Politik

Wehmut und Hoffnung bei «Sternen»-Wirtin

Vor einem Jahr brannte das Gasthaus Sternen in Sternenberg bis auf die Grundmauern nieder. Wirtin Marianne Brühwiler verlor alles – bis auf ihr Leben. Zum Jahrestag blickt sie noch einmal zurück und in die Zukunft.

Das Leben geht weiter: Ein Jahr nach dem Brand im «Sternen» empfängt Wirtin Marianne Brühwiler wieder Gäste im neuen Provisorium. (Bild: David Kündig), Das Leben geht weiter: Ein Jahr nach dem Brand im «Sternen» empfängt Wirtin Marianne Brühwiler wieder Gäste im neuen Provisorium. (Bild: David Kündig), Vor einem Jahr brannte der Gasthof Sternen komplett aus. (Bild: Kapo), Stundenlanger Feuerwehreinsatz: Als Marianne Brühwiler mit ihrer Tochter am Morgen nach dem Brand in Sternenberg eintraf, war von ihrem Restaurant nur noch ein rauchender Trümmerhaufen zu sehen. (Archivbild: Seraina Boner), Stundenlanger Feuerwehreinsatz: Als Marianne Brühwiler mit ihrer Tochter am Morgen nach dem Brand in Sternenberg eintraf, war von ihrem Restaurant nur noch ein rauchender Trümmerhaufen zu sehen. (Archivbild: Seraina Boner), Stundenlanger Feuerwehreinsatz: Als Marianne Brühwiler mit ihrer Tochter am Morgen nach dem Brand in Sternenberg eintraf, war von ihrem Restaurant nur noch ein rauchender Trümmerhaufen zu sehen. (Archivbild: Seraina Boner), Stundenlanger Feuerwehreinsatz: Als Marianne Brühwiler mit ihrer Tochter am Morgen nach dem Brand in Sternenberg eintraf, war von ihrem Restaurant nur noch ein rauchender Trümmerhaufen zu sehen. (Archivbild: Seraina Boner), Stundenlanger Feuerwehreinsatz: Als Marianne Brühwiler mit ihrer Tochter am Morgen nach dem Brand in Sternenberg eintraf, war von ihrem Restaurant nur noch ein rauchender Trümmerhaufen zu sehen. (Archivbild: Seraina Boner), Vor einem Jahr: Marianne Brühwiler am Tag nach dem Brand. (Archivbild: Seraina Boner), Vieles in der neuen Provisoriums-Gaststube erinnert an den alten «Sternen». (Bild: David Kündig), Dank dem provisorischen Anbau an der ehemaligen Dependence, konnte Sternen-Wirtin Marianne Brühwiler den Betrieb im letzten Frühling wieder aufnehmen. (Bild: David Kündig)

Wehmut und Hoffnung bei «Sternen»-Wirtin

Am liebsten hätte Marianne Brühwiler, wenn der 19. Dezember ganz schnell vorüber ginge. Seit Wochen blickt sie dem Tag mit einem mulmigen Gefühl entgegen. Vor einem Jahr, in der Nacht vom 18. auf den 19. Dezember 2016, brannte der altehrwürdige Gasthof Sternen in Sternenberg nieder. Sie, die das Restaurant führte und mit ihrer Tochter in einer Wohnung über der Gaststube wohnte, verlor nicht nur gesamtes Hab und Gut, sondern auch ihre berufliche Existenzgrundlage. 

Trotzdem will sie den 19. Dezember nicht einfach aus ihrer Agenda streichen. «Meine Tochter und ich wollen diesen Tag in Erinnerung behalten und auch gemeinsam begehen», erzählt die 48-Jährige. «Wir gehen zusammen schön essen. Denn trotz allem ist es für uns ein spezieller Tag.» Brühwilers hatten Glück im Unglück: Während es im Sternen lichterloh brannte, weilten Mutter und Tochter in Österreich. Sie hatten ein Wellnesswochenende geplant. Doch bereits in der ersten Nacht kam der Anruf, der ihr Leben veränderte. Am Telefon war ihre Schwester: «Marianne, dein Haus brennt.» 

Wie in einem schlechten Film

Brühwiler und ihre Tochter kamen am nächsten Morgen in Sternenberg an. Zu diesem Zeitpunkt war der Brand, der kurz vor Mitternacht ausgebrochen war, bereits gelöscht, vom ursprünglich stattlichen Haus waren nur noch die Grundmauern übrig geblieben. Ein schrecklicher Anblick. «Ich bin froh, dass ich nicht live gesehen habe, wie es brannte», sagt Brühwiler heute. «Die Fotos und Videos, die man mir gezeigt hat, haben mir gereicht.» Zuerst habe sie gar nicht realisiert, was passiert sei. Sie sei sich vorgekommen, wie in einem Traum oder einem schlechten Film. «Erst als ich am Abend bei meinen Eltern in meinem Kinderzimmer lag und die Lampe aus meinen Kindertagen an der Decke anschaute, verstand ich, dass es den Sternen nun wirklich nicht mehr gibt.»

 

21 Jahre lang hatte Brühwiler im Sternen gewirtet, zuerst zusammen mit ihrem damaligen Mann, nach der Scheidung im Jahr 2006 alleine. Unter ihrer Leitung wurde der «Sternen» zu einem angesehen und weit herum bekannten Restaurant. Zur Bekanntheit trug auch der Film «Sternenberg» mit Mathias Gnädinger bei, der teilweise im Restaurant spielt. Der «Sternen» war Marianne Brühwilers Existenz. Trotzdem hat sie im letzten Dezember nur wenige Tränen vergossen. Wenige Monate zuvor war ihre langjährige Beziehung in die Brüche gegangen. Da habe sie so viel geweint, dass sie irgendwann keine Tränen mehr gehabt habe. «Mehr trauern konnte ich gar nicht mehr.» 

Stark sein für die Anderen

Ausserdem musste sie für ihre Angestellten stark sein und für ihre erwachsene Tochter. Im Feuer war deren Katze ums Leben gekommen, und auch sonst habe sie mit der Situation zu kämpfen gehabt. «Wenn Schnee fiel und sie mit dem Auto von der Arbeit nach Sternenberg hochgefahren kam, rief sie mich oft an und sagte «Mama, es schneit in unser Haus hinein»«, erzählt Brühwiler. «Dabei war da nur noch eine Brandruine.» 

 

Zu Tränen gerührt habe sie vor allem die Anteilnahme, die sie erfahren hätten. «Immer wieder wurde mir ein Hunderternötli zugesteckt, wenn ich irgendwo einkehrte, um einen Kaffee zu trinken. Die Leute schenkten mir Kleider, schrieben Briefe und Mails.» Nicht immer war es leicht für sie, dies anzunehmen. Und dass die Leute sie teilweise für ihre Stärke bewunderten, sei ihr gar nicht recht gewesen. «Für mich war es selbstverständlich, dass ich mich am Riemen reisse und weitermache.» Sie musste mit den Brandermittlern die Ruine abschreiten, musste mit der Versicherung verhandeln, musste schauen, wie es weitergeht. 

Tragödie als Motivationsschub 

Zusammen mit ihrer Tochter fand sie in einem als Ferienhaus genutzten Gebäude Unterkunft. Und auch der Sternen sollte irgendwie weiterleben, das war der Wirtin aus Leidenschaft schon kurz nach dem schlimmen Ereignis klar. Statt in Selbstmitleid oder Lethargie zu versinken, packte Marianne Brühwiler mit ihrer ganzen Energie mit an. Sie funktionierte den Saal mit Bühne im Haus neben dem Sternen zu einem Restaurant um, die Küche wurde in einem neuen Anbau untergebracht. Im Mai eröffnete der «neue» Sternen und statt mit einem Jungkoch, wie bis anhin, stand die gelernte Köchin nun alleine in der Küche. «Ich hatte einen regelrechten Motivationsschub», erzählt sie. «Bis dahin lief alles in geordneten Bahnen, teilweise auch ein wenig festgefahren. Wir wurden durch den Brand regelrecht wachgerüttelt.» 

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten läuft der Betrieb nun wieder. «Und zwar sogar ein bisschen besser als vorher», sagt Brühwiler. Mittlerweile denkt sie nicht mehr jeden Tag an früher und an den Brand zurück. «Es ist besser, seit im Juni alles abgerissen und weggeräumt wurde», erzählt die kleine Frau mit der starken Ausstrahlung. «Bis dahin wurden wir durch die Brandruine, die nach Rauch stank, ständig daran erinnert.» Auch die Tochter habe das Ganze mittlerweile gut verarbeitet. 

Warum es brannte, weiss man bis heute nicht. Brandstiftung wurde jedoch bald ausgeschlossen. «Das hat mich sehr erleichtert», sagt Brühwiler. «Ich vermute, es war irgend etwas mit dem Strom.» Sie sei sehr ängstlich und vorsichtig geworden, was den Umgang mit Feuer angehe. 

Wehmut bleibt

Was Marianne Brühwiler schon wenige Tage nach dem Brand ankündigte, setzt sie nun in die Tat um. Sie baut den Sternen wieder auf. «Es bricht eine neue Ära an», sagt sie. «Ein neuer Sternen, ein neues Leben.» Sie holt die Pläne für den Neubau hervor. Ganz ähnlich wie der niedergebrannte Gasthof wird der Neue aussehen, damit er ins Ortsbild passt. Mit Schindeln an den Aussenwänden und einem Kreuzfirst. Und er wird an der gleichen Stelle stehen. Nur ein wenig kleiner als der alte Sternen soll er werden – wegen dem Geld. Brühwiler nahm bei der Bank eine Hypothek auf, wie viel der Neubau kosten wird, kann sie noch nicht sagen. 

 

Regelmässig hat sie Sitzungen mit dem Architekten, um beispielsweise Strom, Technik und Lüftung zu besprechen oder die Küche zu planen. Diese werde hochmodern, ansonsten will sie wieder etwas vom alten Charme in den neuen Sternen bringen. «Vielleicht mit Holzbalken und Schindeln im Innenraum.» Vom alten Sternen sind einzig die Haustüre und das Schild übrig geblieben – beides wird in den Neubau integriert. Momentan seien sie dabei die Baueingabe vorzubereiten. Wenn alles reibungslos läuft, könnte im Sommer mit dem Bau begonnen werden. 2019 soll der neue Sternen fertiggestellt sein. 

Sie sei nicht ungeduldig. «Es soll etwas Gescheites geben», sagt Brühwiler. «Deshalb lasse ich mir lieber Zeit und überstürze nichts.» Neben zwei Zimmern zum Übernachten soll es im neuen Sternen auch zwei Wohnungen haben, dazu eine Wohnung für Marianne Brühweiler. Sie hat sich vorgenommen, nicht mehr so viel Mobiliar und Kleinkram anzuschaffen. «Auch wenn mir einiges von früher fehlt, hat es auch etwas befreiendes, wenig zu besitzen.» 

Obwohl Marianne Brühwiler Stärke, Mut und Lebensfreude ausstrahlt, gibt es auch eine andere Seite. Diese zeigt sie aber nur selten. «Manchmal schmerzt es immer noch», sagt sie und wischt sich mit der Hand über die Augen. «Wenn ich an früher denke, werde ich sehr wehmütig.» 

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