Über ihr die Sterne, unter ihr der Abgrund
Vanessa Rüegsegger nahm sich eine Auszeit vom Job und segelte mit sieben anderen über den Atlantischen Ozean. Social Media hat sie dabei nicht vermisst, Salat aber schon.
«Als wir mitten im Ozean in eine Flaute gerieten, stoppten wir unsere Überfahrt und gingen gemeinsam baden. Das war ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass es unter meinen Füssen Tausende Meter in die Tiefe geht», erzählt Vanessa Rüegsegger aus Dübendorf.
Die 27-Jährige ist diesen Monat zusammen mit sechs jungen Deutschen und einer Norwegerin über den Atlantik gesegelt – am Samstag sind sie in Martinique in der Karibik gelandet. 21 Tage haben sie gebraucht, rund 5200 Kilometer zurückgelegt und den Katamaran namens «Starfish» (fast) heil über den Ozean gebracht. Das ist nämlich das Ziel der Organisation, die diese Überfahrten für 3000 Franken anbietet: Ihre Boote für die Charter-Saison im Winter in die Karibik zu bringen.

Segeln rund um die Uhr
Auf der Kanareninsel Teneriffa ist Rüegsegger zugestiegen und hat während der folgenden drei Wochen regelmässig ihren Part beigetragen: Alle sechs Stunden übernahm sie eine dreistündige Schicht. Dafür setzte sie sich ans Steuer des 14 Meter langen Boots, beobachtete den Wind, setzte die Segel und achtete darauf, nicht mit anderen Schiffen auf Kollisionskurs zu geraten. Während der Überfahrt hatte das Team mit einigen Rückschlägen zu kämpfen: «Einer der Motoren war immer wieder defekt, und auch ein Segel ist komplett gerissen.» Aufgehalten hat sie das aber nicht.
Die Erfahrung für dieses Abenteuer hat sie zuerst in Schweizer Gewässern und später im Mittelmeer gesammelt. Seit fünf Jahren segelt sie immer wieder während ihrer Ferien. «Ich wollte einmal eine richtig grosse Überfahrt machen», sagt die Versicherungsangestellte. Also nahm sie sich eine zweimonatige Auszeit von ihrem Job.

Weiter erklärt sie: Eine Atlantiküberquerung sei nicht so anspruchsvoll, wie sie klinge. «Grundsätzlich muss man mit seinem Boot nur in den Strom des Passatwindes gelangen, der konstant in der Zone 30 Grad nördlich und südlich um den Äquator weht. Hat man das geschafft, muss man eigentlich nur noch drei Wochen auf die Ankunft warten.» Die Tour wird zudem geplant und geleitet vom Kapitän, dem sogenannten «Skipper».
Bücher statt Social Media
Neben der Schicht bleibt viel Zeit, in der man sich irgendwie beschäftigen muss. «Ich habe viele Bücher gelesen, Serien geschaut und mit den anderen Seglern Spiele gespielt», sagt Rüegsegger. «Ich habe auch versucht, Sport zu treiben. Das war aber schwierig, weil das Boot konstant wackelt.» Auch wenn sie durch das Satellitennetzwerk Starlink eigentlich hätte auf die sozialen Medien zugreifen können, hat sie bewusst darauf verzichtet. «Natürlich wurde mir manchmal langweilig», sagt sie. «Aber weil ich das schon lange nicht mehr hatte, fand ich das eigentlich noch schön.»
Die klare Tagestruktur während der Überfahrt habe ihr zudem geholfen, zur Ruhe zu kommen, sagt Rüegsegger. Nichts sei so konsistent wie das Auf- und Untergehen der Sonne und der Wind, der immer aus der gleichen Richtung wehe. Sie ergänzt: «Ich habe gelernt, die kleinen Dinge zu schätzen, wie zum Beispiel die tollen Sonnenuntergänge.»
Der gleichförmige Alltag an Bord wurde hin und wieder durch besondere Erscheinungen der Natur unterbrochen. «Wir konnten zum Beispiel Delfine, leuchtendes Plankton oder Sternschnuppen beobachten», sagt Rüegsegger. «Wenn man unter dem klaren Sternenhimmel steht, wird einem bewusst, dass man nur ein kleiner Mensch in einer riesigen Welt ist.»
Zur Abwechslung frischen Fisch
Manchmal fingen sie auch einen Fisch mit der Angel, deren Leine immer tagsüber am Heck ausgebracht wurde. Die Fische bildeten eine Abwechslung in ihrer Ernährung. «Wir haben viel haltbares Essen mitgenommen, zum Beispiel in Dosen, da wir unsere Ankunft nicht genau planen konnten. Aber auch frisches Obst und Gemüse haben wir mitgebracht, das knapp bis zur Ankunft ausreichte.»

Trotzdem war das Leben an Bord in keiner Weise eine Zumutung. Die Schiffbewohner teilten sich je zu zweit eine Kajüte, konnten jeden zweiten Tag mit Frischwasser duschen, hatten eine voll ausgestattete Küche und mehrere Lounges auf dem Deck.




Und doch hat Rüegsegger die Ankunft in Martinique herbeigesehnt. Nach dieser wird sie noch vier Wochen die Gegend bereisen und anschliessend einen weiteren Segeltörn in der südlichen Karibik machen. Aber zuvor will sie den festen Boden für die eine oder andere Joggingrunde nutzen, und vor allem: «Endlich wieder mal einen knackigen Salat essen.»
