werte, die ich meinen Kindern zu vermitteln versuche.

«Wenn ich mich zwischen zwischen Sicherheit und Freiheit entscheiden muss, wähle ich immer die Freiheit.»

Wie machen Sie das?

Vor kurzem sollte mein zwölfjähriger Sohn in der Schule ein Land vorstellen. Er wählte Nordkorea. Ich hab ihn gefragt, warum. Er meinte, weil da so ein verrückter Diktator sei und so. Da hab ich gefragt: Woher willst du das denn wissen? Darauf er: Das sagen doch immer alle. Da habe ich ihm gesagt, dass man vorsichtig sein soll mit Sachen, die man so hört. Dass er sich seine eigenen Gedanken machen soll, dass er nachforschen muss, wer dieser Präsident ist, wie seine Vorgänger waren, was sie dort essen, welche Feiertage sie haben. Ich sagte ihm, er solle Fragen stellen, wenn er etwas nicht versteht. Bis er es versteht. News und Geschwätz sind schlechte Lehrer.

Und Sie konsumieren gar keine Medien?

Nein. Ich habe keine Zeitung abonniert. Manchmal gucke ich dafür einen ganzen Nachmittag lang «Modern Family» auf Netflix.

Vermissen Sie das Schreiben nicht?

In gewisser Weise schreibe ich als Musiker immer noch: Nämlich Songs. Der Textstil ist vielleicht ein bisschen anders. Wenn ich Lieder schreibe, gehe ich fragmentarischer vor. Aber ich vermisse die Medienlandschaft nicht. Die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, sind jetzt viel angenehmer.

Wieso? Im Showbusiness sind die Menschen doch auch nicht immer einfach.

Die Medienlandschaft ist mir zu hitzig geworden. Sie widmet sich zurzeit vor allem dem Befeuern von niederen Instinkten wie Empörung und Wut. Die Toleranzgrenze zu anderen Weltanschauungen ist generell gesunken. Andauernd fühlt sich irgendwer wegen irgendetwas «offended». Ich hab keinen Bock mehr auf diese Diskussionen. Ich wollte mich etwas Positivem zuwenden. Bei der Musik geht es um das Verbindende, nicht um das Trennende. Wenn einer eine andere politische Meinung hat, sage ich: «Na und? Fuck it, lass uns Musik machen».

Zur Person:

Rainer Kuhn gründete in den 90ern das Magazin «kult» und war von Anfang 2014 bis Ende 2015 Chefredaktor der «Maurmer Post». Vor zwei Jahren bewarb er sich mit seiner Gruppe «Beglinger and the Moonshine Band» für den Eurovision Song Contest, kam jedoch nicht in den Expertencheck. Nach wie vor ist Kuhn in seiner Kommunikationsagentur tätig, gab kürzlich das Buch «Hitmill – Ein Blick hinter die Kulissen der Schweizer Hitfabrik» heraus, in welchem er Schweizer Musikproduzenten in Gesprächen biografisch portraitiert. Der 56-Jährige lebt mit seinen drei Kindern und seiner Partnerin in Pfaffhausen.

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