«Ich staune, dass niemand die Katastrophe des GZO kommen sah»
Ehemaliger Spitalplaner im Interview
Versagen auf allen Ebenen: Paul Vonlanthen, Experte für Spitalplanung, geht mit den Führungsgremien des GZO hart ins Gericht und wünscht sich einen Spitalsanierer. Schnell.
Herr Vonlanthen, als Experte, Oberländer und ehemaliger Spitalplaner des Kantons: Wie blicken Sie auf die gegenwärtige Situation des GZO Spitals Wetzikon, das sich in der provisorischen Nachlassstundung befindet?
Paul Vonlanthen: Zurzeit herrscht eine gespenstige Stille. Es ist fast schon unheimlich. Dabei müsste das Spital doch kommunizieren, woran man ist, wie die nächsten Schritte aussehen.
Paul Vonlanthen (78 Jahre) absolvierte an der ETH ein Ingenieurstudium mit Nebenfach Betriebswissenschaften. An der Universität Bern studierte er zudem Gesundheitsökonomie. Nach mehreren Jobs in der Privatindustrie, unter anderem bei Zellweger und dem Flughafen Dübendorf, landete er 1991 bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich. Als Spitalplaner und Finanzchef war er zuständig für die Spitäler, ihre Finanzen und ihren Leistungsauftrag. Er verantwortete die Investitions- und Budgetplanung, stand dafür mit unzähligen Spitaldirektoren in Kontakt. Nach fünf Jahren verliess er die Gesundheitsdirektion und wurde Direktor der Zentralwäscherei Zürich bis zu seinem Ruhestand 2009. Heute wohnt er in Bubikon, wo er 20 Jahre lang für die FDP in der Rechnungsprüfungskommission sass. (erh)
» Lesen Sie hier, was bereits alles in der Wetziker Spitalkrise passiert ist. «
Wie können Sie sich diese Stille erklären?
Bestimmt mit einer gewissen Ratlosigkeit. Und einem falschen Kommunikationskonzept. Das Spital gehört der Bevölkerung, also muss sie informiert werden, welche Schritte für die Rettung unternommen werden.
Wie müssten diese aus Ihrer Sicht aussehen?
Ich wünsche mir die blitzartige Anstellung eines Spitalsanierers, der mit Sofortmassnahmen einen Lichtblick bringt. Der Abgang guter Ärzte muss gestoppt werden, bevor er einsetzt. Und dann muss eine Sanierung aufgrund der Kostenrechnung in die Wege geleitet werden, damit die Nachlassstundung verlängert werden kann.
Das sind deutliche Worte.
Ich staune einfach, dass niemand die Katastrophe des Spitals kommen sah. Niemals hätte so viel Geld ausgegeben werden dürfen. Ich kann das gerne mit einer Milchbüechli-Rechnung aufzeigen.
Bitte.
Schaut man sich die Finanzzahlen des Spitals an, dann hat das GZO ein ungefähres Anlagevermögen von 150 Millionen Franken. Und hat mit der Obligationenanleihe vor zehn Jahren 170 Millionen Fremdkapital aufgenommen. Das Eigenkapital am Neubau beträgt damit null Franken. Um jetzt die Obligation und Zinsen zurückzahlen zu können, hätte das Spital jedes Jahr 20 Millionen Franken Gewinn machen müssen, plus Zinsen. Wahrscheinlich war das aber nie eine Option, sondern immer die Überlegung, die Anleihe erneut zu refinanzieren. Das war die zweite Fehlüberlegung, denn mit diesem Finanzklotz am Bein konnte das Spital in den vergangenen Jahren nur selten kostendeckend geführt werden.
Und welches war die erste?
Die heutigen Tarife sind nicht ausgelegt, um dermassen hohe Fremdkapitalzinsen zu zahlen. Da darf man im Geschäftsbericht nicht jammern über nicht kostendeckende Tarife. Spitäler wie das GZO müssen die Tarife als gegeben anschauen und den Betrieb danach ausrichten. Fremdkapitalzinsen und Rückzahlungen verträgt es bei diesen Tarifen nur im Rahmen des jährlichen Gewinns, und der war weit darunter.
Wie konnte es dennoch dazu kommen, dass für die Finanzierung des Neubaus eine so hohe Obligationenanleihe aufgenommen wurde?
Der Verwaltungsratspräsident Jörg Kündig ist zwar Gemeindepräsident, Kantonsrat und Präsident des Verbands der Gemeindepräsidenten. Vielleicht war sein Schulrucksack mit Gesundheitsthemen trotzdem zu klein. Aber dass die gesamte Geschäftsleitung, die Revisionsfirma KPMG und die Rechnungsprüfungskommission den Entscheid alle durchgewunken haben, ist ein Versagen auf allen Stufen. Einer der Hauptgründe ist sicherlich, dass im Verwaltungsrat keine Spitalfachleute sitzen.

Sind fehlende Fachleute ein generelles Problem im Gesundheitswesen?
Ich glaube schon. Vor 2000 oder zu meiner Zeit, als ich noch Mitte der 1990er Jahre Spitalplaner war, waren Spitaldirektoren und Verwaltungsräte noch Praktiker, die im Spital gross geworden waren. Heute werden vielfach altgediente Politiker eingesetzt, weil sie ein Netzwerk haben. Aber ein Netzwerk ist einfach nicht alles, wie man auch in diesem Fall sieht. Es garantiert keinen erfolgreichen Spitalbetrieb beziehungsweise keine Refinanzierung von Fremdkapital.
Wenn Sie von Ihrer Zeit sprechen, wie hat sich die Spitalplanung damals von heute unterschieden?
Wir hatten eine Input- und keine Outputplanung gemacht. Sprich eine Bedarfsplanung, welches Spital braucht was in welchem Umfang. Einer der grossen Vorteile war, dass die Spitäler dem Kanton unterstellt waren. Gemeinsam mit meinem Team habe ich geprüft, was finanziell tragbar ist und das entsprechende Projekt dann subventioniert. Je nach Steuerkraft der Gemeinden wurden die Spitäler vom Kanton finanziell unterstützt, hier im Oberland lag der Durchschnittswert bei 65 Prozent. Pro Jahr hatte ich dabei 200 Millionen Franken zur Verfügung, wovon die eine Hälfte für Kantons-, die andere für Bezirksspitäler war.
Wie empfanden Sie dieses System?
Es war ein gutes System. Spitäler haben so nur Projekte gebaut, für die sie die Gelder hatten. Die Erweiterung des GZO beispielsweise in den 1970er Jahren musste drei Jahre warten, weil der Kanton das Geld nicht hatte.
Bekanntlich änderte sich das System. Seit 2012 und dem Spitalplanungs- und Finanzierungsgesetz (SPFG) herrscht zwischen den Spitälern ein freier Wettbewerb.
Die Ursprünge dafür liegen bereits in einem Wechsel an der Spitze der Gesundheitsdirektion (GD) 1993. Der neu gewählte CVP-Regierungsrat Ernst Buschor wollte keine Input-, sondern eine Outputplanung. Man lässt alle frei schaffen und gegeneinander kämpfen, schaut, wer gewinnt. Und genau das ist mit Wetzikon und Uster passiert. Es wurde gegeneinander hochgerüstet.
Welche Folgen hatte diese Entwicklung?
Viele Spitäler wurden eine AG, ab da wollten alle aufrüsten, was viele in grosse Risiken stürzte. Der Stein für das ab 2012 in Kraft gesetzte Gesetz zur Planung Finanzierung geriet damals ins Rollen. Früher mussten Spitäler ihr Budget und die Investitionsanträge bei der GD einreichen, damit diese die Tragbarkeit für das Spital und die Finanzierbarkeit für den Kanton prüfen konnte. Heute nehmen alle Spitäler Fremdkapital nach eigenem Ermessen auf, Wetzikon ist da nicht allein. Hätte man das betriebswirtschaftlich verantwortungsvoll gemacht, hätte es vielleicht auch funktioniert.
Sie kritisieren das System, sagen aber gleichzeitig, die Spitäler müssten das System akzeptieren und dürften nicht jammern. Kein Widerspruch?
Die Politik hat den Auftrag, den Anstieg der Gesundheitskosten zu bremsen. Deshalb müssen auch die Spitaltarife kostenbremsend ausgestaltet werden. Der Spitalbetrieb und der Ausbau muss sich nach diesen Tarifen ausrichten. Seit 2012 sind aber Spitäler bezüglich Finanzierung nicht mehr dem Kanton unterstellt. Die sind frei im Entscheid für einen übermässigen Ausbau, den sie mit Fremdkapital finanzieren, und geraten damit oft in Schwierigkeiten, wenn sie überborden. Beispiele sind das GZO Spital, das Spital Uster oder das Kinderspital.
Wie beurteilen Sie die Rolle der GD, die dem GZO nicht helfen wollte bei seinem Finanzierungsproblem?
Es war absolut korrekt, dass die Gesundheitsdirektion den Kredit abgelehnt hat. Es geht nicht an, dass bei einem privatwirtschaftlichen Entscheid, wie er 2014 in der AG gefällt wurde, der Staat einspringt. Das ist keine gute Geschäftsreihenfolge.
Was wäre eine bessere Reihenfolge gewesen?
Bei einem richtigen Geschäftsgebaren schaue ich, wie viel Gewinn ich erwirtschafte. Und dann weiss ich, wie viel Geld ich für eine Investition zurückstellen kann. Dann muss ein Neubau eventuell etappiert werden, Verschleisseinrichtungen wie ein Operationssaal werden schrittweise erneuert, statt sich einfach betriebswirtschaftlich unsinnig zu verschulden und zu hoffen, es geht dann schon irgendwie. Das ist unverantwortbar. Wenn wir den Betrieb des GZO anschauen, dann hat das Spital in den letzten zehn Jahren fast keinen Gewinn und oft Verluste gemacht. Da hätte man schon früh den Neubau stoppen müssen. Zu sagen oder im Geschäftsbericht zu schreiben, man hätte die Probleme erst die letzten zwei Jahre gemerkt, ist falsch.
Die Situation ist jetzt aber wie sie ist, und viele fragen sich, wie eine Lösung aussehen müsste?
Das Spital darf nicht Konkurs gehen. Es gibt aus meiner Sicht drei Ansatzpunkte:
Die Organisation: Die heutige Führungsstruktur hat versagt, vom Verwaltungsrat und seinem Präsidenten, der Revisionsgesellschaft (KPMG) bis zur RPK. Jetzt müssen Massnahmen getroffen werden. Der Verwaltungsrat muss sich neu organisieren und einen erfahrenen Spitalsanierer als Präsident anstellen. Die Revisionsgesellschaft muss ausgewechselt werden, weil ich im Revisionsbericht nirgends etwas dazu gefunden habe, dass der Kredit nicht zu stemmen ist.
Regionale notwendige medizinische Versorgung: Es gilt zu definieren, was ein unverzichtbares Leistungsangebot ist. Für mich sind das die zeitkritische Versorgung, Notfall, Rettungsdienst und Stroke Unit (Erstversorgung von Schlaganfallpatienten). Es braucht dazu eine reduzierte Intensivstation für die Notfallversorgung und eine kleine Bettenstation für kurzstationäre Patienten. Was die mengenmässige Versorgung von jährlich rund 100’000 ambulanten Patienten angeht, so können diese nicht einfach an andere Spitäler umgeleitet werden. Das heisst, das Ambulatorium ist systemrelevant für das Zürcher Oberland. Dasselbe gilt für die Geburtenabteilung, welche mit rund 900 Geburten eine der grössten im Kanton ist. Das alles zusammen wäre ein Minimalangebot, das man mindestens weiterführen müsste.
Der letzte Aspekt, der betriebswirtschaftliche, ist der wichtigste: Es geht darum zu schauen, welche Abteilungen ihre Umsatzrendite nicht erreichen. Diese müssen auf Effizienz getrimmt oder geschlossen werden. Denn das sind meistens Kostenstellen mit wenigen Fällen, die lassen sich gut auf andere Spitäler verteilen. Der Neubau ist finanziell nicht verkraftbar, das haben wir jetzt gesehen. Die Betriebsrechnung wäre immer positiv gewesen, wenn die grossen Rückstellungen und Zinsen für den Fremdkredit von 170 Millionen Franken nicht wären. Es gilt deshalb, den Neubau zusammen mit Landreserven zu verkaufen, um den Baukredit zurückzuzahlen oder auf ein tragbares Mass zu reduzieren.
Was wäre «ein tragbares Mass»?
(Überlegt lange.) Genau beziffern kann ich das nicht. In meinen Augen muss man alles oder den grössten Teil der Obligationenanleihe zurückzahlen. Wenn das GZO die Rückzahlung nicht leistet, dann steigen für alle anderen Spitäler die Fremdgeldkapitalzinsen, weil die Banken einsehen, dass die implizite Staatsgarantie nicht funktioniert. Dadurch wiederum kämen andere Spitäler auch in die Bredouille. Das Ziel sollte eine Umsatzrendite von zehn Prozent sein. Sprich 15 Millionen pro Jahr, um dieses Geld schrittweise zu investieren, ohne Fremdkapital. Fremdkapital verträgt es mit diesen Tarifen nicht. Das Gesundheitswesen ist teuer, da kann man nicht beliebig hohe Tarife ansetzen. Spitäler müssen sich danach richten. Und dass das funktioniert, davon bin ich überzeugt.
Zehn Prozent fordert auch die GD. Nur klagen alle Spitäler, diese Marge sei zu hoch. Sind diese Klagen gerechtfertigt?
Die Spitäler, die jammern, das sind oft jene mit einer zu hohen Fremdkapitalverschuldung. Kostentreiber sind untragbare Investitionen, die Neubauten. Natürlich, zehn Prozent sind ambitiös. Doch auch im Gesundheitswesen soll man sich anstrengen. Spitäler können nicht nur ihre Erträge steigern, sondern müssen auch ihre Aufwände in den Griff bekommen.
Sie sprachen vorhin vom zwingenden Verkauf des Neubaus. Wer könnte diesen übernehmen?
Ich kenne den Ausbaustandard nicht und weiss nicht, wie spezifisch gebaut wurde. Ich bin mir aber sicher, dass es ähnlich wie mit alten Industriegebäuden im Oberland gehen könnte. Die konnte man auch umrüsten. Die Bereitschaft zum Verkauf, um die Obligationenanleihe zurückzuzahlen, wäre ein wichtiges Signal.

Die Aktionärsgemeinden des GZO haben früh ein Signal an das Spital gesendet, dass sie für eine finanzielle Rettungsaktion in den Löchern stünden. Sie haben sogar eigens eine Taskforce gegründet.
Das ist überhaupt nicht zielführend. Gemeindepolitiker sind ja auch keine Spitalplaner. Wie sollen sie die Arbeit, die der Verwaltungsrat nicht hat leisten können, jetzt verbessern? Und ich weiss aus meiner Gemeinde Bubikon, dass wir uns eine Aktienkapitalerhöhung gar nicht leisten könnten. Überhaupt sind die 170 Millionen Franken für das Einzugsgebiet des Wetziker Spitals nicht tragbar. Es ist unsinnig von der Taskforce zu glauben, sie könnte so viel Geld zusammentrommeln. Auch hier sehen wir, wie sich die Politik überschätzt.
Sie verorten gemachte Fehler nicht nur bei den Gemeinden, sondern auch in der Führungsriege des Spitals.
Mich würde es schmerzen, wenn das Spital wegen Managementfehlern schliessen müsste. Ich verstehe auch nicht, weshalb der Verwaltungsrat Rekurs gegen den Entscheid der GD eingelegt hat. Das ist nicht durchdacht. Denn der Entscheid, das Spital finanziell nicht zu unterstützen, basiert auf der Spitalplanung, die jahrelang von Fachleuten erstellt wurde. Auch ist es dem Verwaltungsgericht nicht möglich, innert kürzester Zeit das Gegenteil zu beweisen. Dieser Trotzentscheid verzögert alles nur. Jetzt müssen endlich Fehler zugegeben, ein Sanierungsplan vorgelegt und alle Kostenstellen im Spital auf Effizienz überprüft werden. Das ist innert Wochen machbar. Denn unsere Region braucht das Spital! Einfach nicht so, wie es verplant wurde, mit dem unnötigen Neubau.
Was ist anders als bei anderen Regionalspitälern wie Rüti, Wald und Bauma, die vor Jahren geschlossen werden mussten?
Das GZO ist für die Region teilweise systemrelevant. Anders als die drei kleinen Spitäler. Alle drei waren sanierungsbedürftig, die Gebäude alt. Und eine Sanierung war finanziell nicht tragbar. Zudem wurden an allen drei Standorten zu wenige Operationen durchgeführt. Die Qualität der Behandlungen konnte nicht gesichert werden. Und die Fälle liessen sich auf das Spital Wetzikon verteilen.
Die GD stellt sich auf den Standpunkt, das Spital sei nicht systemrelevant, eine Verteilung der Patienten auf die umliegenden Spitäler ohne Weiteres möglich. Sie teilen diese Meinung nicht.
Ich kenne die neueste Spitalplanung der GD nicht und kann das nicht kommentieren. Ich gehe aber davon aus, dass die GD bei ihrem Entscheid das vergrösserte GZO inklusive Neubau und allen stationären Angeboten meint. Es ist nun Aufgabe des GZO, der GD mit einem machbaren Sanierungsplan aufzuzeigen, welche Angebote künftig mit genügender Rentabilität weitergeführt werden können und für die Region tatsächlich systemrelevant sind. Dazu gehören aus meiner Sicht wie bereits erwähnt sicher Rettungsdienst, Notfallversorgung und die ambulanten Dienste für die rund 100’000 Patienten jährlich und die zweitgrösste Geburtenabteilung des Kantons mit rund 900 Geburten jährlich.
Angenommen, der Konkurs kann vermieden, das Spital saniert werden. Wird das GZO weiterhin eigenständig oder Teil eines Regionalspitalverbunds unter einer gemeinsamen Holding sein?
Die Holding existiert eigentlich bereits. Und zwar in Form der GD. Sie legt fest, welches Spital welches Leistungsangebot in welcher Menge durchführt. 55 Prozent der Fallkosten werden vom Kanton finanziert, deshalb ist die GD das richtige Planungsgremium. Eine Holding, die nur unnötig Geld kostet, ist obsolet, weil die GD eine Planung mit guten Fachleuten leistet.