Kultur

Drehbuchautorin mit Oberländer Wurzeln

Der Film, der von Dübendorf inspiriert wurde

Mit 15 kam Olga Dinnikova aus Israel nach Dübendorf. Der Umzug und die Integration war für sie nicht leicht - jetzt veröffentlicht sie einen Film darüber.

Filmemacherin Olga Dinnikova verbrachte in Dübendorf viel Zeit am Wasser und schrieb Gedichte.

Foto: Fiorella Koch

Der Film, der von Dübendorf inspiriert wurde

Vor 25 Jahren immigrierte Olga Dinnikova in die Schweiz und wurde in Dübendorf integriert. Jetzt verarbeitet sie die Erlebnisse in ihrem Debütfilm.

Mit 15 Jahren sass Olga Dinnikova in einem kleinen Zimmer in Israel, mit Kopfhörern auf den Ohren und einer Kassette im Walkman. Darauf lief ein Deutschkurs – für sie die Tür zu einer anderen Welt. Nämlich in die Schweiz.

«Meine Mutter hat mich nicht gefragt, ob ich auswandern wollte», sagt sie heute. Aber trotzdem begann dort ihre Reise von der Küstenstadt Netanja nach Dübendorf. Und über einige Umwege ins Kino.

Denn heute ist Dinnikova Drehbuchautorin und Regisseurin. Und Erzählerin ihrer eigenen Geschichte: In ihrem Debütfilm «Behind the Glass» verarbeitet sie die Bruchstücke ihrer Jugend, die von Umzügen, Sprachwechseln und Einsamkeit geprägt war.

Der Film, der am 19. Juni in die Schweizer Kinos kommt, handelt von der alleinerziehenden Mutter Anna und ihrer Tochter Lena in Lettland. Als die 15-Jährige den Drogen verfällt und von einem Dealer bedroht wird, müssen sie in die Schweiz zu einer Verwandten flüchten.

Zwei Heimaten zurückgelassen

Viel von dieser Geschichte hat die heute 40-Jährige aus ihrem eigenen Leben abgeleitet. In Riga geboren, musste sie ihre Heimat mit zwölf Jahren verlassen. Sie erlebte die Folgen der Abspaltung Lettlands von der UdSSR hautnah: Arbeitslosigkeit, Unsicherheit – und als russisch-ukrainische Jüdin auch Anfeindungen.

Drei Jahre verbrachte sie danach mit ihrer alleinerziehenden Mutter in Israel, wo sie Freunde und ihre erste Liebe fand. Das wurde ihr erneut entrissen, als ihre Mutter mit ihrem neuen Mann in die Schweiz zog. Ihr Stiefvater behandelte die beiden schlecht und liess sie anschliessend im Stich, was den Ausländerinnen die Integration nicht leichter machte.

Der Film greift einzelne Aspekte von Olga Dinnikovas Lebensweg auf: Dinnikova war in Israel oft draussen unterwegs, rauchte und trank. Lena stürzt sich mit ihrer besten Freundin in Lettland in die Partys und die Drogen. Dinnikova wie Lena mussten ihre Heimat zurücklassen, beide waren plötzlich allein mit ihrer Mutter in einem fremden Land. Wie Dinnikova verbringen Lena und ihre Mutter in der Schweiz Zeit mit einem Mann, der es nur am Anfang gut mit ihnen meint.

Kultur aus Lettland und der Schweiz

Der Debütfilm «Behind the Glass» von Olga Dinnikova ist eine Co-Produktion von SRF, Snakefilm Zürich und Tasse Film Riga. Gedreht wurde er in Riga sowie an verschiedenen Schauplätzen in der Schweiz.

Finanziell unterstützt wurde das Projekt vom Bundesamt für Kultur, von der Zürcher Filmstiftung, dem Kuratorium Aargau und Suissimage. Neben der ukrainischen Hauptdarstellerin stand der Schweizer Schauspieler Marcus Signer, der zuletzt als Privatdetektiv Philip Maloney im TV zu sehen war, vor der Kamera. Am 19. Juni wird der Film das erste Mal im Kino gezeigt.

Viele Szenen im Film sind von Dinnikovas Leben in Dübendorf inspiriert. «Zum Beispiel konnte ich mit 15 im damaligen Club Viper arbeiten. Ich habe Aschenbecher geleert und Flaschen eingesammelt.» Auch dieser Club findet sich im Film wieder.

Mit der Stadt, in der sie fünf Jahre lebte, verbindet sie vieles. «Wenn ich hier bin, werde ich sehr nostalgisch», sagt sie. «Ich verspüre auch viel Dankbarkeit.» Besonders gegenüber dem Sozialamt Dübendorf, das ihr und ihrer Mutter damals eine Wohnung verschaffte und ihr ein SBB-Abo zahlte, damit sie zu ihrer Lehrstelle und in die Berufsschule fahren konnte.

Ein Traum um jeden Preis

Von da war es aber noch ein langer Weg bis zu ihrem ersten Film. Eigentlich war es Dinnikovas grösster Traum, Schauspielerin zu werden. «Das Erste, was ich in der Schweiz tat, war bei einer Schauspielschule anzurufen», erinnert sie sich. «Ich wollte wissen, was ich tun muss, um dort studieren zu können.»

Perfektes Hochdeutsch sprechen und 18 Jahre alt sein, war die Antwort. Dinnikova nahm sich das zu Herzen. Sie besuchte die Integrationsklasse in Wetzikon, das 10. Schuljahr in Uster, machte eine zweijährige Verkaufslehre und gab ihr Bestes, Deutsch zu lernen. Daneben arbeitete sie in vielen Nebenjobs, um die teure Schauspielschule finanzieren zu können.

In den ersten paar Jahren in der Schweiz war sie viel allein. «Ich fühlte mich oft einsam, verbrachte viel Zeit am Wasser und schrieb Gedichte.» Ihre Mutter und ihr Stiefvater überliessen sie sich selbst. Als ihr Stiefvater die Familie verliess, wurde sie zur Übersetzerin, Psychologin und Beraterin ihrer Mutter. Dinnikova sagt: «Da sie kein Deutsch sprach, kehrte sich unser Mutter-Tochter-Verhältnis um.»

Das harte Brot der Schauspieler

Danach zog sie nach Zürich, studierte endlich Schauspiel. Doch der Berufseinstieg war ernüchternd: «Man sagte mir, ich müsse perfektes Bühnendeutsch beherrschen. Aber wegen meines Namens wurde ich fast nur für russische Rollen gecastet.» Also musste sie einen russischen Akzent erlernen.

«Das war eine deprimierende Zeit. Obwohl ich so viel investiert habe, kam so wenig dabei raus», sagt sie. Um ihre Gagen aufzubessern, kellnerte sie nebenbei.

So beschloss sie, Film zu studieren. Bereits während des Studiums begann sie mit dem Drehbuch für ihren Film «Behind the Glass». Mit Unterbrüchen – die Geburten ihrer beiden Kinder – zog sich der Schreibprozess über rund sechs Jahre hin.

Einmal schrieb sie sogar die Geschichte vollständig um. Ursprünglich stand Lena, die Tochter, im Mittelpunkt. «Als ich selbst Mutter wurde, hat sich meine Perspektive grundlegend verändert», sagt sie. «Ich konnte plötzlich die Liebe, die Sorge und die Verantwortung nachvollziehen, die man für sein eigenes Kind empfindet. Und ich sah das, was meine Mutter getan hat, in einem anderen Licht.»

So wurde die Mutter zur Hauptfigur. Den Fokus legte sie weniger auf das Autobiografische und mehr auf die Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Dinnikova sagt: «Auf gewisse Weise verarbeite ich meine Vergangenheit in diesem Film.»

Regie im eigenen Leben führen

Auch wenn sie gerne wieder schauspielern würde, ist sie nicht mehr bereit, so viel Energie zu investieren. «Auch als Drehbuchautorin ist es nicht einfach. Aber in diesem Beruf habe ich viel mehr die Zügel in der Hand. Das passt besser zu meinem Charakter.»

Dass ihr Film jetzt endlich auf die Leinwand kommt, bedeutet ihr alles. «Dieses Projekt ist mein drittes Kind», sagt sie und schmunzelt. «Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung durch die Förderstellen – nicht jeder bekommt so eine Chance. Aber ich habe auch sehr hart dafür gearbeitet. Und einen Plan B hatte ich nie.»

Sie will, dass ihr Film das Publikum berührt. «Die Menschen sollen über ihre eigenen Familienbeziehungen nachdenken und Empathie und Verständnis für andere Personen mitnehmen.»

Mittlerweile arbeitet sie bereits am nächsten Drehbuch. Auch darin verarbeitet sie Teile ihrer eigenen Geschichte: Es geht um die Beziehung zwischen einer Tochter und ihrem entfremdeten Vater.

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