Politik

Stiller Has: «Wir Schweizer leben in einer Wellnesszone»

Stiller Has, am 29. April live im Salzhaus Winterthur, präsentiert sich auf dem neuen Album «Endosaurusrex» als Mundart-Urviech im frischen Sound-Gewand. Frontmann Endo Anaconda (61) im Gespräch.

Stiller-Has-Frontmann Endo Anaconda steht am 29. April auf der Salzhausbühne. Bild: Pressefoto

Stiller Has: «Wir Schweizer leben in einer Wellnesszone»

Weshalb hat der «Endosaurusrex» sein Jagdrevier vor einen Jahr aus Bern nach Trub verlegt?

Endo Anaconda: Als Landei fühle ich mich im Emmental wohl und konnte dort an den Texten für die Lieder meines neuen Albums schreiben, ohne dauernd gestört zu werden.

Im Titelsong bezeichnen Sie sich als letzten Ihrer Art. Fürchten Sie momentan mehr den eigenen Tod oder das Aussterben der gesamten Menschheit?

Mein Ansatz ist schon universell. Wir leben in der Schweiz in einer Wellnesszone, einem kleinen geschützten Rahmen, während die Gesamtsituation der Welt – ökologisch und politisch – hochbrisant ist. Und je grösser die globalen Probleme werden, desto mehr sind wir in unserer Panik auf den eigenen Bauchnabel fixiert.

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Überlegten Sie schon, wie in «Zwärge» aus dem Land hinter den Bergen, wo Cowboys zu Gartenzwergen werden, zu fliehen?

Mir geht es nicht ums physische Auswandern, sondern um die geistige Haltung. Statt zu protestieren und sich zu engagieren, ziehen sich die Menschen ins Private zurück, sind mehr daheim, backen Cupcakes oder kaufen Kochbücher, obwohl sie nicht kochen.

Im träfen und eingängigen Sittenbild «Hung» singen Sie «dr Mönsch sehnt sich nach Katastrophe, hauptsach me isch nid betroffe»…

Wir sind bereits daran gewöhnt, dass Klima und Finanzen global funktionieren, aber unser Mitgefühl ist noch national oder regional begrenzt.

Haben Sie das Lied nicht auch unter dem Eindruck der Terroranschläge in Paris geschrieben?

Ich war natürlich geschockt, mehr als wenn in Kabul eine Autobombe explodiert. Besonders betroffen war ich, weil ausgerechnet ein Musikclub ins Visier genommen wurde. Schliesslich wollen wir Kulturschaffenden die Menschen zusammenbringen und nicht aufhetzen wie so manche Politiker, welche die Burka-Debatte für ihre Propaganda missbrauchen, obwohl diese fast nur von muslimischen Frauen in Saudi-Arabien getragen wird oder von zahlungskräftigen Touristinnen in Inter-
laken. Wir haben auch keine Flüchtlingskrise, die Flüchtlinge stecken in einer Krise!

Wie viel entsteht in Ihrer Kunst aus dem Moment, wie viel ist harte Knochenarbeit?

Zu jedem Songtext führe ich ein Dossier, wobei 80 Prozent der Ideen, die ich darin gesammelt habe, Müll sind. Ich finde, dass gute Texte Kontrapunkte brauchen und vielschichtig sein müssen. Wenn Leute sich beklagen, dass sie nicht verstehen, was ich meine, antworte ich, dass sie jeder selbst deuten soll. «Auf der Blüemlisalp ist es schön und es hat Kühe», ist eine klare Aussage, doch sie berührt mich nicht. Spannend finde ich Werke wie «Der kleine Prinz» oder «Der Fänger im Roggen». Sie haben meinen Nerv getroffen.

Hat sich der kreative Prozess durch Ihre neuen musikalischen Partner verändert?

Das Texten nicht, aber die Aufnahme der Platte schon. Während wir früher mit dem Kassettenrekorder geprobt hatten, verfügen Roman Wyss und Mario Batkovic beide über moderne Highend- Studios. So konnten wir viel rationeller arbeiten und hatten mehr Zeit, in die Details zu gehen. Die Gesänge waren jedoch fast alle «first takes».

Die Technik war aber wohl nicht der einzige Grund?

Nein, als ich mich von der Operation meines Nebennierentumors erholt hatte und viele Texte schrieb, hatte Schifer Schafer, mit dem ich seit 16 Jahren zusammen- arbeitete, gesundheitliche Pro-bleme. Ausserdem ist er keine Maschine, die auf Befehl Musik ausspucken kann. Obwohl sich nun die Zusammenarbeit mit Roman und Mario ergeben hat, schliesse ich nicht aus, zum Konzept einer Bluesrock-Band zurückzukehren. Schifer und ich haben auch keinen Krach, obwohl gewisse Leute natürlich sofort Verrat witterten …

«Endosaurusrex» klingt zugänglicher als die Vorgänger. Auch live?

Das Quartett, mit dem ich toure, ist mehr ein Orchester als eine Band. All diese Phantasien von Sex, Drugs & Rock’n’Roll gehören für mich der Vergangenheit an. Ich kann arrangieren, habe ein gutes Rhythmusgefühl, aber ich bin kein Musiker, sondern ein Sänger, der vor allem seine Texte rüberbringen will. Dieter Meier hat dazu einmal gesagt, er bewundere, wie ich mich durch meine Geschichten rasple. Zuerst wurde ich hässig, aber dann sagte ich mir: Er hat recht. Ich bin ein Erzähler und kein wahnsinniger Sänger. Zumindest kein Stimmvirtuose … Interview: Reinhold Hönle

 

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