Verein sucht Spenden, damit der letzte Dampftriebwagen weiterlebt
Er fuhr für die Uerikon-Bauma-Bahn
Freunde nostalgischer Eisenbahnen vermissen ihn schmerzlich: den Dampftriebwagen, der normalerweise zwischen Hinwil und Bauma, aber auch in der ganzen Schweiz unterwegs ist. Im Moment steht er im Lokschuppen und wartet auf seine aufwendige Verjüngungskur.
«Man darf dafür nicht klaustrophobisch veranlagt sein» – Stefan Landenberger kniet in einem zylinderförmigen Raum, der Platz reicht gerade aus, damit er die Arme frei bewegen kann. Knapp über ihm ist eine Platte mit Löchern, in die dünne Rohre eingelassen sind.
Landenberger greift nach oben und macht sich mit einem Spezialgerät an einem davon zu schaffen. Mit einer Drehbewegung weitet er das Rohr auf, damit es fest in der Öffnung hält – in der Fachsprache einwalzen genannt. Dann greift er zu einem meisselähnlichen Eisen, mit dem er den Rohrrand umbiegt. Das so entstandene Bördel schmiegt sich an die Platte an. Insgesamt 230 Stück sind es, die Landenberger so bearbeiten muss.





Besagter beengter Raum ist nichts anderes als ein alter Dampfkessel. Er gehört zum historischen Dampftriebwagen, dem letzten seiner Art in der Schweiz. Zurzeit steht das Fahrzeug im Lokschuppen im Bahnpark Brugg.
Eingerüstet und betriebsunfähig gibt es ein Bild ab, das so manchen Eisenbahnfans Tränen in die Augen treiben dürfte. Viel lieber würden sie es im Einsatz sehen, zum Beispiel auf einer seiner Stammstrecken zwischen Bauma und Hinwil. Denn es ist regelmässig bei den Fahrzeugtreffen vom Dampfbahn-Verein Zürcher Oberland (DVZO) zu Besuch.
Doch der Dampftriebwagen ist in guten Händen. Hier in Brugg kümmert sich die Dampfgruppe Zürich unter der technischen Leitung von Stefan Landenberger um ihn. Der Verein hat ihn vor gut 20 Jahren als Dauerleihgabe von der Stiftung SBB Historic erhalten.
Eine reine Sparmassnahme
In der Schweiz waren Anfang des 20. Jahrhunderts etwa 30 Dampftriebwagen verschiedener Bauarten im Einsatz. Von ihnen geblieben ist nur der von der Uerikon-Bauma-Bahn mit der Bezeichnung UeBB CZm ½ Nr. 31.
Ursprünglich sei diese Art Fahrzeug eine Verlegenheitslösung gewesen, erläutert Landenberger. Im Gegensatz zur Dampflok braucht es keinen Heizer, der Lokführer kann alles selber machen. Die SBB erkannten 1902 das Sparpotenzial. «Sie setzten den Dampftriebwagen auf der schwach frequentierten Strecke Zürich–Meilen–Rapperswil ein.»
Doch das Fahrzeug stellte sich schnell als unbrauchbar heraus. Wegen seiner schwachen Leistung konnte es nur einen Wagen ziehen – zu wenig für die Nordostbahn. Also verkaufte sie ihn 1906 an die UeBB, wo er bis zur Einstellung der Strecke unterwegs war. 1948 kehrte der Dampftriebwagen zu den SBB zurück.
Nach einer Totalrevision 1980 wurde er regelmässig für spezielle Veranstaltungen eingesetzt. Doch das Interesse an ihm schwand. Er fristete schliesslich ein tristes Dasein in der Remise, bis die Dampfgruppe Zürich ihn nach ihrer Vereinsgründung zu neuem Leben erweckte.
«Er ist unser Nesthäkchen, und wir haben eine enorme Beziehung dazu», betont Landenberger. «Wir sind alle verliebt, er ist einfach ein Unikum.» Ihn nicht wieder zum Laufen zu bringen, wäre daher keine Option.






Das Unglück war im letzten Frühling, am zweitägigen Bahnparkfest in Brugg, geschehen: Eines der Rohre im Kessel ging kaputt. Ein genauer Blick zeigte, auch die restlichen 229 waren in keinem guten Zustand. «Wir mussten feststellen, dass es keine Rettung gibt», erinnert sich Landenberger. «Es war klar, dass wir alle wechseln müssen.» Schweren Herzens nahm der Verein den Dampftriebwagen ausser Betrieb – und eine arbeitsintensive Zeit nahm ihren Anfang.
Ohne Rohre kein Dampf
Der mit Wasser gefüllte Kessel dient der Dampferzeugung, damit sich der Triebwagen überhaupt fortbewegen kann. Und hier kommen die besagten Rohre ins Spiel. Sie übernehmen beim Erhitzungsvorgang eine wichtige Rolle. Durch sie strömt heisse Luft, die Wärme überträgt sich auf ihre Wände und von dort aufs Wasser. Je mehr Rohre auf kleinem Raum, umso grösser dieser Effekt. So erreicht das Wasser schliesslich seinen Siedepunkt und beginnt zu verdampfen.
Diese sogenannten Siederohre sind einer hohen Belastung ausgesetzt, entsprechend sind sie Verschleissmaterial. Stete Korrosion lässt das Metall dünner werden, mit der Zeit entstehen Löcher. Etwa alle zehn Jahre muss Ersatz her. Und an ebendiesem Punkt ist man beim Dampftriebwagen angelangt.
Die Mitglieder der Dampfgruppe Zürich kümmern sich darum, jedes einzelne Rohr auszutauschen. «Man schafft natürlich nicht alle 230 an einem Tag», sagt Landenberger. Am schnellsten geht das Einsetzen der Rohre. Sind alle eingewalzt, folgt die mühsame Arbeit: das Bördeln. «Pro Tag liegen vielleicht 10 bis 15 Stück drin, mehr schafft man nicht.» Bei so viel Fliessbandarbeit brauche es zwischendurch auch Abwechslung, «sonst hat man irgendwann einfach keine Lust mehr».
Wer jetzt denkt, die Arbeit ist mit etwas Fleiss schnell gemacht, irrt. Denn die 25 Aktivmitglieder müssen sich in erster Linie darum kümmern, die funktionstüchtigen Fahrzeuge in Schuss zu halten, damit sie für alle Veranstaltungen und Extrafahrten bereit sind. «Damit verdienen wir unser Geld», erklärt Landenberger. Viel Zeit für den Dampftriebwagen bleibt da nicht mehr.
Eine noch grössere Baustelle
Und trotzdem läppern sich die Stunden zusammen. Mit den ganzen Vorbereitungsarbeiten wie auseinandernehmen, Rohre ausbauen und rausputzen sind es bereits über 500 Stunden, die der Verein investiert hat.
Bis der Dampftriebwagen fertig ist, sollen es gut 2000 sein. «Im Schnitt arbeiten wir einmal in der Woche im Depot», sagt Landenberger. «Es ist ja alles Freizeit.» Von den Vereinsmitgliedern sind jeweils zwei bis vier mit dem Fahrzeug beschäftigt, für mehr ist kein Platz.
Im Verlauf der Revision ist noch eine weitere – und um einiges grössere – Baustelle zutage gekommen. Diese betrifft den Überhitzer, der oberhalb vom Kessel angebracht ist. Er dient dazu, den erzeugten Dampf zu optimieren – sprich, er entzieht ihm durch weiteres Aufheizen zusätzlich Flüssigkeit. Dafür braucht es Rohre, die den aufsteigenden Dampf für eine erneute «Aufwärmrunde» vom Überhitzer zurück in den Kessel führen.
Doch auch hier hat der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen. Einige Bestandteile sind bald am Lebensende. Akut ist das Problem laut Landenberger noch nicht, «aber wenn wir jetzt nichts machen, wird es in ein paar Jahren eine noch aufwendigere Sache».


Für Ersatz zu sorgen, bedeutet viel Aufwand – und noch mehr Kosten. Denn im Gegensatz zum Kessel sind hier nicht einzelne Rohre verbaut, sondern Rohrschlangen. «Die können wir nicht selber herstellen, das muss eine externe Rohrleitungsfirma machen.»
Im Winter soll alles fertig sein
Für die ganze Kesselrevision inklusive Überhitzer rechnet Landenberger mit Kosten von 30’000 bis 40’000 Franken. «Am Schluss ist es wie bei den meisten Projekten», meint er, «die Kosten sind höher als das erwartete Maximum – nicht das Minimum.» Damit die Dampfgruppe Zürich diese Kosten tragen kann, ist sie auf Spenden angewiesen. Einen entsprechenden Aufruf hat sie auf ihrer Website aufgeschaltet. Das Ziel: 40’000 Franken zusammenzubringen.
Stefan Landenberger ist sich bewusst, dass noch viel Arbeit vor ihm und seinen Vereinskollegen liegt. Trotzdem hofft er, dass ihr «Bijou» Ende Jahr wieder fahrtüchtig ist. «Wir müssen schauen, dass wir dranbleiben können.» Für die Zeit danach hat der Verein bereits weitere Visionen. Neben dem Lokschuppen steht ein abgetakelter Personenwagen, der einst der Feldschlösschen-Bahn gehörte.
Dereinst soll er in neuem Glanz erstrahlen, passend zurechtgemacht für den Dampftriebwagen. Damit dieser künftig mit eigenem Wagen ab Bauma und auf den anderen Stammstrecken verkehren kann.
