Abo

Justiz

Raserunfall in Sternenberg

Junglenker crasht mit 149 km/h – 24 Monate bedingt

Das Bezirksgericht Pfäffikon hat einen Raser verurteilt. Originell fand es seine Begründung für den gefahrenen Umweg.

Wie durch ein Wunder wurde beim Unfall am 29. Dezember 2022 in der Nähe von Sternenberg niemand ernsthaft verletzt.

Foto: Kantonspolizei Zürich

Junglenker crasht mit 149 km/h – 24 Monate bedingt

Raserunfall in Sternenberg

Das Bezirksgericht Pfäffikon hat einen Raser verurteilt. Originell fand es dessen Begründung für den gefahrenen Umweg.

Kollegen wie dieser junge Mann sind heiss begehrt. Sie verzichten im Ausgang auf Alkohol und spielen nach durchzechter Nacht den Chauffeur. Genau das war die Ausgangslage an einem frühen Morgen Ende Dezember 2022 in der Nähe von Sternenberg.

Die Geschichte nahm jedoch eine dramatische Wende. Und deshalb musste sich der heiss begehrte Kollege, ein damals 19-jähriger Schweizer, am Montag als Beschuldigter vor dem Bezirksgericht Pfäffikon verantworten.

Was war geschehen? Der Junglenker wollte an jenem Morgen die 22-jährige Beifahrerin und den 24-jährigen Mitfahrer zu ihr nach Hause bringen. Das Auto, ein Audi Quattro mit 460 PS, gehörte dem Mitfahrer. Das Trio war auf der unbeleuchteten und lediglich 4,5 Meter breiten Gfellstrasse ausserorts in Richtung Kanton Thurgau unterwegs. Erlaubte Geschwindigkeit: 80 Kilometer pro Stunde.

Der Junglenker allerdings – so steht es in der Anklageschrift – drückt das Gaspedal durch, bis der Tacho 149 Kilometer pro Stunde anzeigt. In einer leichten Linkskurve kommt das Auto rechts von der Strasse ab, wo es mit einem hölzernen Randleitpfosten kollidiert. Der Pfahl bohrt sich auf der Fahrerseite durch die Frontscheibe.

Rund 70 Meter weiter, das zeigten die Abriebspuren der Pneus, knallt der Audi Quattro mit einer Geschwindigkeit von 71 Stundenkilometern frontal in einen Baum. Der Aufprall ist derart wuchtig, dass der Motor aus dem Fahrzeug herausgerissen und weggeschleudert und das Auto zurück auf die Strasse katapultiert wird. Dort kommt es völlig zerstört zum Stillstand.

Mit 149 statt 80 km/h unterwegs

Wie durch ein Wunder erleiden die Autoinsassen nur leichte Verletzungen. Dass der Beschuldigte die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit um fast 70 Kilometer pro Stunde überschritten hat, liess sich anhand der im Airbag-Steuergerät gespeicherten Daten ermitteln. Bereits ab 140 Stundenkilometern in der 80er-Zone hätte er als Raser gegolten.

Am Dienstag musste der junge Mann am Bezirksgericht Pfäffikon vor zwei Richterinnen und einem Richter sämtliche Vorwürfe eingestehen. Das Gericht hatte nur noch zu entscheiden, ob der ausgehandelte Urteilsvorschlag angemessen ist.

Ins eigene Auto «kötzeln» statt in die Wohnung der Kollegin

An einem Punkt hakte die Richterin in der Befragung nach: Der Junglenker brachte seine Passagiere nicht auf direktem Weg an die Wohnadresse der Beifahrerin. Vielmehr machte er einen grösseren Umweg.

Richterin: «Weshalb haben Sie überhaupt diesen Umweg gemacht?»

Beschuldigter: «Sie hat mich darum gebeten, damit er etwas nüchtern wird. Er war noch sehr stark alkoholisiert.»

Richterin: «Das ist eine originelle Begründung. Weshalb sollte er nüchtern werden?»

Beschuldigter: «Ihr war es lieber, er kötzelt noch in sein eigenes Auto als später in ihre Wohnung.»

Richterin: «Die beiden haben also nicht zusammengewohnt?»

Beschuldigter: «Nein. Sie waren kein Paar, hatten aber ‹es Gschleik›.»

An seiner Schuld gab es für den Neulenker von allem Anfang an nichts zu diskutieren. Er war geständig und einigte sich mit der Staatsanwaltschaft auf ein abgekürztes Verfahren. Bei solchen Verfahren profitieren die Beschuldigten in aller Regel von einer milderen Strafe. Der Urteilsvorschlag: eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten. Diese muss der Beschuldigte nicht absitzen, wenn er sich während der zweijährigen Probezeit nichts Weiteres zuschulden kommen lässt.

Daneben muss er ein Lernprogramm für risikobereite Verkehrsteilnehmende absolvieren und Verfahrenskosten von rund 9000 Franken tragen.

Zahl der Raserunfälle gestiegen

Fälle wie dieser nehmen seit Corona deutlich zu. Waren es im Kanton Zürich im Jahr 2020 noch 141 Raserunfälle, stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 205. Staatsanwalt Michael Huwiler, Leiter Strassenverkehr der Staatsanwaltschaft Zürich, sagte kürzlich in der «SonntagsZeitung», oft seien junge Männer und leistungsstarke Autos involviert.

Aufgrund dieser rasenden Junglenker kommt es jährlich zu rund 200 Unfällen mit Schwerverletzten oder Toten. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung nennt mangelnde Fahrerfahrung, grössere Risikofreude und Selbstüberschätzung als Gründe. Ein Teil, häufiger junge Männer, sei fasziniert von hochpotenten Fahrzeugen.

Forderungen nach Leistungsbeschränkungen für Neulenker werden auf politischer Ebene immer wieder gestellt. Zuletzt, als ein ebenfalls 19-Jähriger Mitte September in Opfikon mit einem 450 PS starken SUV in eine Gruppe von Menschen auf dem Trottoir fuhr und zwei von ihnen tötete.

Im Nationalrat wurden nach dem Horrorunfall von Opfikon gleich drei Vorstösse eingereicht, die strengere Regeln für Junglenker fordern. Neu ist, dass nun erstmals auch Zuspruch aus dem rechten politischen Lager kommt. Bisher wurden allerdings noch keine Massnahmen beschlossen.

Bei Raserfahrt nicht auf Tacho geschaut

Der beschuldigte Neulenker sagte vor Gericht, er habe zwar realisiert, dass er zu schnell unterwegs gewesen sei, habe aber auf die Strasse geschaut und nicht auf den Tacho. «Im Nachhinein bin ich von mir selbst geschockt. So etwas darf nie mehr passieren.» Ihm sei bewusst, dass sie unglaubliches Glück gehabt hätten.

Das Gericht akzeptierte den Urteilsvorschlag der Staatsanwaltschaft nach einer kurzen Beratung. Seinen Führerausweis hat der Beschuldigte noch nicht zurückerhalten. Im Ausgang ist er vorderhand also auf andere heiss begehrte Kollegen angewiesen.

Abo

Möchten Sie weiterlesen?

Liebe Leserin, lieber Leser

Nichts ist gratis im Leben, auch nicht Qualitätsjournalismus aus der Region. Wir liefern Ihnen Tag für Tag relevante Informationen aus Ihrer Region, wir wollen Ihnen die vielen Facetten des Alltagslebens zeigen und wir versuchen, Zusammenhänge und gesellschaftliche Probleme zu beleuchten. Sie können unsere Arbeit unterstützen mit einem Kauf unserer Abos. Vielen Dank!

Ihr Michael Kaspar, Chefredaktor

Sie sind bereits Abonnent? Dann melden Sie sich hier an

Digital-Abo

Mit dem Digital-Abo profitieren Sie von vielen Vorteilen und können die Inhalte auf zueriost.ch uneingeschränkt nutzen.

Sind Sie bereits angemeldet und sehen trotzdem nicht den gesamten Artikel?

Dann lösen Sie hier ein aktuelles Abo.

Fehler gefunden?

Jetzt melden.