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Justiz

Bezirksgericht Hinwil

Der Videobeweis für den Diebstahl im Spital Wetzikon war zu stark

Eine Frau kommt immer wieder als Patientin ins Spital Wetzikon – und einmal auch als Diebin?

Der Eingang zur Notfallstation des Spitals Wetzikon – und der Zugang für eine Handtaschendiebin.

Foto: Ernst Hilfiker

Der Videobeweis für den Diebstahl im Spital Wetzikon war zu stark

Bezirksgericht Hinwil

Im Spital Wetzikon kommt die Tasche einer Patientin weg. Für den Staatsanwalt und das Spital ist klar, wer es war. Doch vor Gericht gibt es dann einige Zweifel.

Lediglich drei – wenn auch sehr lange – Sätze benötigte der Staatsanwalt, um in einem Strafbefehl zu schildern, was an einem Nachmittag im August 2024 im GZO Spital Wetzikon passiert war. Kurzzusammenfassung: Eine Frau hatte «ohne medizinisches Anliegen» die Notfallstation betreten, ging in eine der dortigen Kojen und nahm eine Handtasche mit. Diese gehörte einer Patientin, die sich gerade für eine Computertomografie in einem anderen Stockwerk des Gebäudes befand.

Die geklaute Tasche, deren Inhalt – vor allem wegen eines Handys – über 1000 Franken Wert hatte, soll die Besucherin in ihrer eigenen Tasche versteckt und so unbehelligt das Spital verlassen haben. Alles in allem eine Sache von nicht einmal fünf Minuten. Dies zeigte die Auswertung von Aufnahmen einer Überwachungskamera des Spitals.

Kosten von fast 5000 Franken

Der Staatsanwalt brummte der Frau wegen Hausfriedensbruch und Diebstahl eine Geldstrafe von 130 Tagessätzen à 30 Franken auf. Diese 3900 Franken stellen eine Gesamtstrafe dar, in die eine wenige Monate zuvor wegen eines Strassenverkehrsdelikts bedingt erlassene Strafe miteingerechnet wurde.

Und weil eben in der Probezeit der ersten Strafe schon wieder etwas passierte, ist die Strafe definitiv zu zahlen. Ebenso wie zusätzliche 800 Franken für Verfahrenskosten. Total also 4700 Franken.

Am Tattag im Spital – aber keine Ahnung, weshalb

Die heute 36-jährige angebliche Diebin war mit dem Strafbefehl nicht einverstanden und erbat eine Beurteilung durch eine Einzelrichterin am Bezirksgericht Hinwil. Und dort wurde aus dem vermeintlich klaren Fall dann ein eher unklarer.

Die Frau gab nämlich zu, am Tattag im Spital gewesen zu sein. Weshalb und vor allem, was sie dort machte, das weiss sie absolut nicht mehr. Denn in jener «ganz schlechten Zeit» war sie schwer alkohol- und medikamentenabhängig und deshalb «oft auf der Notfallstation in Wetzikon gelandet», wie sie an der kürzlich durchgeführten Verhandlung vor Gericht sagte.

Und, bedeutend für den Fall, sie war immer gegen ihren Willen eingeliefert worden. Sie sei also, betonte sie, sicher nie freiwillig auf die Notfallstation gegangen. Zudem könne sie sich schlichtweg nicht vorstellen, dass sie etwas aus dem Spital gestohlen habe.

Illegale Videoüberwachung?

Der Verteidiger forderte einen Freispruch. Bei einer allfälligen Verurteilung sei eine bedingte Geldstrafe von 100 Franken auszufällen – die erstinstanzliche Strafe von fast 5000 Franken zu zahlen, sei der Frau gar nicht möglich. Sie sei zwar heute gesundheitlich stabil, aber verschuldet und von der Sozialhilfe abhängig.

Der Anwalt führte ausserdem mehrere seiner Meinung nach rechtlich unsaubere Vorfälle im Zusammenhang mit der Geschichte auf. So existierten beispielsweise Zeugenaussagen, die wegen formaler Fehler nicht verwendet werden könnten.

Zudem seien die Videoaufnahmen des Spitals illegal, auch wenn eine Überwachungskamera im Notfallbereich durchaus «sinnvoll» sein könne. Und vor allem: «Die Aufnahmen von äusserst dürftiger Qualität» zeigten weder, dass die Frau in eine der Notfallkojen gegangen sei, noch den Diebstahl.

Dass die Frau auf dem Video zu sehen sei, wie sie das Haus verlasse, sei erklärbar: Immer, wenn sie wieder mal zum Ausnüchtern auf der Notfallstation gewesen sei, sei sie jeweils kurz rausgegangen, um zu rauchen.

Massive Strafsenkung

Die Zweifel des Verteidigers konnte das Gericht nicht teilen. «Das Video macht alles klar», sagte die Richterin. Der Film, der als legal und damit als Beweis verwertbar eingestuft worden sei, zeige, dass die Angeklagte die Diebin sei – auch wenn man ihr glaube, dass sie sich nicht mehr an die Tat erinnern könne.

Dass die gestohlene auffällig rote Handtasche, die bis heute verschwunden ist, im Spital verloren ging, wie es der Verteidiger für sehr gut möglich hält, konnte sich das Gericht «nicht vorstellen».

Der Schuldspruch aus dem Strafbefehl wurde damit bestätigt. Bei der Sanktion hingegen kam man der 36-Jährigen stark entgegen: Die Geldstrafe wurde auf 80 Tagessätze zum sonst kaum je angewandten Ultraniedrigtarif von 10 Franken angesetzt und bedingt ausgesprochen. Der erstinstanzlich verfügte Widerruf der früheren bedingten Strafe wurde aufgehoben, aber die Probezeit verlängert.

Dennoch kommt die Frau nicht um Auslagen herum. Sie muss über 2000 Franken Verfahrenskosten zahlen. Die Rechnung des amtlichen Verteidigers hingegen geht auf die Staatskasse. – Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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