«Ein Instrument spielen ist Prävention»
«Keine Zukunft für die Blockflöte» lautete der Titel eines Artikels im ZO/AvU Mitte Oktober. Claire Schmid hat die Lektüre zuerst traurig gemacht – und dann wütend. «Klar stimmt es, dass immer weniger Kinder Blockflöte spielen», sagt die ehemalige Blockflötenlehrerin aus Lindau. «Aber an dieser Entwicklung sind die Schulen und die Musikschulen mit schuld.»
Der Artikel zeigte am Beispiel der Stadt Uster auf, dass der Blockflötenunterricht an der Schule stetig an Popularität verliert. Generell gilt das «Schulblockflötlen» bei Fachleuten als nicht mehr zeitgemäss. Eine Einschätzung, der Claire Schmid entschieden widerspricht.
Frau Schmid, die meisten Kinder wollen nicht mehr Blockflöte spielen. Können Sie nicht es akzeptieren, wenn sich Vorlieben ändern? Claire Schmid: Ich glaube nicht, dass Kinder plötzlich nicht mehr gerne Blockflöte spielen. Aber der Schulblockflötenunterricht wurde unattraktiver gemacht. So hat man ihn an die Randzeiten gedrängt, wo er mit einem immer grösseren Angebot an Freizeitaktivitäten konkurrieren muss. Vor allem aber sind die Preise vielerorts gestiegen, als die Schulen den Blockflötenunterricht an die Musikschulen ausgelagert haben.
In Uster sorgen Subventionen dafür, dass der Blockflötenunterricht günstig bleibt. Trotzdem hat die Anzahl Blockflötenschüler einen Tiefststand erreicht.
Es kommt auch darauf an, wie man Werbung macht für ein Instrument. In Rheinfelden zum Beispiel hat eine Lehrerin eine obligatorische Schnupperlektion für alle durchgeführt, danach haben sich 45 von 54 Kindern angemeldet. Das spricht doch für sich. Der Unterricht findet in der Klasse statt, während des Unterrichts.
Sollen Kinder wieder fast zur Blockflöte genötigt werden, obwohl sie lieber Cello spielen wollen?
Sie wurden nie genötigt, die Anmeldungen waren immer freiwillig. Aber sicher wird sich der Cellolehrer freuen, wenn die neue Schülerin bereits eine Ahnung hat von Rhythmus, vom Notenlesen und so weiter. Der Einstieg in dieses schwierige Instrument wird einfacher und die Schülerin kommt danach schneller voran.
«Es braucht Fleiss und Disziplin, um Erfolg zu haben.»
Die Blockflöte als Einsteigerinstrument – viele Fachleute sehen das kritisch. Die Kinder sollen mit jenem Instrument anfangen, dass ihnen am meisten zusagt, lautet heute der Tenor.
Ich verstehe nicht, was dagegen spricht, die Blockflöte als Einsteigeinstrument zu nutzen. Die Kinder lernen Notenlesen und sie erfahren, wie es ist, ein Instrument zu spielen. Bei manchen wird die Freude daran auch erst geweckt. Warum müssen grundlegende musikalische Begriffe in teuren Einzellektionen vermittelt werden, wenn es einfacher geht?
Gegenfrage: Warum soll man ein bestimmtes Instrument bevorzugen? In der musikalischen Grundausbildung lernen die Kinder auch Noten lesen und können verschiedene Instrumente ausprobieren.
Ich habe nichts gegen die musikalische Grundausbildung. Ein Instrument zu erlernen ist aber etwas anderes und vermittelt andere, weiterreichende Fähigkeiten. Zum Beispiel das Üben. Und damit verbunden die Erkenntnis, dass es Fleiss und Disziplin braucht, um Erfolg zu haben. Ausserdem können Kinder eine Beziehung zu einem Instrument aufbauen. Ein Mädchen hat mir mal erzählt: «Gestern kam mein Vater so lange nicht nach Hause. Ich habe gewartet und war traurig. Dann habe ich die Flöte genommen und einfach gespielt – da ging es mir besser.»
Aber nochmals: Warum soll ein Kind zuerst Blockflöte lernen, wenn es Cello spielen will?
Ich als Mutter würde zu meinem Kind sagen: Bevor wir dir ein Cello mieten und dich für 600 Franken pro Semester in den Einzelunterricht schicken, schau doch mal, ob das mit dem Üben klappt.
Vielleicht würde das Kind Cello üben, aber nicht Flöte. Besteht nicht die Gefahr, dass Kinder auf diese Weise ein Instrument als Zwang erleben und nie mehr eins lernen wollen?
Will ein Kind unbedingt Cello lernen, wird es das auch noch nach ein oder zwei Jahren Blockflöte wollen. Im Gegenteil: Wird zu früh mit einem schwierigeren Instrument begonnen, ist es oft so, dass die Kinder nicht durchhalten, wieder damit aufhören und das war es dann. Natürlich sind auch immer die Eltern gefragt. Ich kenne nur wenige Kinder, die von sich aus üben.
«Der Blockflötenunterricht sollte besser Teil der Schule werden.»
Warum halten Eltern heute ihre Kinder eher zum Geigen- oder Klavierspielen an, statt zur Blockflöte?
Es ist leider so, dass heute fast nur noch Kinder aus bildungsbürgerlichen Elternhäusern ein Instrument spielen. Und dort wird die Blockflöte oft nicht als «richtiges» Instrument angesehen. Geige, Cello oder Klavier klingt eben nobler. Der Blockflötenunterricht in der Schule war immer auch eine Möglichkeit für Kinder aus weniger begüterten Verhältnissen, ein Instrument zu erlernen.
Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, damit der Blockflötenunterricht in der Schule wieder an Popularität gewinnt?
Man müsste ihn wieder in die Schule integrieren. Der Niedergang hat ja angefangen, als der Blockflötenunterricht an die Musikschulen ausgelagert wurden, auch wenn er weiterhin im Schulhaus stattfindet. Das war Sparen am falschen Ort! Der Blockflötenunterricht sollte besser Teil der Schule werden.
Wie soll das gehen? Es gibt an der pädagogischen Hochschule keine Ausbildung zur Blockflötenlehrerin.
Dann müsste man einen solchen Kurs einführen. Für den Blockflötenunterricht an der Schule braucht man kein Konzertdiplom. In der Gemeinde Neuenhof im Kanton Aargau etwa ist es seit Jahren Tradition, dass die Lehrer mit den Schülern im Klassenverband Blockflöte lernen. Wie mir eine Lehrerin gesagt hat, gefällt es drei Vierteln der Schüler sehr gut. Die Neuenhofer haben es kapiert: Ein Instrument spielen ist Prävention. Ein ehemaliger Schüler von mir hat mir als erwachsener Mann gesagt: «Mit der Flöte hat es angefangen. Jetzt spiele ich in einer Band und dank der Musik bin ich nicht auf die schiefe Bahn geraten.»