«Quadball ist ein ernst zu nehmender Sport, keine Cosplay-Veranstaltung»
Was als Quidditch aus dem Harry-Potter-Universum begann, ist heute eine eigenständige Sportart mit einem erfolgreichen Jugendteam aus der Region: Quadball. Ganz vorne mit dabei ist eine Volketswilerin.
Wer Harry Potter kennt und das Wort «Quidditch» hört, hat automatisch eine Gruppe von als Hexen und Zauberer verkleideten Personen vor Augen, die mit einem Besen zwischen den Beinen und einem Umhang auf dem Rücken einem goldenen Ball nachjagen.
Das Spiel aus der Buchreihe schaffte es vor rund 20 Jahren als Quadball in die reale Welt. Zwar vom Harry-Potter-Universum inspiriert, hat es mit dem Original allerdings nicht mehr viel zu tun.
Heute ist der Sport international etabliert, mit zahlreichen Teams sowie Fans auf jedem Kontinent und regelmässig stattfindenden Welt-, Europa- und Nationalmeisterschaften. Und, wie es sich für einen ernst zu nehmenden Sport gehört, einer Jugendliga.
Die sportlichsten Spatzen
Die Turicum Lightning Sparrows aus Zürich gehören dabei zu den europaweit besten Kinderteams. Erst diesen Sommer hat der Verein die selbst organisierte Weltmeisterschaft auf der Sportanlage Heerenschürli, die sich Dübendorf und Zürich teilen, gewonnen. Zu verdanken ist das vor allem einer Person: Linnéa Grimm aus Volketswil.

Die Theologiestudentin, die seit Kurzem in Zürich wohnt, spielt seit 2018 für das Erwachsenenteam und hat 2019 zusammen mit ihrer Verlobten Dany Hermel und drei weiteren Personen die Sparrows gegründet. Als Headcoach trainiert die 32-Jährige nun zweimal im Monat rund 20 Kinder beim Schulhaus Stettbach in Schwamendingen.
Über Quaffles, Flags und Bludger
Quadball wird in zwei Teams à je sieben Spieler auf einem Rasenfeld, das ähnlich gross ist wie ein halbes Fussballfeld, gespielt. Die Spieler tragen alle einen Stock zwischen den Beinen (den «Besen»), den sie nie loslassen dürfen. Die sieben Spieler besetzen vier verschiedene Positionen: Drei Jäger versuchen den Volleyball, Quaffle genannt, durch die gegnerischen Tore zu werfen. Diese bestehen aus drei unterschiedlich hoch montierten Ringen.

Während ein Torwart, Hüter genannt, die Ringe verteidigt, versuchen zwei Treiber, das Gegnerteam mit Dodgebällen (Bludger) zu treffen und sie somit für kurze Zeit ausser Gefecht zu setzen. Der Sucher ist derweil damit beschäftigt, einen neutralen Läufer zu jagen und ihm den Flag abzunehmen. Der Flag ist ein Tennisball, der in einer Socke steckt, die wiederum an der Hose befestigt ist. Sobald ihm das gelingt, ist das Spiel beendet. Die Spiele dauern zwischen rund 20 und 45 Minuten.

Die Teams sind gemischtgeschlechtlich. Auch Personen, die sich nicht als Mann oder Frau identifizieren, sind im Spiel zugelassen. Bei den Erwachsenen ist Körperkontakt – ähnlich wie im Rugby – erlaubt, bei den Kindern nicht.
Das Training sieht von Weitem nicht viel anders aus als die anderer Jugendsportarten. Der grösste Unterschied sind die «Besen», die sich die 7- bis 15-jährigen Kinder während des Spiels zwischen die Beine klemmen. Diese scheinen sie aber überhaupt nicht zu behindern. Im Gegenteil, die rund einen Meter langen Stöcke werden von den flinken, Haken schlagenden und Bälle werfenden Kindern wie ein eigenes Körperteil behandelt.
Sportball ist für jeden
Die Besen lassen sich aber nicht im lokalen Sportgeschäft kaufen. Deshalb basteln sie die Stöcke wie auch die Torringe selbst. Dafür verwenden sie Materialien aus dem Baumarkt, die anschliessend bunt bemalt und verziert werden.

«Uns ist es sehr wichtig, dass jedes Kind mitmachen kann, auch eines aus einer einkommensschwachen Familie», erklärt die 52-jährige Dany Hermel, die sich selbst als Team-Mama bezeichnet. Die Geräte sind Marke Eigenbau, sie sammeln alte Noppenschuhe für Kinder, die sich keine kaufen können, und der jährliche Vereinsbeitrag beträgt gerade einmal 60 Franken.
Auch die Sportlichkeit der Kinder spielt bei der Aufnahme in den Verein keine Rolle. Grimm sagt: «Wir holen jedes Kind dort ab, wo es steht. Jedes Kind hat Potenzial.» Hermel ergänzt: «Wenn man Kinder unterstützt und ihnen Erfolgserlebnisse verschafft, kann man auch den grössten Sportmuffel zu Höchstleistungen anspornen.» Aber diese Aufgabe will Grimm nicht allein schultern, auch die Kinder sollen sich so gegenseitig unter die Arme greifen.
Geschlecht spielt keine Rolle
Das zeigt sich beim Training: Die Kinder, die sich in Gruppen aufgeteilt haben, um Pässe, Angriffs- oder Verteidigungstaktiken zu üben, werden von älteren Jugendlichen unterstützt. Sie kritisieren, zeigen vor, geben Tipps.




Grimm: «Ab 16 Jahren müssten die Kinder eigentlich zum Erwachsenenteam wechseln. Manche bleiben aber als Leiter, weil es ihnen bei uns so gut gefällt.» Hermel ergänzt: «Beim Quadball hilft man sich gegenseitig, unabhängig von Alter, Talent und Geschlecht.»
Dass Quadball gemischtgeschlechtlich gespielt wird, sieht Trainerin Grimm als grossen Vorteil. «Viele Kinder werden im Schulsport schon sehr früh vom anderen Geschlecht getrennt. Bei uns machen sie aber erste positive Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, was ihre Toleranz fördert und zu einem gesunden Geschlechterbild beiträgt.»
Ein wichtiger Aspekt der Sportart ist auch die Akzeptanz nicht binärer Geschlechter. Genau diese Inklusivität war auch einer der Gründe, wieso sich der internationale Quadball-Verband vor rund drei Jahren endgültig von der Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling distanzierte. Viele ihrer Äusserungen wurden als transfeindlich empfunden.
«Rowling widerspricht den Werten, die bei uns tief verankert sind: dass jeder, ungeachtet seiner Identität, mitspielen darf.» Deshalb finde sie es auch gut, dass sich der Sport von der Fiktion entfernt hat. «Quadball ist ein ernst zu nehmender Sport und keine Cosplay-Veranstaltung.» Sie ergänzt: «Natürlich kommen viele Kinder zu Quadball, weil sie Harry-Potter-Fans sind. Aber daraus wachsen sie heraus und bleiben wegen dem Sport.»
Kein zufälliger Erfolg
So erging es auch Grimm. Als Millennial sei sie mit Harry Potter aufgewachsen, aber als Trainerin ist der Sport für sie weit mehr: Neben dem Studium investiert sie pro Woche mehrere Stunden, während der Turniersaison all ihre Ferien und Freizeit. Ihr Einsatz hat sich gelohnt: Die Sparrows sind mit vier Schweizer-, zwei Europameistertiteln und – seit diesem Sommer – mit ihrem ersten Weltmeistertitel das erfolgreichste Quadball-Team der Schweiz.

Hermel sieht in Grimms hervorragendem Taktikverständnis einen der wichtigsten Gründe für den Erfolg. «Mit diesem hebt sie sich von anderen Trainern ab.» Grimm wiederum sagt: «Mir ist der Teamgeist am wichtigsten. Wir bilden keine Elite aus Topspielern, auf die wir uns verlassen müssen. Bei uns spielen alle mit, unabhängig vom Talent.»
Sie setze auf Ehrlichkeit. «Natürlich ist den Kindern klar, dass nicht alle gleich gut im Quadball sind. Aber trotzdem bekommen alle Spielzeit. Es macht etwas mit den Kindern, wenn man an sie glaubt.» Auch wenn viele Trainer anderer Meinung seien, habe ihnen diese Einstellung schon oft zum Erfolg verholfen. Das sei gerade in Europa bemerkenswert, da dieser Kontinent weltweit die höchste Dichte an Quadball-Jugendteams aufweise.
Dass die Kinder auch untereinander an sich glauben, müssen sie am Ende des Trainings beweisen: Sie bilden einen Komplimente-Kreis. Der Reihe nach loben sie ein anderes Vereinsmitglied – für Fortschritte, Motivation oder einfach, dass sie gekommen sind. Das Mädchen, das an diesem Tag ein Schnuppertraining absolvierte, strahlt nach den vielen Komplimenten, die sie erhält. Grimm grinst verschmitzt. «Sie kommt bestimmt wieder.»